Dichterisches Erntefest

Literaturpreise und Preislandschaft im deutschsprachigen Raum – eine kleine Einführung

Von Thomas StachelhausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Stachelhaus

Der Herbst ist nicht nur Erntezeit für die Gaben der Natur, sondern zugleich auch Hoch-Zeit der Dichter*innenkrönungen. Seit Wochen verteilen Akademien, Stiftungen und öffentliche Institutionen Lorbeerkränze, Preisgelder und singen Lobeshymnen auf zeitgenössische Autor*innen, nahezu täglich wird ein Literaturpreis verliehen, durchschnittlich sogar mehrere Preise pro Tag. Am vergangenen Wochenende wurden zwei der renommierteren Preise vergeben: Michael Köhlmeier erhielt den Walter-Hasenclever-Literaturpreis der Stadt Aachen, in Berlin kämpften 22 Autor*innen um den begehrten Nachwuchspreis open mike (ausgelobt von der Literaturwerkstatt Berlin). Bei der Fülle von Preisen den Überblick zu behalten, fällt schwer. Das ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass sich seit zwanzig Jahren eine flächendeckende Expansion von Literaturauszeichnungen beobachten lässt, deren literaturbetriebliche und kulturpolitische Dimension noch offen ist. Zwar ist das wissenschaftliche Interesse am Phänomen Literaturpreise in den letzten 15 Jahren stark gewachsen, doch liegen bisher fast nur Tiefenbohrungen und Einzelstudien (zu diversen, vor allem öffentlichkeitswirksamen Preisen) vor, deren Verallgemeinerungsfähigkeit anzuzweifeln ist.

In der Sparte ‚Literatur‘ listet die Plattform kulturpreise.de gegenwärtig über 900 Preise und Förderungen, davon insgesamt 597 Preise in der Kategorie „Literatur allgemein“ (sowohl Belletristik als auch Sach- und Fachliteratur), 65 Prosapreise, 25 Preise für Erzählungen und Kurzgeschichten, 49 Preise für die Gattung Drama, 67 Lyrikpreise, 41 Auszeichnungen für Hörspiel und Hörbuch, 14 Krimipreise, 57 Kinder- und Jugendliteraturpreise (wobei Doppelungen aufgrund von Kategorien-Überschneidungen nicht auszuschließen sind und die Plattform auch zahlreiche ruhende Literaturpreise aufführt). An den Zahlen lässt sich nicht nur die eindrucksvolle Dichte der gegenwärtigen Preislandschaft verdeutlichen, sondern auch eine besondere Heterogenität ablesen. Viele der im deutschsprachigen Raum zu vergebenden Auszeichnungen adressieren einen hoch spezifischen Kreis von Dichter*innen, prämieren eine bestimmte Gattung oder ein bestimmtes Genre und bedienen auf diese Weise ein abgegrenztes Marktsegment. Die einstige Königsklasse der Dichtkunst, die Lyrik, erlebt entgegen aller Unkenrufe eine regelrechte Renaissance und auch die Anzahl an Kinder- und Jugendliteraturauszeichnungen ist in diesem Zusammenhang sicherlich bemerkenswert. Beide neueren Entwicklungen dürften das Potential haben, zur Diversifikation des literarischen Feldes beizutragen, befruchten aber zugleich den Kampf um (mediale) Aufmerksamkeit und Marktpositionen im Preisesegment. Gerade diese Sachlage dürfte zahlreiche Jurys, Preisstifter*innen und Organisator*innen in den letzten Jahren dazu veranlasst haben, Satzungsänderungen vorzunehmen – so etwa beim Kranichsteiner Literaturpreis, beim Wilhelm-Raabe-Preis oder beim Berliner Literaturpreis, in dessen Satzung es heisst: „Die Entwicklung der Literaturszene machte eine mehrmalige Anpassung der Vergaberichtlinien erforderlich“. Andere Preise wurden neu ausgerichtet, der Deutsche Bücherpreis beispielsweise durch den Deutschen Buchpreis abgelöst.

Was sich an den oben genannten Zahlen nicht ablesen lässt, ist die geografische Verteilung der Auszeichnungen. Untersuchungen müssten erst zeigen, ob es im deutschsprachigen Raum spezifische Preisballungsgebiete gibt oder ob von einer breiten Streuung gesprochen werden muss.

Höchst unterschiedlich gestaltet sich überdies die Breitenwirkung der einzelnen Auszeichnungen. Ein Blick in die professionelle Literaturkritik zeigt, dass nur einer kleinen Gruppe von Preisen eine überregionale Berichterstattung zuteil wird, während die häufig als ‚Nischenpreise‘ betitelten, kleineren Auszeichnungen es nur selten in das überregionale Feuilleton schaffen. Nun kann man behaupten, dass es kleineren Literaturpreisen darum auch gar nicht ginge, sondern vielmehr um die Stärkung eines spezifischen Genres oder eines kleinen, marginalen kulturellen Raumes. Vor dem Hintergrund der Annahme aber, dass Preise nicht nur Gaben sind, sondern sich als Institution im Spannungsfeld von Anerkennung und Aufmerksamkeit bewegen, wird deutlich, unter welchem Wettbewerbs- und Legitimationsdruck auch Klein- und Kleinstpreise stehen.

