Der höfliche Gast

Ferdinand von Schirachs „Spiegel“-Essays als Buch

Von Michael DuszatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Duszat

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Den Autor Ferdinand von Schirach muss man nicht lange vorstellen, weil er zur Zeit zu den berühmtesten deutschen Schriftstellern gehört und einen interessanten Namen hat. Nach Erzählungen und Romanen hat der Piper Verlag jetzt eine Sammlung von ursprünglich im Spiegel erschienen Essays herausgebracht. Eine Hälfte davon beschäftigt sich mit Aspekten von Recht und Gerechtigkeit, die andere mit Vermischtem (zum Beispiel Schreiben, Rauchen, Leben).

Von Schirachs Stil folgt einem Ideal der Ruhe und Transparenz. Die Sprache ist die eines Mitfühlenden, immer persönlich Beteiligten, der aber seine Distanz wahrt. Alles wird möglichst deutlich und verständlich ausgedrückt, oft aufs Nötigste komprimiert, und gelegentlich auch pointiert. Nur manchmal finden sich in ihrer Reduziertheit etwas pathetische Formulierungen: „Dann passierte es. Nach einer Lesung fiel ich in einer Hotelhalle um. Einfach so.“ Überwiegend liest sich von Schirach wie ein höflicher, zurückhaltender, möglicherweise etwas steifer Gast, den man gerne einmal erzählen lässt.

Die Texte zu Recht und Gesetz funktionieren in erster Linie als Argumentationen. Hier kennt sich der Autor aus, wie man aus seinen Erzählungen weiß. Er holt sein Publikum immer freundlich ab: „Haben Sie das Kanzlerduell gesehen?“ fragt er uns zum Beispiel im Titelessay. Anschließend legt er eine oder mehrere Positionen dar, zum Beispiel zur Frage, ob das Leben eines Menschen mehr wert sei als das eines anderen.

Die Wege, die durch einen Essay führen, sind vielfältig, so auch bei von Schirach: Rationale Überlegungen spielen eine ebenso große Rolle wie Assoziationen und Erinnerungen. Am Ende kommen wir aber immer am Ziel an: bei einer Haltung nämlich, die sich vielleicht als „aufmerksame Behutsamkeit“ begreifen lässt. Wir sollen keine Menschen verurteilen, wenn wir uns nicht wirklich mit ihnen beschäftigt haben; wir sollen nicht alles glauben, was wir hören; wir sollen uns immer wieder klarmachen, dass unsere demokratische Verfassung ein teures und zerbrechliches Gut ist; und natürlich soll, obwohl es ständig passiert, die Würde des Menschen eben nicht angetastet werden.

Wenn es um andere als seine Kernthemen geht, kann es passieren, dass man von Schirach eher aus Höflichkeit beim Reden zuhört. Zum Thema Rauchen fällt ihm zum Beispiel ein, den Nichtraucherschutz als Vorboten eines kommenden Gesundheitswahns zu interpretieren. Zum Untergang des gedruckten Buches sagt er, dass er sein iPad zwar gut findet, aber gedruckte Bücher auch gern hat. Ähnliches wird man schon irgendwo anders gehört haben.

Mit dem Begriff „Essay“ reiht sich von Schirach auch in eine Gattungstradition ein, und insofern darf man auch fragen, wie er dieses Genre behandelt. Dazu möchte ich kurz sagen, dass die überwiegende Zahl, wie angedeutet, Meinungsessays sind, in denen es darum geht, eine Position verständlich zu machen und als die richtige zu vertreten. Daneben gibt es einige autobiografische Essays, die weniger argumentieren als erzählen, eine ausgeweitete Rezension sowie ein kleines Formexperiment, nämlich einen Essay als reinen Fragenkatalog.

Alle Texte sind übrigens auch frei im Archiv des Spiegels zugänglich, wo sie zuerst erschienen sind. Wer also noch nicht weiß, ob er oder sie das Buch lesen möchte und sich noch die Frage stellt, ob ihm oder ihr der Stil und die Haltung des Autors angenehm sind, kann das online selbst nachprüfen.

Wenn man das entschieden hat, stellt sich noch die Frage, inwiefern einem das Format „Buch“ sympathisch ist, weil es vielleicht eine andere, weniger hektische Lesehaltung ermöglicht. Hierzu ist zu sagen, dass das Buch, in dem die Texte versammelt sind, hübsch aussieht, und dass die Texte großzügig gesetzt und in einer vornehm wirkenden Schriftart erscheinen.

Titelbild

Ferdinand von Schirach: Die Würde ist antastbar. Essays.
Piper Verlag, München 2014.
144 Seiten, 16,99 EUR.
ISBN-13: 9783492056588

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