Sich ganz im eigenen Text verlieren

Ein Interview mit Anne-Kathrin Heier

Von Lisa-Marie GeorgeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lisa-Marie George

Anne-Kathrin Heier liebt Musik. Sie sagt, man müsse Texte nicht immer sofort begreifen, man könne Literatur auch anders aufnehmen, durch ein intuitives, gefühlsunmittelbares Lesen – ähnlich wie man Musik hört. In diesem Jahr ist sie beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb angetreten. Ihr Text Ichthys wurde von der Jury kontrovers diskutiert und löste auch beim Publikum entweder Unverständnis oder Begeisterung aus.

Im Interview erzählt Heier unter anderem, wie die Idee zu ihrem Text entstand – dem wohl außergewöhnlichsten Beitrag, der bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur 2014 vorgetragen, wenn auch am Ende leider nicht prämiert wurde.

Was hat Sie zu Ihrem Text, den Sie gelesen haben, inspiriert?

Ich sitze oft einfach an der Straße und beobachte, wie Menschen ihre Häuser verlassen. Ich beobachte, wie sich der Gesichtsausdruck verändert, nachdem sie drei Stunden für sich alleine waren und dann einer Art von Öffentlichkeit ausgesetzt sind. Diese komische Schwelle von Privat zu Öffentlich, sie blitzt immer wieder unterbewusst in allem auf, was ich mache.

Inwieweit haben Sie sich in der Jurydiskussion über Ihren Text verstanden oder missverstanden gefühlt?

Ich habe mich von Burkhard Spinnen und von Juri Steiner verstanden gefühlt. Ich konnte nachvollziehen, was sie gesagt haben, und ich war froh über ihre Stimmen, weil es ja auch einen heftigen Gegenpol gab. Wenn ich den Text vorher Freunden vorgelesen habe, die auch mit dem Literaturbetrieb zu tun haben, dann hieß es immer: Du wirst damit extrem polarisieren. Deswegen war ich auf die Reaktionen vorbereitet. Was mich im Nachhall nahezu gefreut hat, war, dass ich auf eine rigorose Antihaltung bei einer Person gestoßen bin, die für mich eine im Text auch vorkommende Gruppe von Menschen repräsentiert und von der sich das lyrische Ich distanziert. Damit hat eigentlich der Text genau das bewirkt, was ich damit erreichen wollte: Es geht auch um Abgrenzung. Um eine eigene Stimme. Vor allem abseits der Fernsehübertragung gab es viele Reaktionen, sowohl von Juroren als auch von Zuschauern, die mir sehr wichtig sind oder wurden. Dafür hat sich alles gelohnt. Das ist etwas, was bleibt.

Kann man Ihren Text einer bestimmten aktuellen Richtung zuordnen?

Nein, überhaupt nicht. Ich habe natürlich so etwas wie Vorbilder, aber mich begleiten und beschäftigen auch andere Dinge im Alltag: die Zusammenarbeit mit Musikern und mit Filmemachern. Sie gibt mir, im Moment zumindest, mehr und bereichert meine Sprache und erweitert den Raum, in dem ich mich bewege.

Können Sie das erläutern? Warum sind Ihnen andere Medien so wichtig und wie helfen sie Ihnen beim Schreiben?

Viele Leute hier haben gesagt, dass mein Text stellenweise so künstlich ist. Ich sehe das gar nicht so. Es gibt diesen Dialog zwischen Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt, in dem sie sich über das Artifizielle in der Kunst streiten. Da heißt es, dass man immer wieder den Boden der Realität berühren muss, damit das Ganze einen Wiedererkennungseffekt und überhaupt einen Reiz für den Leser hat – ihm einen Rahmen gibt. Und auch, dass man selbst keinen Spaß mehr hat, wenn alles im schwarzen Loch der Abstraktion verschwindet.

Diese Zusammenarbeit mit anderen Künstlern, meine journalistische Arbeit und die Zusammenarbeit mit dem Kontrabassisten Jo Alisch und dem Filmemacher Fabian Altenried, der auch mein Autorenporträt für den Wettbewerb gemacht hat, helfen mir sehr. So finde ich immer wieder einen neuen Boden der Realität. Das ist für mich der Blick über den Tellerrand. Wenn man nur mit Autoren zu tun hat, dann ist das Risiko, sich in der Künstlichkeit zu verlieren, wahrscheinlich größer. Ich glaube, man muss die Augen weit aufmachen und wahrnehmen, was um einen herum passiert.

Wie verläuft der Schreibprozess bei Ihnen?

Ich arbeite relativ viel als Journalistin für ein lokales Nachrichtenportal im Großraumbüro. Ich versuche, die Nächte auszunutzen. Das klappt nicht immer. Aber im besten Fall setze ich mich um neun Uhr am Abend hin und wundere ich mich beim nächsten Blick auf die Uhr, dass es schon morgens fünf Uhr ist. Einerseits geht mir dann panisch auf, dass ich in drei Stunden wieder im Büro sein muss und andererseits gibt es dieses Glücksgefühl; es ist schön, sich im Text zu verlieren und die Zeit dabei zu vergessen. Nichts trinken, nichts essen, einfach nur schreiben und Kette rauchen… (lacht). Das ist wie ein Vulkanausbruch. Danach kommt ein ständiges Überarbeiten, über Monate hinweg. Aber der Grundton meiner Sprache bleibt – das bin ich. Und dabei geht es nicht darum, ob andere das gut oder schlecht finden. Im Entstehungsprozess dürfen äußere Stimmen keine Rolle spielen.

Können Sie eine oder auch mehrere Personen benennen, die Ihren Text lesen sollten, egal, ob noch lebend oder gestorben?

Ich habe schon jemandem meinen Text gegeben, von dem ich mir gewünscht habe, dass er ihn liest. Ich habe vorsichtig Kontakt zu René Pollesch aufgenommen, den ich wirklich verehre. Er hat mir am Tag meiner Lesung um neun Uhr morgens eine Nachricht geschrieben. Ich wusste, dass er zusieht. Das hat mich irgendwie sicherer gemacht.

Handelt es sich bei Ihrem Wettbewerbstext um einen Auszug aus Ihrem Roman, an dem Sie gerade arbeiten, oder haben Sie ihn für Klagenfurt geschrieben?

Ich habe den Text nicht extra für Klagenfurt geschrieben. Er ist auch in einer Nacht entstanden, dann folgte wieder dieser ewige Überarbeitungsprozess.

Ich gehe einmal im Jahr auf die Seite literaturport.de unter „Preise und Stipendien“. So war das auch genau einen Tag vor Ablauf der Bewerbungsfrist. Es ist absurd, dass alles so schnell ging.

Der Text ist die erste Erzählung aus einem Erzählungsband. Einen Roman gibt es auch. Es sind zwei Manuskripte, die ich aber noch nicht großartig gezeigt habe. Ich bin jetzt bei der Elisabeth Ruge Agentur und fühle mich dort gut aufgehoben. Ich habe keine Angst in Klagenfurt zu lesen, aber ich habe eine große Angst davor, zu publizieren. 

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen