Dystopie ohne Schrecken

Birgit Vanderbekes wunderbare Erzählung „Die Frau mit dem Hund“ liegt nun als Taschenbuch vor

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eingefleischte Science-Fiction-Fans kennen vielleicht Harlan Ellisons Story „A Boy and His Dog“. Es handelt sich um eine Dreiecksgeschichte, die für das Mädchen nicht gut ausgeht. An sie lassen Titel und Lektüre von Birgit Vanderbekes Erzählung „Die Frau mit dem Hund“ unwillkürlich denken. Auch dies eine in einer postapokalyptischen Zukunft angesiedelte Dreiecks-, na ja eigentlich Vierecksgeschichte, die im Unterschied zu Ellisons Short Story für die Frau sehr wohl gut ausgeht, für den Mann ebenfalls und auch für die Hündin.

Vanderbeke schlägt zu Beginn einen Ton wundervoll leichter Ironie an, den sie alleine damit erreicht, dass Stil und Sprache von Werbung, Shows und Werbe-Shows scheinbar für die bare Münze genommen werden, welche deren Macher einstreichen. Das heißt, Bargeld und so auch Münzen sind längst abgeschafft in der nahen Zukunft, in welcher der Roman angesiedelt ist. Statt ihrer gibt es Bonus-Punkte und -Sterne, die man nicht etwa für Arbeit bekommt, sondern für ‚ehrenamtliche Tätigkeiten‘ zum Beispiel in einer Wäscherei. Sie werden auf „Di-Cards“ verbucht, die zu so ziemlich allem gebraucht werden, was für das Leben in den Distrikten notwendig ist. „Ganz egal, wo du hingehst, ohne die Di-Card läuft gar nichts.“

Staaten scheint es ebenso wenig zu geben, wie Konzerne, dafür aber eine allumfassende und allsorgende Stiftung. Doch trifft auch das nicht ganz zu. Die Stiftung sorgt nur für jene Menschen, die in einem strikt umgrenzten Gebiet leben. Jenseits davon liegt Detroit, „der gesetzlose Gürtel am Rande der Stadt“. Die Leute dort sind vom Netz abgehängt, womit nicht etwa das Internet, sondern das Stromnetz gemeint ist. Wirklich in Saus und Braus lebt allerdings nur eine dünne Oberschicht an unbekanntem Ort, wie angedeutet wird.

In den Distrikten wiederum genießen die in einen vermeintlich schützenden, vor allem aber stillstellenden Kokon der Versorgung und scheinbarer Fürsorge eingehüllten Menschen nicht nur die Segnungen einer funktionierenden Stromversorgung sondern zahlreiche Unterhaltungsshows und die offenbar nicht sonderlich schwierig zu erringenden Preise von Gewinnspielen. All das bildet ein Gespinst, das einer Gehirnwäsche gleich auf Sinn und Verstand der DistriktbewohnerInnen lastet. Über manchen der alltäglichen Begriffe weht denn auch mehr als nur ein Hauch Orwellschen Vokabulars und Parolen wie „Hunde, Katze, Maus, gesundheitlich ein Graus“ erinnern schon mal an eine gewisse schöne neue Welt.

Vanderbeke erzählt multiperspektivisch aus der jeweiligen Sicht ihrer ProtagonistInnen. Derjenigen von Jule Tenbrock, die zu Beginn von all den „schönen Dingen“ schwärmt, „die sie bereits gewonnen hatte und die sie noch vorhatte zu gewinnen“, der ihres Nachbarn, der in ihnen nur Kitsch und Plunder sieht, und eben aus der Perspektive der Frau mit dem Hund, die unvermutet in das Leben der beiden tritt. In dem Trio hat Vanderbeke drei Figuren zusammengeführt, die ungeachtet aller charakterlicher Unterschiede unmittelbar sympathisch sind.

Bei der kleinen Novelle handelt es sich nicht etwa um Warnutopie, wie dies bei postapokalyptischen Szenarien so oft der Fall ist. Vielmehr hat die Autorin eine fast schon anheimelnd gezeichnete Dystopie entworfen, die allerdings keineswegs ihren subtilen Schrecken verliert. Vanderbekes feiner Humor schwebt gleich einer Feder über dem Geschehen – mag die Lage der Frau mit dem Hund auch noch so Ernst sein. Und das ist sie wahrhaftig. Gleichwohl ist man stets voller Zuversicht, dass man sich nicht wirklich um das Wohlergehen der Heldin und der Ihren sorgen muss. Und so ist es denn auch eine sehr zuversichtliche, ja hoffnungsvolle Geschichte, die ahnen lässt, dass sich noch im Sammeln des elendsten Kitsches die Sehnsucht nach Leben verbirgt, die nur eines Anstoßes bedarf, um hervorzubrechen wie ein grüner Trieb nach einem warmen Sommerregen unter dem grauen Asphalt.

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Titelbild

Birgit Vanderbeke: Die Frau mit dem Hund. Roman.
Piper Verlag, München 2014.
148 Seiten, 8,99 EUR.
ISBN-13: 9783492304047

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