Dem Anspruch nicht genügend

Über Philip Kerrs Roman „Böhmisches Blut“

Von Roman HalfmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Roman Halfmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Klein fuhr an der Vordertür vor und schaltete den Drei-Liter-Motor des viergangbetriebenen Mercedes aus.“ Diesen Satz schreibt Philip Kerr an entscheidender Stelle: Held und Ermittler Bernie Gunther, von Depressionen zerfressen und sich dennoch bar jeder Vernunft sogleich auf eine neue Liebschaft einlassend, wird überraschend nach Prag beordert und erreicht mit diesem Satz den Schauplatz des verwickelten und verzwickten Kriminalfalls.

Wir schreiben September 1941 und SS-Obergruppenführer sowie Reichsprotektor von Böhmen und Mähren Heydrich hat nach Gunther verlangt, da Heydrich sich verfolgt glaubt. Doch ein anderes SS-Mitglied wird gleich nach Gunthers Ankunft getötet und zwar in einem von innen abgeschlossenen Zimmer.

Klassik trifft Grauen

Es ist ein geradezu klassisches Setting: Ein Landhaus mit begrenzter Personenzahl, ein eigentlich unmöglich auszuführender Mord und ein intelligenter Ermittler. Und als ein solches Pastiche der Agatha-Christie-Romane hat dieses Werk durchaus seinen Charme und gefällt. – Hier wäre allein zu bemängeln, dass es zu lange dauert, bis der eigentliche Krimi einsetzt: Sage und schreibe 160 Seiten benötigt Kerr immerhin, um allein die Grundsituation und Bernie Gunther einzuführen.

Dies obliegt natürlich der historischen Verortung: Kerr umkreist in allen Bernie-Gunther-Romanen die Zeit des Nationalsozialismus und hat es sich zum Ziel gesetzt, das Regime aus der Innenperspektive zu beschreiben, ohne sich hierbei zu literarischen Experimenten wie Jonathan Littell verleiten zu lassen.

So hat er es hierbei vor allem damit zu tun, glaubhafte Protagonisten zu etablieren, die einerseits in irgendeiner Weise in das System integriert sind und andererseits schon um des Lesers Willen eine kritische Haltung hierzu einnehmen müssen. Gunther chargiert also ständig zwischen der Nähe zur Macht und einer inneren Distanzierung, die sich manchmal in kleinen Revolten offenbart: So unterstützt er heimlich jüdische Nachbarn. Diese Ambivalenz aber muss ständig neu etabliert werden, da sie ganz und gar unglaubhaft wirkt – die stetigen Selbstmordgedanken Gunthers können nicht verdecken, dass der Protagonist den eigenen Reflexionen stets hinterherläuft und somit niemals zur Ruhe kommt.

So reflektiert Gunther auf fast jeder Seite des Romans darüber, dass er eigentlich dagegen ist, also gegen all das, was der Nationalsozialismus bedeutet, aber eben doch Teil hiervon bleibt – und zufälligerweise nicht gerade als kleines Rädchen im Getriebe, sondern an entscheidender Stelle und mit großer Verantwortung.

Es geht in dieser Kritik hingegen nicht darum, dass Gunther, um glaubwürdig zu erscheinen, zum Widerständler reifen sollte, es geht darum, dass diese komplexe Charakterdarstellung weder zum Genre des Krimis taugt, in welchem eben der Kriminalfall im Vordergrund zu stehen hat, noch, sollte der Krimi in Manier Friedrich Dürrenmatts ein Vehikel zur intensiveren Auseinandersetzung sein, mit derart hobbypsychologischen Darstellungen arbeiten kann.

Nur ein Krimi

Diese Problematik, die bei Weitem zu einfach gestrickt ist, um symbolisch für eine Verfasstheit der Deutschen zu jener Zeit zu taugen, verlangsamt den Roman, der eben doch nur ein Krimi sein soll, da der eigentliche Fall immer wieder von diesen Reflexionen unterbrochen wird, welche die eigene Unschuld oder zumindest den Zweifel immer wieder neu thematisieren.

Stellvertretend hierfür steht der oben zitierte Satz aus dem Roman: Überfrachtet mit kleinteiligen, der eigentlichen Handlung nichts hinzufügenden Informationen, zeigt er Kerrs Schwäche, die darin besteht, der eigentlichen Herausforderung eines Krimis in der NS-Zeit nicht gewachsen zu sein. Was dem Roman letztendlich trotz der ambitioniert erzählten Mär vom locked room dann doch das Genick bricht.

Titelbild

Philip Kerr: Böhmisches Blut. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Juliane Pahnke.
Wunderlich Verlag, Reinbek 2014.
478 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783805250429

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch