Alle diese Gedichte da
Die Romanautorin Ursula Krechel beweist mit einer Auswahl aus ihren eigenen Gedichten, wo ihr literarisches Epizentrum liegt
Von Beat Mazenauer
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDer preisgekrönte Roman „Landgericht“ (2012) und ebenso das vorangegangene Buch „Shanghai fern von wo“ (2008) – sie beide kreisen um das Thema Exil beziehungsweise Emigration. Daran geknüpft sind elementare Erfahrungen der Fremdheit und Wortlosigkeit. Diese Themen prägen auch das lyrische Werk von Ursula Krechel. Eine von der Autorin selbst zusammengestellte Auswahl lässt leitmotivisch immer wieder Facetten solcher Irritation anklingen, gleich zu Beginn schon. Im ersten Kapitel findet sich das Titelgedicht, in der das „Die da“ in seiner trügerischen Ambivalenz erfahrbar wird: Darin steckt eine abweisende, wegwerfende Geste ebenso wie der Hinweis auf „die da am Ufer stehen mit blutigen Schläfen / verachtungsvoll klingt ihr Lachen / schneidet scharfzüngig durchs Wasser“.
Krechel hat ihr lyrisches Werk – ein Dutzend Publikationen – in der Auswahl neu gruppiert und thematisch gebündelt. Sie kann sich derlei erlauben, weil sich darin Fortentwicklung mit poetischer Treue verbindet. Ihr genaues Hinschauen auf die Lücken und Verrückungen spiegelt sich sprachlich in Zeilen, die in der Verwerfung ihre adäquate Form finden. Im Wechsel vom ersten zum zweiten Kapitel werden Krechels Auswahlprinzipien sichtbar. Ist die „heile Welt“ im ersten nur reines Spiel in einem „Draußen“, findet sie im zweiten Kapitel eine, wenn auch trügerische, Entsprechung im ländlichen, ja geradezu heimatlichen Kontext. Diese Gedichte, oft mit prosaisch anmutenden Langzeilen, reden mit der „Kreidestimme der Freundlichkeit“, der Tod verschwindet darin leise unter dem Schnee oder gleitet still in den See.
Und dann, in Kapitel drei, stehen mächtige Männer vor der Sonne am Horizont und fragen „Wo bleibt / eure Perspektive?“. Das (feministisch) Politische ist ein Kernbestandteil in Krechels Lyrik. Freilich formuliert sie keine Parolen, sie beobachtet, reflektiert und mahnt nur: „Geht uns aus der Sonne …“. Utopische Hoffnung und das Wissen um das Reale werden gegenseitig abgewogen.
Schön nachzulesen ist in der neuen Zusammenstellung, wie schwer es uns Krechel macht, Gedichte treffsicher einer Epoche zuzuordnen. „Wie tolerant wir geworden sind“, steht bereits in einem Gedichtband von 1979. „Ich habe keinen Passepartout, um meine Gedichte aufzuschlüsseln“, notiert die Autorin in einer Nachbemerkung von 1983 auf das sechs Jahre früher veröffentlichte Gedicht „Jetzt ist es nicht mehr so“. Gerade auch in der politischen Lyrik behauptet sie ihren poetischen Eigensinn. Wer sich auf diese Gedichte einlässt, finde „wie der glückliche arbeitslose Dieb den Schlüssel unter der Matte“. Doch es braucht dazu den Mut, jede andere Arbeit sein zu lassen, um sich die Zeit für die Lektüre zu nehmen. Zeile um Zeile, Bild um Bild liest man sich in diese Gedichte hinein wie das Kind, das lesen lernt und (Märchen-)Bücher entdeckt, aus denen es „nach dornigen Regeln aus gehüteten Quellen“ trinkt, um den Preis, dass der Leser jenes Kind verliert, „das er war“.
Es kommt hier ganz auf die Perspektive an, beispielsweise in „Nachtrag“. Liebende könnten vor Liebe wahnsinnig werden, heißt es darin: „Aber nie ist jemand / wahnsinnig geworden / aus Mangel an Liebe“. So hätte es mit diesem Mangel sein Gutes. Gerade auch unter dem Aspekt, dass Lieben und Lesen bei Krechel zusammenfinden. „Lieben könnte sein: sich lesen“ – in diesen Gedichten. Einen Einwand allerdings erhebt die Dichterin: „Ich bin es, die schreibt, und du liest / so werden wir niemals Geschwister.“ Selbst dies hätte sein Gutes, denn was ist die Geschwisterliebe gegen die Liebe von wahlverwandten Schreibenden und Lesenden.
In einem Nachwort, „Auslassungen über das Weglassen“, gibt Krechel Einblick in ihre Poetik. „Das Gedicht hat keinen Gegenstand, es ist selbst ein Gegenstand, doch einer, der vor den unpoetischen Augen verschwimmt, der sich erst bildet beim genauen Hinsehen, Lesen, Hören.“ Gedichte wollen und müssen also nicht leicht verstanden werden. Ihre Worte weisen über sich hinaus in Klangassoziationen, Binnenreime, in einen „Bedeutungshof“, der an den Rändern der Zeile abbricht oder sie überwindet. Dabei geht es explizit nicht um eine unverwechselbare, wiedererkennbare Handschrift, betont Krechel. „All das, was das Publikum wünscht, erscheint in meinem Zusammenhang als etwas synthetisch Herstellbares, Herzustellendes oder bereits Hergestelltes.“
Die vorliegende Auswahl gibt Gelegenheit, dies an ihren Gedichten nachzuprüfen. Sie rückt damit das lyrische Werk aus dem Schatten der erfolgreichen Romane.
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