Schuld und Sühne in der Provinz

Über Reinhard Kaiser-Mühleckers Roman „Schwarzer Flieder“

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Er ist gerade einmal 32 Jahre alt, hat nun bereits seinen fünften Roman vorgelegt und ist längst über den Status des Geheimtipps hinausgewachsen. Die Rede ist von Reinhard Kaiser-Mühlecker, der in der oberösterreichischen Provinz aufgewachsen ist und der sich seit seinem 2008 mit dem Jürgen-Ponto-Literaturpreis ausgezeichneten unkonventionellen Debütroman „Der lange Gang über die Stationen“ kontinuierlich – und völlig abseits des literarischen Mainstreams – weiterentwickelt hat. Kaiser-Mühlecker ist ein Autor der leisen Töne, ein literarischer Entschleuniger, ein Schriftsteller, der am liebsten die Zeit anhalten und seine Leser zu einer Art inneren Einkehr animieren würde.

Sein neuer Roman knüpft an das deutlich umfangreichere Vorgängerwerk „Roter Flieder“ (2012) an, das um die oberösterreichische Bauernfamilie Goldberger und deren nationalsozialistische Vergangenheit kreiste. Der Protagonist Ferdinand Goldberger ist der Sohn des „schwarzen Schafs“ der Familie. Sein Vater Paul hat einst den elterlichen Hof verlassen und ist nach Bolivien ausgewandert, wo er als Priester und Lehrer gearbeitet hat und später von fanatischen Einheimischen getötet wurde.

Einzelgänger Ferdinand, der – wie Autor Kaiser-Mühlecker – in Wien Landwirtschaft studierte und danach im Ministerium arbeitete, hat sich offensichtlich in den Kopf gesetzt, seine Familiengeschichte zu rekonstruieren. Es wird ein schmerzhafter Weg mit vielen Schicksalsschlägen, und stets dreht sich alles um die Omnipräsenz der Vergangenheit, um vergebliche Neuanfänge und Fluchtversuche, um Verschweigen und Verstummen. Ferdinand selbst hat große Hoffnungen auf eine Wende in seinem Leben in das Wiedersehen mit seiner Freundin Susanne gesetzt. „Es war der entblößte Unterarm, der ihn erstarren ließ. Auf der gesamten Länge – von der Handwurzel bis zur Armbeuge – war er von unzähligen feinen, sich teilweise kreuzenden Narben und noch frischen Wunden übersät.“ Jene Susanne setzt ihrem Leben selbst ein Ende und zurück bleibt der immer verschlossener werdende Ferdinand.

Wie von inneren Stimmen getrieben, reist er nach Bolivien, will dort den Spuren seines Vaters nachgehen, kehrt zurück auf den Familienhof in Oberösterreich und wird auch dort mit Hass, Zorn, Gewalt und Tod konfrontiert. Sein Onkel Thomas hat im Streit seinen Ziehsohn Leonard, den Hoferben, erschlagen. Ferdinand gibt seinem inhaftierten Onkel gegenüber vor, den Familienhof retten zu wollen und verlangt im Gegenzug, dass der Onkel auch nach seiner Haft den Hof nicht mehr betreten darf.

Doch Ferdinand beginnt mit dem Rückbau des Hofes. Er verkauft das Gros der Ländereien und löst bestehende Pachtverträge auf. Eine deutliche symbolträchtige Abrechung mit dem Onkel und mit der durch schlimme Denunziationen während der Zeit des Nationalsozialismus vorbelasteten Familiengeschichte.

Reinhard Kaiser-Mühlecker, dem jüngst der mit 20000 Euro dotierte Literaturpreis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft zugesprochen wurde, präsentiert uns wieder Menschen, die sich an Scheidewegen befinden – Figuren, denen das Glück nur ab und an schüchtern zublinzelt, dann aber wieder hinter dunklen Wolken des Ungemachs verschwindet. Neu am Abschlussband der Roman-Trilogie über die Familie Goldberger ist die Radikalität, die Häufung der Gewaltakte und die daraus resultierende Stimmungsmelange aus Zorn, Hass und Rachegedanken.

Doch auch dieses literarische Terrain beherrscht Reinhard Kaiser-Mühlecker, und man spürt, dass hier ein Meister und kein Lehrling geschrieben hat. „Schwarzer Flieder“ liest sich ein wenig wie ein Dostojewski aus Oberösterreich, wie „Schuld und Sühne“ aus der Provinz.

Titelbild

Reinhard Kaiser-Mühlecker: Schwarzer Flieder. Roman.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2014.
236 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783455404708

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