Artus auf breiter Basis

Der Sammelband „Aktuelle Tendenzen der Artusforschung“ bietet einen bunten Überblick

Von Jörg FüllgrabeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Füllgrabe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was die breitere Rezeption des Mittelalters angeht, ist die Gestalt des Artus eine ‚feste Größe‘, die – insbesondere wegen ihrer Verbindung zum geheimnisvollen Gral – auch heute noch auf großes Interesse stößt. (Literarische) Artusforschung gehört daher in der Mediävistik gewiss zu den Bereichen, die eine nicht unwesentliche Breitenwirkung haben oder doch haben könnten. Diesem bzw. einem wissenschaftlicheren Interesse war die Gründung einer internationalen Artusgesellschaft geschuldet, die zunächst eher ein amerikanisch-angelsächsisches sowie französisches und niederländisches Phänomen war, in der Folgezeit jedoch durch die Gründung einer deutschen Sektion auch in der hiesigen Forschungslandschaft einen etablierten Kumulationskern erhielt. Der vorliegende Band fasst die Beiträge deutscher, österreichischer sowie niederländischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammen, die auf dem 23. Internationalen Artuskongress in Bristol im Juli 2011 gehalten worden waren. Der Kreis der Beitragenden bezieht sowohl etablierte Forscherinnen und Forschern als auch die ‚nachwachsende‘ Generation mit ein, womit das Bemühen um ein breiteres Spektrum erkennbar ist. Allerdings sind damit auch Brüche durchaus qualitativer Art verbunden, die nicht immer überbrückt werden.

Unterteilt ist der Band – wohl analog zur Präsentation der Beiträge im Rahmen des Kongresses – in sechs sowohl hinsichtlich der Zahl der Beiträge als auch der Seitenzahl unterschiedlich umfangreiche Themenblöcke: ‚Erzähltechnik‘, ‚Zeichen‘, ‚Atmosphäre‘, ‚Spiritualität‘, ‚Sozioethik‘ sowie ‚Gender‘. Dass hier zwischen den beiden letzten Punkten unterschieden wird, ist nicht ganz einsichtig, zumal von den Beiträgen her der eine oder andere durchaus auch in die jeweils andere Kategorie passen könnte. Die Aufspaltung in zwei separate Blöcke ‚Atmosphäre‘ und ‚Spiritualität‘ erscheint nicht zwingend, da hier die thematische Schnittmenge zu groß ist.

Eine Bemerkung zur ‚Lesbarkeit‘ der ‚Aktuellen Tendenzen‘ sei  vorangestellt: Die Beiträge des Bandes lesen sich prinzipiell ‚unkompliziert‘, und so wird zumindest in dieser Hinsicht bestätigt, was die Mitherausgeberin Cora Dietl in ihrer Einleitung konstatiert: „Nach 65 Jahren präsentiert sich die Artusforschung […] frischer und bunter denn je.“ Inwieweit hiermit valide Aussagen zu verbinden sind, mag dahingestellt bleiben, und es kommt nicht jeder Beitrag in vollumfänglichem Sinne in ‚bunter Frische‘ daher, so dass durchaus auch nicht so ganz frische Abschnitte erkennbar sind.

In gewisser Hinsicht ist der Band tatsächlich bunt: Die insgesamt sechsundzwanzig Beiträge, von denen fünfzehn von Autorinnen stammen, zeichnen sich durch eine große thematische Breite aus. Es gibt allerdings qualitative Unterschiede; so sind Beiträge vertreten, die stilistisch wie vom Resultat her wie ambitioniertere Seminararbeiten wirken, was tatsächlich, wenngleich bisweilen irritierend, ‚frisch‘ wirkt. Die insgesamt positive Tendenz soll allerdings nicht in Abrede gestellt werden. Exemplarisch können nur einige Beiträge, die auch nicht jeden der sechs Schwerpunkte repräsentieren, herausgehoben werden. Lesenswert erscheint mir, um mit der ‚Erzähltechnik‘ zu beginnen, der Beitrag ‚Die Kunst der Intrige‘, den Claudia Lauer als Basis für die Vorstellung von Kernthesen eines größeren Projekts ansieht bzw. als solche deklariert. Hier wird auf geschickte Weise die Binnen- und Butenansicht des Spiels der Intrige anhand je dreier exemplarischer männlicher wie weiblicher Perspektiven diskutiert bzw. in einen sowohl literarisch-produktiven wie rezeptionsorientiert-passiven Kontext gestellt. Geschickt und einleuchtend argumentiert Lauer hinsichtlich der unterschiedlichen Stränge und der Anwendungsorientiertheit von Intrigen, die dann in ‚Das mære von König Artus‘ überschriebenen ‚poetologischen Perspektiven‘ sowohl den bzw. die Verfasser der mittelalterlichen Romane als auch das seinerzeit intendierte Publikum, dessen Kreis aber gewissermaßen bis in die Gegenwart erweitert wird, einbindet, in dem ein ‚unendlicher Rezeptionsraum‘ assoziiert wird.

