Zwischen expressiv und neusachlich?
Ein Band über Max Pechstein in der neuen Reihe „Junge Kunst“
Von Klaus Hammer
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseMax Pechstein gilt als der volkstümlichste der „Brücke“-Künstler, der die Idee des Expressionismus breiteren Kreisen zugänglich machen konnte. Von der dekorativen Wandmalerei des Jugendstils herkommend, schien er nach den Erfahrungen seines Pariser Aufenthalts 1908 mühelos über die Mittel einer Kunst zu verfügen, die sich mehr dem sinnlichen Augenerlebnis als der expressiven Zuspitzung verschrieben hatte. Das flächige Auftragen ungebrochener, furioser Farben, ohne tiefere, symbolische Untertöne, der Einsatz stärkster Tonwerte und Kontraste, die Aufteilung der Komposition in farbige Rhythmen sind für seine besten Arbeiten charakteristisch. Später wurde seine Malerei weicher und dekorativer, ließ die frühere Ausdrucksstärke vermissen.
1919 war in der Reihe „Junge Kunst“ des Leipziger Klinkhardt & Biermann Verlag ein Band über Max Pechstein erschienen. Für diese Monografie ließ der 38-jährige Künstler dem Verleger Biermann einen Brief über seinen Werdegang zukommen, der jetzt bei der Neuauflage dieser Reihe wiederabgedruckt wird. Der damalige, leidenschaftlich für Pechstein werbende Text von Georg Biermann ist ausgetauscht worden durch einen den neuesten kunsthistorischen Stand wiedergebenden Essay von Petra Lewey, seit 2003 Leiterin der Kunstsammlungen Zwickau – Max-Pechstein-Museum. Pechstein, der einzige akademisch ausgebildete Künstler im Brücke-Kreis, war damals ein „ambitionierter junger Gegenwartskünstler“ (Lewey), heute ist er ein international anerkannter Klassiker der Moderne. Aus der Vorausschau auf ein sich entfaltendes Künstlerleben ist ein kunsthistorisch wertender Rückblick geworden. Dazu gegeben wurde eine Biografie Pechsteins und eine Dokumentation aus dem Verlagsarchiv, die neben jenem Brief Pechsteins an Biermann vom 6. August 1919 eine Postkarte enthält, die der aus dem hinterpommerschen Fischerdörfchen Leba nach Berlin zurückgekehrte Pechstein im Dezember 1945 an seinen „Intimus“ Alexander Gerbig schrieb. Eigentlich ist das ein bisschen wenig, was die Neupräsentation dieses „Junge Kunst“-Bandes legitimieren könnte.
Aber die eindrucksvolle Bildauswahl und vor allem der ausgewogene Text von Petra Lewy entschädigen für die nur knappe Zusammenstellung von Selbstzeugnissen des Künstlers. Die Autorin bettet die Entwicklung Pechsteins in Dresden (1900-1906), seine Reisen nach Italien und Frankreich (1907/08), in Berlin (1908-1944, 1945-1955), seine Sommeraufenthalte an den Moritzburger Teichen (1909, 1910), in Nidden an der Kurischen Nehrung (1909, 1911 und 1912, 1919, 1920), in dem Fischerdorf Monterosso al Mare an der ligurischen Küste (1913), auf den Palau-Inseln in Mikronesien (1914), im pommerschen Küstenort Leba (1921) in den kunsthistorischen Kontext ein. Pechsteins Malerei ist ebenso den Themenkreisen der Badenden und Akte im Freien gewidmet, der exotischen Interieurs und Landschaften, den Darstellungen des ursprünglichen Lebens als auch der Stillleben, Bildnisse, Fischerboote, einsamen Bauerngehöfte, den Mondnächten und Sonnenaufgängen. In der intuitiven Formensprache der Primitiven sah der junge Künstler den aus Urtiefen aufschäumenden Zwang zum bildnerischen Gestalten. Was mit den „Viertelstundenakten“ 1905 begann, den Akt in ungekünstelten Stellungen zu erfassen, vollendete sich im Sommer 1909 an den Moritzburger Teichen (also ein Jahr früher, als bisher angenommen, wie ein bisher so gut wie unbekanntes Bild „Szene im Wald“ bezeugt), die Darstellung des nackten Menschen in freier Bewegung, verschmolzen mit der Landschaft. In Paris – so Petra Lewey – entwickelte Pechstein seinen immer flächiger und farbintensiver werdenden Stil weiter.
