Die Suche nach dem grammatikalischen Geschlecht
Peter Blickle präsentiert skurrile Lektionen zur „Grammatik der Männer“
Von Erhard Jöst
Besprochene Bücher / Literaturhinweise„So, jetzt ist die Scheiße am Dampfen. Was? Wer ein junges Ding ficken will, der wacht leicht neben einem alten Drachen auf.“ Diese umwerfende Überlegung stellt ein Herr Porno an, einer der Protagonisten, der eine Lektion in Peter Blickles Buch „Die Grammatik der Männer“ liefert. Wenn der Leser Pornos obszönen Spruch liest, befindet er sich in der sechsten Lektion: Es stehen ihm also noch weitere dreizehn bevor. Au weia! Ob er das durchhält? Der Rezensent hält pflichtbewusst durch, auch wenn der Ärger über den Kauderwelsch phasenweise ins Unerträgliche steigt. Warum hat er sich auch auf diese Buchbesprechung eingelassen?
Zum einen mag es am rätselhaften Titel gelegen haben. Was versteht der Autor unter einer Männer-Grammatik? Eine Sprachlehre der Männer? Eine systematische Beschreibung der Männersprache anhand von Beispielen? Erlebnisse mit männlichen Denk-Abläufen? Eine Grammatik erzeugt normalerweise Sätze, die von bestimmten Interpreten erkannt werden. Nach Beendigung der Lektüre erkennt der Rezensent jedoch, dass er nicht zum Kreis der Insider gehört, der eine von Blickle produzierte Männer-Grammatik versteht.
Diese kunstverständigen Sprach- und Literaturkritiker scheint es allerdings zu geben. Jedenfalls schlagen zwei davon euphorisch die Werbetrommel für Blickles Buch. Deren Statements sind auf der letzten Umschlagseite abgedruckt: „Anrührend und aufwühlend zugleich und gut erzählt sind Peter Blickles Geschichten über die vielfältigen Leiden der Liebe, die sich zu einem romanhaften Ganzen runden“, schwärmt Karl-Heinz Ott. Und Arnold Stadler lobt „die Grammatik der Männer“ als „eines von jenen Büchern, die man nicht vergisst, es bleibt ein Nachklang, ein Buch wie ein Film, mit vielen Bildern von Menschen und was sie gesagt haben, bleibt zurück, wie auf einem Nachhauseweg.“
Diese gespreizt formulierten Elogen mögen ein weiterer Anreiz für den Rezensenten gewesen sein, weshalb er sich das Buch voll Neugier vorgenommen hat. Woran mag es liegen, dass er die Lobeshymnen nicht bestätigen kann? Vielleicht muss man, wie Peter Blickle und seine Lobredner, aus Oberschwaben oder der Bodensee-Region stammen, um sich an dem obskuren Männer-Grammatik-Sammelsurium erfreuen zu können.
Die Claqueure behaupten, dass sich aus den 19 Kapiteln ein „Roman“ ergäbe, „ein Panorama“ der Gegenwart. Den Beweis für diese Behauptung bleiben sie freilich schuldig. Sie müssen ihn schuldig bleiben, weil sich wild zusammengewürfelte Erzählsplitter beim besten Willen nicht zu einem Roman zusammensetzen lassen.
Der Klappentext wirft zu Beginn die Frage auf: „Wovon dieser Roman denn handelt?“ Da manch ein Leser die Antwort selbst nicht finden wird, nimmt er sich nach der Lektüre des Buchs diesen Text vielleicht noch einmal vor und wird aufgeklärt: „Zum Beispiel von der noch streng verbotenen, jedenfalls sehr verwirrenden Liebe unter Fußballern.“ Toll. „Auch von einer überaus schüchternen ersten Liebe in den russischen Steppen Doktor Schiwagos.“ Noch toller, wenngleich die russischen Steppen in dem Buch gar nicht vorkommen. Immerhin läuft in der Teenage-Love-Lektion der Spielfilm „Doktor Schiwago“ im Hintergrund – das muss genügen, um weite Steppen für die Buchwerbung einzuspannen. „Von der blutigen Liebe eines Chirurgen im Operationssaal.“ Am tollsten. Und von einer „Notfallretterliebe“ berichtet Blickle, von der „Männerangst vorm ersten Mal“, von der „verunsicherten Liebe eines Prostatakranken“, von „der eifersüchtigen Liebe eines Witwers zu seiner Frau im Himmel“ et cetera. Eine Liebe toller als die andere. „Die Grammatik der Männer“ sei, „alles in allem: ein kaleidoskopischer Gesellschaftsroman über ein sich wandelndes, immer wieder überraschendes Subjekt in einem faszinierenden Spektrum von Möglichkeiten. Auch eine Art Geschlechterverständigungsbuch.“ Aha, dann fehlt dem normalen Leser offenbar die Verständigungsbereitschaft für Geschlechter oder für die abgehobenen Fantasien eines spleenigen Erzählers.
