Kollateralschaden in der Gesellschaft

Die österreichische Erzählerin Olga Flor

Von Halyna PasichnykRSS-Newsfeed neuer Artikel von Halyna Pasichnyk

Eine Spezialistin für die Lage der Dinge, eine Analytikerin der Gesellschaft – mit solcherlei Wendungen ließe sich die in Graz lebende Wiener Autorin Olga Flor wohl am treffendsten charakterisieren. Seit 2004 lebt sie von der Schriftstellerei. Sie gibt zu, eine Vorliebe für detailreiche Schilderungen und Analysen zu haben: „Der Punkt für mich war – ich habe Dinge sehr gut beschreiben können und Dinge gerne analysiert. […]“

In ihren bis jetzt erschienenen Texten stellt die Autorin eben diese erzählerischen ‚hard skills‘ unter Beweis. Im Roman „Die Königin ist tot“ von 2012 inszeniert sie eine Liebesgeschichte zwischen der aufstrebenden Europäerin Lilly und dem älteren, reichen Amerikaner Duncan als Tragikomödie. Gesellschaft, Familie sowie Geschlechterrollen ziehen sich als Themen durch das narrative Werk von Flor. In „Talschluss“, einem Roman aus dem Jahr 2005, wird die perfekt arrangierte Familienfestidylle in einem abgesperrten Tal zur erzwungenen Quarantäne. Hier endet ein scheinheiliges Familientreffen in einem offenen Machtkampf.

Die heile Welt bröckelt stückweise unter der Feder von Flor, bis sie in ihren Geschichten ganz aufgelöst wird. Ein bitterer Geschmack des Scheiterns ist alles, was zurückbleibt. Der Stil der Romane gaukelt dem Leser zunächst einen leicht verdaulichen Inhalt vor, dennoch regt die schonungslose Abrechnung mit der Gegenwart zum Nachdenken an. Es sind keine Kapitel, sondern Bilder, in denen Flor aus der Perspektive einzelner Figuren auf deren Welt blickt, in denen jedoch die Figuren meist in ihren Gedankenwelten gefangen und isoliert bleiben. Die Konsumgesellschaft lässt den Einzelnen in der Implosion seiner Gedanken vereinsamen. Die diplomierte Physikerin Flor hat ein Gespür für die (emotionale) Ökonomie ihrer Umgebung.

Für ihre Werke wurde sie bereits vielfach ausgezeichnet. Die Jury des Anton-Wildgans-Preises der österreichischen Industrie begründet im Jahre 2012 ihr Urteil folgendermaßen:

„Olga Flors literarische Auseinandersetzung mit Krisen unserer Zeit enthüllt in einer kühlen, oft technisch anmutenden, präzisen Sprache Strukturen einer ökonomisierten Welt, die dem Individuum wenig Spielraum offen lassen. Unerbittlich zeigt die Autorin soziale Konstellationen auf, führt die Kleinfamilie und die Geschlechterrollen vor und lotet mit feinem Gespür gesellschaftliche Machtgefälle aus.“

Nun hat Flor im Juni ihren zweiten großen Auftritt bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt. Nachdem Daniela Strigl die Autorin bereits 2003 zum Bachmannpreis eingeladen hat, wagt Flor nun einen zweiten Versuch. Damals konnten Flors Texte die Jurymitglieder Iris Radisch und Thomas Steinfeld nicht beeindrucken. Zu uninteressant seien einige Sätze gewesen, nicht beunruhigend genug die Geschichte um eine Alkoholikerin. Doch seitdem hat sich Olga Flor als Autorin weiterentwickelt; in ihrer Themenwahl ist sie sich jedoch treu geblieben. Sie lenkt den Blick der Leser auf die Begebenheiten unserer Zeit. In alltäglichen Situationen, ob beim Einkaufen im Supermarkt oder auf einem Familienfest, entlarvt sie die Abgründe der menschlichen Psyche.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen