Fahrradtour ins Himmelreich

Svetislav Basaras Roman „Die Verschwörung der Fahrradfahrer“ in deutscher Erstübersetzung

Von Christof RudekRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christof Rudek

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Gelehrten streiten sich, ob es den Orden der Kleinen Brüder der evangelischen Fahrradfahrer des Rosenkreuzes jemals gegeben hat. Tatsache ist, dass die Liste seiner Mitglieder, abgedruckt im Anhang des hier rezensierten Buches, einige prominente Namen aufweist: Silvio Berlusconi etwa, Paris Hilton, Friedrich Wilhelm Schelling, Eddy Merckx oder Leonardo Da Vinci. Zwar scheinen sie eher Karteileichen zu sein. Das Geschehen um die „Verschwörung der Fahrradfahrer“ bestimmen jedoch kaum weniger illustre Gestalten: Kapitän Queensdale zum Beispiel, der anno 1733 Schiffbruch erleidet und mit seinem zusammengezimmerten Floß auf einer unbekannten Insel landet, auf der sich eine Gruppe geflohener Ketzer niedergelassen hat, die Vergangenheit und Zukunft kennen und dem Kapitän in seinen Träumen theologische Lehrstunden erteilen. Oder ein radelnder Unbekannter, der in London an verschiedenen Orten auftaucht, öffentliche Uhren kaputtschießt und damit Sherlock Holmes zur Verzweiflung bringt. Oder Josef Kowalsky, ehemaliger Anarchist und Kommunist, späterer Royalist und selbsternannter Graf, Schriftsteller, Fahrradkonstrukteur und Bahnhofsvorsteher, der sich neben manch anderem als Verfasser eines „Wörterbuchs der Technologie“ und als Organisator einer fröhlich-mystischen Fahrradtour von Belgrad nach Dharamsala um die Sache der Evangelischen Fahrradfahrer verdient macht.

Der Roman „Die Verschwörung der Fahrradfahrer“ des 1953 geborenen serbischen Autors Svetislav Basara erschien 1988 in Jugoslawien und erlangte dort Kultstatus. Nun liegt das Buch zum ersten Mal auf Deutsch vor, in einer Übersetzung, die einer späteren, offensichtlich leicht veränderten Auflage folgt. Der Text setzt sich aus einer Reihe heterogener Kapitel zusammen, die unterschiedlichen Verfassern zugeschrieben werden und von verschiedenen, nur teilweise und lose miteinander verbundenen Figuren handeln. Eine durchgehende Handlung gibt es nicht, viele Abschnitte bestehen ohnehin aus theoretischen Erörterungen über die Sekte, ihre Schriften und Projekte. So folgt etwa auf den Briefwechsel zwischen Sigmund Freud und der um die geistige Gesundheit ihres Sohnes besorgten Herta Meier ein wissenschaftlicher Bericht über die Fahrradfahrersekte aus der Feder eines gewissen Jurgis Baltrušaitis und auf eine Szene aus dem Leben zweier Häftlinge eines russischen Gefangenenlagers eine Kurzbiografie Kowalskys und eine Kostprobe aus seinem lyrischen Schaffen.

Dass sich bei alldem nur ein verschwommenes Bild der mystischen Fahrradfahrer und ihrer Aktivitäten ergibt, ist natürlich beabsichtigt. Die wichtigen Zusammenkünfte der Gruppe finden ohnehin im Traum statt, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, wobei sich die verstorbenen Mitglieder des Nachwuchses in pädagogischer Absicht annehmen. Auch wenn die Ziele der Fahrradfahrer nicht von dieser Welt sind, mischen sie doch kräftig in der Weltgeschichte mit, um deren heillosen Zustand zum Guten zu wenden – die Wiedererrichtung des oströmischen Reiches steht da ganz oben auf der Agenda oder der Bau eines Irrenhauses für 20 Millionen Insassen. Auch das Attentat auf Franz Ferdinand im Jahre 1914 haben die Fahrradfahrer geplant, allerdings erst 1928, 14 Jahre nach der Tat – Zeit ist ja bekanntlich relativ.

Basaras Roman ist widersprüchlich und ohne klare Tendenz, er ist Gesellschafts- und Zivilisationskritik, Ideologie und Parodie ideologischen Denkens, ironische Pseudotheologie und Anprangerung einer gottlosen Moderne, Darstellung des Irrsinns des Menschen, der Gesellschaft, der Geschichte und der Scheinhaftigkeit aller Dinge. Das liest sich witzig und originell, mitunter auch ein bisschen langatmig, etwa wenn sich gegen Ende des Buches die Verlautbarungen der Fahrradfahrer mit ihrer kruden Mischung aus Mystik, Theologie, Philosophie, Geschichte, Psychoanalyse, Kulturkritik und Blödsinn häufen. Aber solche Durststrecken nimmt man in Kauf, gibt es doch an anderen Stellen Aufschluss über drängendste existentielle Fragen: Habet mulier animam? Die Antwort lautet: Ja, die Frau hat eine Seele, allerdings ist sie im Vergleich zur männlichen defizitär. Denn dem Damenfahrrad fehlt die Querstange.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Svetislav Basara: Die Verschwörung der Fahrradfahrer. Roman.
Übersetzt aus dem Serbischen von Mascha Dabic.
Dittrich Verlag, Berlin 2014.
464 Seiten, 22,80 EUR.
ISBN-13: 9783943941197

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