Mit wenigen Sätzen vermag die Autorin eindringliche Bildbeschreibungen zu geben, so zu einem der bekanntesten, dem „Gelbschwarzen Trikot“ (1910). 1911 konnte er dann in Nidden weiterhin Akte malen, in seiner jungen Frau Lotte hatte er ein Modell gefunden. Akt, Landschaft und Stillleben galten jetzt seine Aufmerksamkeit. Wie er neue Anordnungen von Form und Farbe fand – die strenge Konstruktion mit kubischen, geometrischen Elementen wurde jetzt bestimmend –, erläutert die Autorin am Beispiel des „Stilllebens mit Fruchtschale“ (1912). Das Stillleben wurde Pechstein zum neuen Experimentierfeld. Überhaupt setzte sich die flächenhafte, kontrastreiche Formulierung der Komposition, die schwungvolle Rhythmik im Figurenaufbau 1912 in Nidden durch.
Die Gründe aber für seine kurze Mitgliedschaft in der „Brücke“-Gemeinschaft (1906-1912) liegen nicht nur darin, wie in der „Biografie“ steht, dass er 3 Gemälde zur Ausstellung der alten Berliner Secession einlieferte und damit gegen die Absprache der Künstlergruppe, stets gemeinsam auszustellen, verstieß, sondern dass er egoistisch in Berlin sich Aufträge verschaffte.
Pechstein hat auch später, nachdem sein Aufenthalt auf den Palau-Inseln in der Südsee, das paradiesische Leben unter den Eingeborenen, abrupt durch den Ersten Weltkrieg beendet wurde (seine Palau-Erlebnisse konnte er erst 1917 verarbeiten – in „idealisierender Erinnerung und malerischer Verklärung“, so P. Lewey), immer wieder das Bild einer vorzivilisierten Welt gemalt: einen Garten Eden vor dem Sündenfall. Und doch haben diese Arbeiten für den heutigen Betrachter ihre magische Faszination nicht verloren, wohl aus dem gleichen Gefühl, wie Pechstein „aus dem Paradies getrieben zu sein“. Besonders im Tanz – davon finden wir keine Abbildung im Band –, im Kreis der stampfenden, schwebenden und sich drehenden Mänaden, erreichte er nun eine ungeheuer kraftvolle Schwerelosigkeit und dramatische Intensität. Er gab den Körpern eine Lokalfarbe und verlieh der Szene eine fesselnde Gegenwärtigkeit. Kaum einer konnte so wie er mit sparsamen Mitteln ein Bild mit einer solch intensiven Erinnerung an körperliche Empfindungen durchtränken.
Das Schaffen Pechsteins in Leba und Rowe am Gardasee – immerhin hat er sich hier von 1921 bis 1945 (mit Unterbrechungen) aufgehalten, hat er hier die NS-Zeit wie in einer „inneren Emigration“ überlebt – gerät der Autorin mit gut zwei Seiten allerdings viel zu kurz. In den 1920er-Jahren beruhigte sich sein Stil, die Konturen wurden betont, das Kolorit wandelte sich zum Abgeklärten, Stimmungsvollen. Kann aber von einem „Einfluss“ der neusachlichen Malerei gesprochen werden? Bilden die Landschaften, Porträts und Figurenbilder dieser Zeit nicht eher einen Gegenpol zu den glatten, unpersönlichen Bildern der Neuen Sachlichkeit? Auch die Nachkriegsentwicklung Pechsteins – das sind ja noch fast 10 Jahre bis zu seinem Tod 1955 – bleibt unterbelichtet. Ebenfalls in der Bildauswahl klafft zwischen 1926 und 1950 eine ziemliche Lücke. Und doch vermittelt dieser Band, der gleichzeitig mit der Neueröffnung des Max-Pechstein-Museums in Zwickau erschienen ist, ein beeindruckendes Lese- und Schauerlebnis.
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