Das wirft konkrete Fragen auf: Welchen Nutzen haben Nischenpreise für das literarische Feld, welchen spezifischen Herausforderungen müssen sie sich stellen?

Der Terminus ‚Nische‘ meint zunächst nicht primär eine Hinwendung zum Subkulturellen, sondern vielmehr eine wirtschaftliche Marktlücke, die von anderen Wettbewerbsteilnehmer*innen aus Sicht der Preisstifter*innen noch nicht (ausreichend) besetzt wurde und Partizipationsmöglichkeiten im spezifischen Marktsegment verheißt. Die Ausfüllung jener wirtschaftlichen Nische verspricht Singularität, geht aber zugleich, so lehrt uns die Wettbewerbstheorie, mit diversen Risiken einher; denn je spezifischer die Nische, desto kleiner ist womöglich der Kund*innen- und Adressat*innenkreis. Nischenpreise bewegen sich also ständig auf dem schmalen Grad zwischen Einzigartigkeit und Überspezialisierung; die eigene Reputation in der Konkurrenz zu anderen Preisen muss alljährlich neu erkämpft werden. Ob kleinen Preisen dies gelingen kann, dürfte immer auch von der Nische abhängen, die sie besetzen. Für die Preislandschaft können sie von großer Bedeutung sein: Behaupten sie sich auf dem Markt, leisten sie einen nicht unerheblichen Beitrag zur kulturellen Vielfalt des literarischen Feldes, stärken bisher wenig beachtete soziokulturelle Räume oder lenken die Aufmerksamkeit auf minoritäre Autor*innengruppen oder Genres. Hierzu zwei Beispiele: Der Bodensee-Literaturpreis der Stadt Überlingen, der vor allem Schriftsteller*innen auszeichnet, deren Texte nach Möglichkeit in Verbindung zum Bodensee (Landschaft, Atmosphäre, Kultur oder Geschichte) stehen, oder der C.S. Lewis-Preis, der Autor*innen kürt, die sich mit Fragen nach christlichen „Werten, Sinn und Orientierung“ auseinandersetzen und zugleich einen hohen Unterhaltungswert haben, besetzen jeweils höchst unterschiedliche Nischen. Während ersterer zur Nobilitierung eines spezifischen soziokulturellen Raums beitragen soll (weshalb längst kanonisierte Autoren wie Peter Stamm oder Martin Walser als Preisträger ausgewählt wurden, um Reputation und mediale Aufmerksamkeit zu erzielen), dürfte letzterer eher gesellschaftspolitische Ambitionen verfolgen und nur einem kleinen Publikum bekannt sein. Nun lässt sich das jeweilige Selbstverständnis der Preise (sei es kulturpolitisch oder soziokulturell, künstlerisch-ästhetisch oder kommerziell) zumeist noch (explizit oder implizit) aus den Satzungen, resp. Urkundentexten und Laudationes ableiten; die tatsächlichen Auswirkungen auf die Preislandschaft hingegen (Diversifikation oder Beschränkung des literarischen Feldes) können aber nur in umfangreichen Studien – auch im Hinblick auf die spezifischen, medialen Wahrnehmungen – beobachtet werden. In diesem Zusammenhang könnte auch die Untersuchung der Halbwertszeit der Preise eine aussichtsreiche Perspektive bieten. Fakt ist, dass ein Ende der Preiseflut, trotz der hohen Marktkonkurrenz, nicht in Sicht ist: Jüngstes Beispiel für neue Preisstiftungen ist der Siegfried-Lenz-Preis, der im November 2014 erstmals vergeben wird und mit 50.000 Euro Preisgeld zu den höchstdotierten Literaturpreisen Deutschlands zählt. Der im zweijährigen Turnus zu vergebende Preis soll künftig an internationale Schriftsteller*innen überreicht werden, „die mit ihrem erzählerischen Werk Anerkennung erlangt haben und deren schöpferisches Wirken dem Geist Siegried Lenz’ nah steht.“ Das impliziert zum einen, dass sich der Preis als Anerkennungs- und nicht als Förderpreis begreift, sollen hiermit doch bereits bekannte und erfolgreiche Autor*innen ausgezeichnet werden. Zum anderen, so ließe sich die Formel „dem Geist Siegfrieds Lenz nahe steh[end]“ lesen, sollen Literaturschaffende prämiert werden, deren Literatur Zeitgeschichte und -geschehen reflektiert, also von gesellschaftspolitischer Relevanz ist. Ob der „Geist“ auch erzählerische Verfahren, sprich formalästhetische Kriterien, berührt, muss sich erst noch zeigen. Der erste Preisträger, der israelische Schriftsteller Amoz Oz, passt hervorragend in dieses Raster: Zeitgeschichte, gepaart mit individuellen Schicksalen, autobiografischen Implikationen und realistischen Schreibverfahren zeichnen den 75-jährigen aus, der sich auch immer wieder in politischen Essays zu Wort meldet. Jedenfalls ist es ein Preis, der viel Raum für Spekulationen bieten wird, sich wegen seiner prominenten Namensgebung und der hohen Dotierung einer breiten Rezeption aber gewiss sein kann. Seine Wirkung hingegen bleibt abzuwarten, eine Marktnische dürfte er nicht besetzen. Gerade das gestaltet sich in Zeiten einer so immens dichten Preislandschaft aber auch besonders schwierig.

