Ein experimenteller Meilenstein der Weltliteratur
William Faulkners Roman „Schall und Wahn“ in einer beeindruckenden Neuübersetzung
Von Manfred Orlick
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDer Roman „Schall und Wahn“ („The Sound and the Fury“), erschienen 1929, ist eines der frühen Werke des amerikanischen Schriftstellers William Faulkner (1897-1962) und gehört dennoch zu den Klassikern der Weltliteratur des 20. Jahrhunderts. Für Faulkner war es sogar „dasjenige meiner Bücher, das ich am meisten liebe“.
Am Beispiel der einst stolzen und einflussreichen Familie Compson aus dem fiktiven Jefferson erzählt Faulkner vom Niedergang des alten amerikanischen Südens, das ein zentrales Thema seines gesamten Schaffens war. Hier bedient er sich allerdings eines ungewöhnlichen Erzählstils, denn das Familienschicksal wird an nur drei aufeinanderfolgenden Apriltagen des Jahres 1928 dargestellt, wobei immer wieder verschlungene Rückblenden eingebaut sind.
Am ersten Tag des Romans wird der beklemmende Alltag der Familie aus der Sicht des erwachsenen und geistig behinderten Benjamin (Benjy) geschildert. Obwohl seine Betrachtungen und Sinneseindrücke zusammenhangslos und geheimnisvoll wirken, wird hier die äußere Handlung zur Innenperspektive. Ergänzt werden Benjamins verworrene Gedankengänge durch die Erinnerungen einer seiner Brüder, wobei der Roman einen Zeitsprung um fast achtzehn Jahre zurückmacht.
Am zweiten Apriltag, der allerdings einen Tag vor dem ersten Romanabschnitt liegt, schildert Benjamins älterer Bruder Quentin seine Sicht der Dinge. Faulkner hat ausgerechnet jenen Tag gewählt, an dem der depressive Harvard-Student Selbstmord begeht. Er genügte seinen eigenen gesellschaftlichen Ansprüchen nicht und stürzte sich von einer Brücke in den Tod. Während im ersten Teil der innere Monolog von Benjamin vorherrscht, ist das zweite Kapitel von einem gehobenen Erzählstil geprägt.
Den abschließenden dritten Teil (Ostersonntag 1928) erzählt Jason, der jüngste der Compson-Söhne, in einer realistischen Sprache. Nach dem Tod des Vaters hat er die Rolle des Familienvorstands übernommen, die er aber nicht ausfüllen kann. Er hat jahrelang die Unterhaltszahlungen unterschlagen, die seine Schwester Candace (Caddy) ihrer Tochter geschickt hat; mit diesem Geld verspekuliert er sich jedoch an der New Yorker Börse. Das schürt seinen Hass auf alle, auf die Welt, die Juden und die Schwarzen.
Neben Benjamin ist die schwarze Hausangestellte Dilsey die heimliche Heldin des Romans, sie ist das ausgleichende Element im Haus der Compsons. Geduldig versucht sie immer wieder, die Streitereien ihrer Herrschaft zu glätten und die auseinandertriftenden Familienmitglieder zusammenzuhalten. Am Ende scheint nur Caddys 16-jährige Tochter Quentin (sie heißt genauso wie ihr Onkel) dem Niedergang der Familie zu entkommen. In einem Anhang gibt Faulkner abschließend noch einen kurzen, aber detaillierten Überblick über die bewegte Vergangenheit der Compsons seit dem 17. Jahrhundert. „Schall und Wahn“ ist, wie die meisten Romane Faulkners, keine leichte Lektüre. Die Handlung wird zersprengt von Rückblenden, Schnitten und inneren Monologen. In jedem Teil wechselt die Erzählperspektive. Trotz dieses experimentellen und innovativen Erzählstils gelingt es dem Autor immer wieder, den Leser mit der tragischen Wucht der Geschichte und der Sprache zu fesseln und die Spannung wachzuhalten. Faulkner stellt seine Protagonisten realistisch dar, ohne ihre Charakterschwächen zu beschönigen. Der Roman ist noch heute ein Klassiker der Moderne, der erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der US-amerikanischen Literatur gehabt hat. Er wurde 1959 („Fluch des Südens“) unter der Regie von Martin Ritt und mit Yul Brunner und Joanne Woodward verfilmt.
Im Rowohlt Verlag liegt die Familiensaga nun in einer Neuübersetzung von Frank Heibert vor. Indem es ihm gelungen ist, den unterschiedlichen Sprachrhythmus Faulkners einzufangen, hat er den Roman mit einer modernen Sprache zu einem wahren Lektüreerlebnis für den heutigen deutschen Leser gemacht, vor allem die Integration des Schwarzen-Jargons in den Text ist beachtenswert. In einem Nachwort erläutert Heibert ausführlich seine Vorgehensweise.
|
||