Illustre Figuren geistern durch bizarre Geschichten: Manfred Kurath, Maurerpolier und Fußballtorwart, trägt „jenes weiße, glänzende Handtäschchen mit auf den Platz“, wodurch er seine Homosexualität erkennen lässt. Der schlecht rasierte Freitag Franz verkündet seine Lehre: „Willst du ein Mädchen, lässt du die Socken an. Willst du einen Buben, ziehst du sie aus.“ Der steifnackige Porno ist zusammen mit dem Meineid im Einsatz, der Schark Heinz erzählt mit hoher Stimme, dass seine Frau einmal einen Wecker gekauft hat, der „so getan (hat) wie das Telefon bei uns auf der Wache“, weshalb sie ihn „sofort zurückbringen“ musste. „Dann hat die dumme Schnalle einen für hundertneunundzwanzig Eier gekauft, Einhundertneunundzwanzig! Also ich kann dir sagen – die Weiber, manchmal. Aber mir soll’s egal sein, sagte er.“ Der Heinz wird dann zur Frau Heinze, denn: „Von Heinz zu Heinze war es nicht weit.“ Die Frauen, die ab und zu mitspielen dürfen, sind blond, peroxidblond. Es wird auch einmal die Tante Lisa aus Amerika erwähnt. Es taucht Libussa Janikova aus Padubitz in der Tschechischen Republik auf. Und die Libuse verfügt über eine Fähigkeit, die staunen lässt: „Aber sie kannte die Grammatik der Männer. Nicht einmal die Nacht war ihr treu.“ Sie beobachtet ihren „Zukünftigen“: „Je mehr er redete, desto leerer wurde er. Es gibt so viele Möglichkeiten, unterbrach sie ihn. Es gibt die Straße, das Meer, die Lichterstrudel über den Weizenfeldern im Juli. Es gibt die Herbstnebel, die Uniformen, Fahnen und Schildmützen. Ihn gab es nicht. Aber das sagte sie nicht. Alles in Ordnung, sagte sie und wandte sich ab, um dem Nächsten die Hand zu reichen.“
Auch Filmschauspieler wie Cary Grant und Penelope Cruz und literarische Figuren wie Werther und Lenz verirren sich zuweilen in die Kulissen der Männergrammatik – warum auch immer. Eine Frau Faulhaber kommt in die Klinik: „Ja, ja, die Gebärmutter stark vergrößert. Aber wie es unser Herrgott eben will.“ Und der Praktikant, der bei der Operation zum ersten Mal anwesend sein darf, hat Glück, dass er seinen Verdacht, der Chirurg habe das Ichthyol-Tuch in der Bauchhöhle vergessen, nicht äußert. Es stellt sich heraus, dass die Vermutung nicht zutrifft. „Er hatte Glück gehabt. Er hatte nichts gesagt. Er hatte alles richtig gemacht. Er hatte den Schnippler schnippeln lassen. Glück gehabt. Gute Erziehung, dachte er, machte sich bezahlt. Maul halten und nur reden, wenn du gefragt wirst, und auch dann nur manchmal. Er war erleichtert. Diese Prüfung hatte er bestanden. Er gehörte schon ein wenig mehr dazu als am Morgen noch.“
In der mit „Strafarbeit“ überschriebenen Lektion geht es um die Lehrer, die es am Anfang nicht gab: „Jeder, der die Bibel gelesen hat, weiß: Am Anfang gab es Menschen und Tiere und Himmel und Erde und Sterne und Wasser, aber Lehrer gab es nicht. Und auf der Arche Noahs gab es auch keine Lehrer. Lehrer wurden (…) erst später erfunden.“ Der Erzähler geht im Auftrag von Peter Blickle der Frage nach, woher die Lehrer kommen. Und er macht den „Erfinder des Lehrers“ ausfindig: „Der Erfinder des Lehrers war Anfang vierzig. Er war ein kleiner Schweizer namens Ruedi. Eigentlich war Ruedi Bauingenieur. Ruedi war manchmal gut drauf, aber meistens war er es nicht. Das lag daran, dass Ruedi unglücklich verheiratet war. Ruedi war nur glücklich, wenn seine Frau verreist war. Unglücklich war er die übrige Zeit. (…) Ruedi ist, wie schon gesagt, Bauingenieur. In der Schule hat er keine guten Erfahrungen gemacht. Lehrer und Schulen will er so schnell wie möglich vergessen.“ Es ist anzunehmen, dass der Erfinder des Lehrers, den Blickle ausfindig machen konnte, ebenfalls schnell vergessen wird. „Er liegt in einem bescheidenen Grab in der Schweiz beerdigt, dessen Grabstein in kleinen Lettern verrät: Hier ruht ein Herz ohne Fehl und Tadel. Ruedi K. Wröbli, der Erfinder des Lehrers.“ Lässt die Grammatik der Männer eigentlich auch Steigerungsformen zu, zum Beispiel von dem Wort „doof“?
Peter Blickles Buch „Die Grammatik der Männer“ liest man als vergebliche Suche nach dem (grammatikalischen) Geschlecht, nach der Liebe, nach Sinn und Form. Der Autor hat seinen dubiosen Assoziationen freien Lauf gelassen. Häufig formuliert er Fragesätze, wohl in der Absicht, den Leser einzubinden und nach Antworten suchen zu lassen. Im Buch findet der Leser sie jedenfalls nicht. Er wird noch nicht einmal darüber informiert, welche Person was und warum sagt oder denkt. Und so fragt sich der unvoreingenommene Leser nach der Lektüre, wieso die Western Michigan University „die Arbeit an diesem Roman durch ein großzügig gewährtes Forschungssemester und einen Faculty Scholar Award, sowie die Druckvorbereitung durch den Fonds für Preparation an Publication of Papers and Exhibitions of Creative Works unterstützte“. Der Verlag hat sich darüber sicherlich gefreut. Mal sehen, ob es auch Leser gibt, denen das Buch Freude bereitet. Der Rezensent suchte jedenfalls vergebens nach Lektionen, die ihn hätten erfreuen können.
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