Gefühle altern nicht

Über Sarah Schmidts Roman „Eine Tonne für Frau Scholz“

Von Kerstin KramerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kerstin Kramer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sarah Schmidt veröffentlichte im Frühjahr 2014 mit diesem Roman das vierte Werk im sympathischen Verbrecher Verlag. Es handelt sich dabei um eine Berliner Geschichte, weil sie erstens in der Hauptstadt spielt und weil sie so schön herb und besonders ist, wie das Leben in Berlin eben auch. In diesen Tagen wurde der Roman auf die „Hotlist“ unter die 30 besten Bücher aus unabhängigen Verlagen gesetzt. Das beste Buch wird schließlich auf der Frankfurter Buchmesse gekürt. Die Daumen sind gedrückt!

Nina Krone, die Hauptfigur des Romans, lebt 2010 in Berlin. Allerdings nicht in einer schicken Altbauwohnung mit jungen, kreativen Nachbarn, sondern in einem Mietshaus, in dem noch mit Kohle geheizt wird. Die Bewohner sind allesamt über 50 Jahre alt. Die Gesprächsthemen: Wetter und Krankheiten. Nina nervt das so sehr, dass sie beginnt, etwas zu verändern. Sie trägt der schwermütigen Frau Scholz jeden Tag den Kohleeimer mit Briketts bis vor die Haustür. Dieser stille Protest gegen die spießigen, still leidenden Nachbarn und gegen das Altern findet die Protagonistin angemessen. Vor ihrem Lebensgefährten Fritz rechtfertigt sie ihre Tat: „Weil ich ein guter Mensch sein will. Ach, echt keine Ahnung, ich will es einfach.“

Nina ist Mutter von Rafi (23) und Ella (26). Beide sind schon längst ausgezogen. Rafi ist „schlaff“, aber zufrieden. Ella ist ehrgeizig. Sie ist das Paradebeispiel einer modernen, unabhängigen Frau, die zu viel erwartet und zu viel zu leisten bereit ist. Nina kann Ella und ihren Freundinnen kaum mehr folgen: „Man bekommt schnell ein bisschen Angst vor dem inneren Stechschritt, mit dem sie ihr Leben zu meistern glauben. Da muss doch etwas passieren.“ Ella bemüht sich um ihre Mutter, steht zwischendurch einfach vor der Tür. Rafi nabelt sich ab, will mit seinem männlichen Lebensgefährten ein Kind adoptieren. Nina überfordert das, sie ist auf der Suche nach sich selbst oder aber einen Weg, das Selbst zu unterdrücken: „Eine echte, gute Droge für Leute über vierzig, die müsste gefunden werden.“

Im Laufe des Romans findet sie dieses Selbst, beziehungsweise eine Erklärung, wie es aussehen könnte. In langen Unterhaltungen mit Frau Scholz wird ihr klar, dass jeder Mensch liebenswert ist. Frau Scholz ist es satt, dass alte Menschen bemitleidet werden: „Innen drin werde man nie alt, die Gedanken und Gefühle alterten nicht mit dem Körper“. Das sind offene Worte der Nachbarin, die sich zunächst vehement weigert, Nähe zuzulassen. Und doch sind es die Worte, die auch Nina ihrer Tochter Ella ans Herz legen will. Ehrgeiz, Disziplin und die Flexibilität der neuen Generation machen nicht freier oder glücklicher.

Kurz: Ein Roman mit viel Witz, in dem jeder ein Stück von sich entdecken kann. Lesenswert!

Titelbild

Sarah Schmidt: Eine Tonne für Frau Scholz. Roman.
Verbrecher Verlag, Berlin 2014.
224 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783943167788

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