Um den ‚Zeichen‘ Raum zu geben, sei auf den unterhaltsamen Beitrag Nina Hables ‚Die Tjost. Zeichen der Gewalt – Macht der Zeichen‘ verwiesen. Die Autorin untersucht – basierend zunächst auf dem ‚Wigalois‘ – ritterliche Kampfausstattung auch im Kontext anderer Artus-Romane und erweitert das Spektrum in außerliterarische Kontexte, in denen eben diese ‚Zeichen‘ ihren ‚Sitz im Leben‘ hatten.

Zum Schwerpunkt ‚Atmosphäre‘ gehörig ist der knappe Beitrag Friedrich Wolfzettels, der das Phänomen ‚Tag und Nacht oder der Entdeckung einer neuen atmosphärischen Sensibilität‘ thematisiert (vermutlich in erster Linie aufgrund der frankophonen Textbasis in Französisch abgefasst). Interessant auch der Beitrag Michael Gersteneckers, ‚Namengewalt‘, der sich in gelungener Weise mit der literarisch-soziologischen Bedeutung von Eigennamen in den Artusromanen bzw. der Macht, die die Kenntnis dieser Namen verleiht, befasst. Zu Recht verweist Gerstenecker auf die zwar im Artusroman nicht explizit belegten, aber implizit vorhandenen Aspekt des Mythischen, der die Metaebene der ‚Namengewalt‘ darstellt.

Als letztes Beispiel sei auf Andrea Grafetstätters Beitrag ‚Weiblich besetzte Bildprogramme im Wigalois‘ verwiesen, der anhand von illustrierten Handschriften bzw. Drucken die reine Textinformation der Dichtung mit Illustrationselementen zusammenbringt und dabei Mehrfachperspektivität in der mittelalterlichen Artusüberlieferung aufzeigt.

Die ‚Aktuellen Tendenzen‘ bieten also ein weitreichendes Feld zur – literaturwissenschaftlichen – Artusforschung, was definitiv seinen – jedoch nicht ganz uneingeschränkten – Reiz hat. Für ‚Gelegenheitsarturianer‘ und ‚Gelegenheitsarturianerinnen‘ etwa wäre es zielführender gewesen, wenn zumindest paraphrasisch der aktuelle Forschungsstand zu Artus dargelegt worden wäre, von dem sich dann die aktuellen Tendenzen abheben. So bietet dieser Band letztlich einen ambivalenten Eindruck, der bei positiver Grundstimmung durch weniger optimale Aspekte etwas getrübt erscheint. Angesichts des üppigen Preises wird der Tagungsband gewissermaßen umgekehrt proportional zu den in der Einleitung formulierten Ansprüchen auf Einbeziehung des wissenschaftlichen Nachwuchses kaum zum Bücher-Kernbestand von Studierenden gehören können. Diese werden wohl eher im ebenfalls bei de Gruyter erschienenen Band ‚Deutschsprachige Artusdichtung des Mittelalters‘ die notwendigen Basisinformationen finden.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Brigitte Burrichter / Matthias Däumer / Friedrich Wolfzettel / Christoph Schanze (Hg.): Aktuelle Tendenzen der Artusforschung.
De Gruyter, Berlin 2013.
436 Seiten, 109,95 EUR.
ISBN-13: 9783110310702

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