Georg Trakls poetische Existenz
Zu Rüdiger Görners dichter Werk- und Lebensschau des österreichischen Lyrikers
Von Sebastian Thede
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWozu Biografie? Rüdiger Görners umfangreich recherchiertes wie auch präzise ausgearbeitetes Buch über Georg Trakl spiegelt immer wieder dezent die lässlichen Fallstricke der Beschreibung dieses sich entziehenden Dichterlebens. Zu den Vorzügen einer jüngeren Aufarbeitungspraxis von literarischen Curricula Vitae gehört die kenntnisreiche Konzentration auf einen panoramatischen Blick, der den historischen Wissenshorizont und die Diskurse umfasst, mit denen die jeweiligen Autoren beschäftigt waren, ebenso wie die akkurate Integration ihrer Texte, ohne dass deren Auslegung auf ein In-Eins-Fließen beider Erfahrungsbereiche reduziert würde. Auch Görner setzt auf die Vermittlung interpretatorischer Lektüren von Trakls Gedichten mit dem nicht minder behutsamen Anordnen und Auslesen zahlreicher Dokumente um das Leben des Salzburger Lyrikers.
Beide Stränge werden chronologisch gegeneinandergehalten, von Trakls Anfängen als Theaterautor und -kritiker über seine Geltung im Umkreis der von Ludwig von Ficker herausgegebenen Halbmonatsschrift Der Brenner bis zur Stationierung in den galizischen Feldern bei Grodek – jenem Kriegsschauplatz, der zur poetischen Todesstätte der berühmten „ungeborenen Enkel“ in Trakls letztem Gedicht werden sollte. Dazwischen werden gerüchteweise in Umlauf befindliche Boulevardismen, wie jene Mutmaßungen um ein inzestuöses Verhältnis zur Schwester Grete, diskret zur Kenntnis genommen und auf ihren Platz verwiesen, aber auch seltener Behandeltes aufs Parkett geführt, etwa die Auseinandersetzung mit einer prägnanten, in wenigen Linien ausgeführten Karikatur des Dichters aus der Hand Max von Esterles, die auch den Umschlag des Buches ziert. Rüdiger Görner ist beim besten Willen keine thematische Eindimensionalität vorzuwerfen.
Auf diese Weise trägt sein Wechselmodus zwischen Zeugnisdarstellung und Gedichtinterpretation den Bedingungen des Entgleitenden in Trakls Existenz Rechnung. „Man bleibt gut beraten, das Charakterbild dieses Dichters nicht abzuschließen. Denn zu vieles in seinem kurzen Leben verweigert sich der Biografie und darstellenden Schlüssigkeit“, lautet die notwendige, wenn auch nicht überraschende Konklusion. Eine dezidiert assoziative Annäherung kündigt diesen Modus bereits im als „Vorworthafter Dreiklang“ betitelten Einleitungskapitel an. Der erste dieser Klänge wird von einem Tagebuchauszug Görners dirigiert, welcher im Anschluss an dessen Kinobesuch von Christoph Starks spekulativem Georg-und-Grete-Biopic Tabu – Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden aus dem Jahr 2011 entstanden ist. Zwar wirken allzu persönliche Einlassungen dieser Manier häufig etwas deplatziert, sie erzeugen hier allerdings auf nicht uninteressante Art und Weise Raum für die Frage nach der Biografie.
Indes ist wenigstens ein bezeichnend fixes Datum in Trakls Leben auszumachen: sein Sterben. Mit den derzeit großangelegten Erinnerungen an die hundertjährig vergangenen Ereignisse des Ersten Weltkrieges sind demnächst auch einige runde Todestage junger Künstler zu verzeichnen. Nachdem 2011 das expressionistische Initialgedicht „Weltende“ von Jakob van Hoddis zur Feier des ersten Säkulums seines Bestehens kaum neu gelesen, nachdem 2012 des absurden Todes Georg Heyms im Eis der Havel kaum gedacht wurde, gibt Trakls Kokaintod vom 3. November 1914 schließlich einen Termin vor, der in Görners Buch eine passende Würdigung findet. „Wie bezeichnend wenig weiß man von diesem verfehlten Leben Trakls“, fragt er in seinem Tagebuch; „einiges mehr freilich von dem abgrundtief melancholischen, geglückten Werk“. Eine kluge Brücke zwischen beiden zu bauen, ist Görners Vorhaben.
Es gelingt, denn nicht nur strahlt in den meisten Ecken und Enden der text- und quellenkritisch detaillierte Überblick des Literaturwissenschaftlers, auch die Maschen des Verwebens beider Bereiche kommen nachvollziehbar zur Geltung. Trakls visionär-chloroformiertem Dasein hinter Schreibtischen und Apothekerschaltern wird der Zauber des Mystischen und Suggestiven, das jugendlich Verlebte und Narkotische, das für viele Gymnasiasten nach wie vor reizvoll sein mag, nicht entrissen. Die Instrumente der Lyrikanalyse arbeiten diese Elemente innig nah an den Gedichten ab, ohne dass sie sie überstrahlen. Görner bleibt immer lesbar, wird nicht hermetisch-professoral, auch wenn sein dafür zuweilen persönlicher Stil und investierter Eifer auf die Dauer kalt lassen. Hin und wieder wird die philologische Gründlichkeit durch die ein oder andere Fantasie zerrissen, etwa wenn Görner hinsichtlich der für Trakls Gedichtband Sebastian im Traum freilich prägnanten Titelreferenz schreibt: „Man darf mit Fug eine Selbstidentifizierung Trakls mit dieser Gestalt annehmen.“ Nichts gegen deutliche Statements, aber gerade der mit den zahlreichen Quellen ausgelöste Drang zur Genauigkeit im Ambivalenten führt ja permanent jene Miseren von Spekulations- und Annahmesentenzen vor Augen, denen mit derartigen Sätzen dann doch wieder beigepflichtet wird.
Trotzdem: Die ausführlichen Deutungen Görners bleiben das Herzstück. Wer Genaues über die mannigfaltigen ästhetischen Einflüsse – seien es Rimbauds Innovationen oder Passagen der Heiligen Schrift – lernen möchte, oder von einem famos ausgeführten Kapitel über „Poetische Farbwelten oder Schwierigkeiten mit dem (lyrischen) Ich“ Erkenntnisse erwartet, die über einen deskriptiven Lehrbuchansatz hinausgehen, erhält Gewünschtes, zumal nicht nur die Reichhaltigkeit der Traklschen Dichtungen abgebildet ist, sondern löblicherweise eine merkwürdig versunkene Lust an Lyrik überhaupt neu entfacht wird. So manche erfrischende Perspektive, die etwa herkömmliche, auf die Ideengeschichte der Moderne abgerichtete Lektüren und konsensuale literaturhistorische Rubrizierungen differenzierter gestaltet, vermag zu überraschen.
Im Laufe des Textes nehmen Zitate mehr und mehr Raum ein, deren Ausführlichkeit in den besten Momenten legitim erscheint, in den schlechtesten aber nur um Zentimeter den Eindruck einer anthologischen Zusammenstellung verfehlt. Die vielen Originaltexte führen zudem nur zu gut den pathetischen Ballast vor Augen, mit dem Trakls zweifelsohne denkwürdige Sprache beschwert ist. Die frühen, noch unangenehm gereimten Gedichte verstärken intensiv diesen Verdacht des Antiquierten.
Umso interessanter wäre es gewesen, eine deutliche Position hinsichtlich der Aktualität Trakls vorgelegt zu bekommen, vielleicht mit Blick auf seine etwaige poetische Reichweite auch in die Gegenwartsliteratur. Das Kapitel zum „Nachleben im Ungeborenen“ erfüllt diese Aufgabe leider nicht, dafür wird aber gewohnt kompetent über zeitlich nähere und fernere Rezeptionsaspekte informiert: Klaus Manns Verehrung, Martin Heideggers bemerkenswerte philosophische Auseinandersetzung oder Frank Schirrmachers kanonisierende Aufnahme des Dichters in den Poetenolymp des 20. Jahrhunderts.
So bleibt am Ende die Immanenz, der Eigenwert des Traklschen Schaffens, das Brachiale seiner „bejahten Negativität, die alle farbmetaphorischen und sprachklanglichen Register zog, die ihm bis dahin zu Gebote standen“. Man kann gleichwohl von einer solchen Ästhetik nach der Lektüre dieses interessanten Buches durchaus behaupten, dass sie einem ironiesüchtigen Zeitalter wie dem unseren mitunter nicht mehr ganz exakt passen möchte. Daneben strahlen aber noch immer jene Fragmente eines modernen Künstlerlebens, dessen Reize und Ich-Krisen auch heute nicht auserzählt sind. Görners Unterrichtung von Trakl ist eine Einladung, etwaige Lücken im Kenntnisstand über diesen Frühverstorbenen so weit wie vernünftig aufzufüllen, um davon produktive Neulektüren sekundieren zu lassen. Die Anregung in Richtung des Lesers für eigene frische Blicke in „Blutschuld“, „Winternacht“ oder „An den Knaben Elis“ ist unverkennbar. Man bekommt auf diese Weise einen maximal zuhandenen Trakl: Denjenigen der Gedichte nämlich, denjenigen, dessen kurzes Leben zu einem nicht überschätzbaren Teil aus dem Schreiben bestand. Für einen kontrollierten Einblick in dieses empfiehlt sich Görners Buch.
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