Standen bis hierher vor allem Nischenpreise oder – im Falle Lenz – neu gegründete Autor*innenauszeichnungen im Zentrum der Betrachtung, werden im Folgenden jene in den Fokus gerückt, denen alljährlich eine große mediale Aufmerksamkeit zukommt. Ihre Breitenwirkung ist nicht nur dem Umstand geschuldet, dass sie längst renommiert sind, sondern zugleich zu den strittigsten Dichterauslobungen zählen – wobei sich einige Zuschreibungen als Vorurteile erweisen.

Während dem Deutschen Buchpreis eine überhebliche (Selbst-)Inszenierung bzw. Auswahl der Titel nach Vermarktungsstrategien statt nach literarästhetischen Qualitätskriterien vorgeworfen wird (was Longlistplatzierte wie unlängst Michael Ziegelwagner dazu veranlasst, zum Boykott aufzurufen, um der „unfairen Preisgeldverteilung“ und dem „gegenseitigen Schulterklopfen“ etwas entgegenzusetzen), muss sich das Preiskomitee des Büchner-Preises alljährlich dem Vorwurf aussetzen, hier würde längst Zementiertes gewürdigt. In einer kleinen Erhebung kommt die taz anlässlich der Vergabe des Georg-Büchner-Preises im Jahre 2011 zu dem Ergebnis, dass die Preisträger im Schnitt zwischen 50 und 70 Jahre alt sind, zuvor mindestens acht bis zwölf Literaturpreise erhalten haben und mehrheitlich männlichen Geschlechts sind. Gegen die statistische Erhebung ist nicht viel einzuwenden, nur bildet diese lediglich ab, wer und nicht was hier eigentlich ausgezeichnet wird. Studien zum Georg-Büchner-Preis perspektivieren bis dato – aus der Sicht der Ritualforschung (hierzu zählen Arbeiten u.a. von J. Ulmer, B. Dücker, V. Neumann) – fast ausschließlich die performative Rahmung, den Preis als rituelle Praxis und die, wie Dücker es nennt, öffentlichen „Verleihungs- und Aufführungshandlungen“, jedoch nicht die jeweiligen Wertmaßstäbe, die der Auszeichnung zugrunde liegen. Aus der Satzung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung lassen sich diese nämlich nicht so leicht ablesen. Dort heißt es lediglich vage und offen formuliert: „Zur Verleihung [können] Schriftsteller und Dichter vorgeschlagen werden, die in deutscher Sprache schreiben, durch ihre Arbeiten und Werke in besonderem Maße hervortreten und die an der Gestaltung des gegenwärtigen deutschen Kulturlebens wesentlichen Anteil haben.“ Insofern bleibt der Assoziationsspielraum dessen, was mit dem Büchner-Preis eigentlich ausgezeichnet wird, offen und gibt Literaturkritiker*innen und Rezipient*innen die Lizenz zur Spekulation. Die Annahme, dass mit dem renommierten Büchner-Preis nicht massenkompatible, sondern eher alteritäre, von Differenz und Brüchigkeit geprägte und/oder stark autobiografisch gefärbte Literatur (wie im Falle Josef Winklers 2008) ausgezeichnet würde, müsste in entsprechenden Studien noch verifiziert werden. Auch in diesem Jahr sprach man nach der Auswahl des Preisträgers Jürgen Becker, der den Preis am 25. Oktober in Darmstadt in Empfang nahm, von Traditionspflege, ohne dabei im Detail zu erörtern, ob hiermit die Erfüllung der Vergabe-Statistik (s.o.) oder vielmehr die programmatische Ausrichtung des Preises gemeint ist. Verortet im „Büchnerpreis-Kanon“ ist Becker allerdings schon deshalb eine Ausnahmeerscheinung, weil er für seine (experimentelle) Gedichtkunst ausgezeichnet wird und damit nach Oskar Pastior (2006) und Sarah Kirsch (1996) eine immer noch unterrepräsentierte und wenig massenkompatible Gattung vertritt. Für eine Untersuchung des ästhetischen Programms ist Becker ein guter Ausgangspunkt; formal-ästhetische Werte wie Formbrillanz und (post-)avantgardistische Schreibverfahren als (primäre) Wertkriterien lassen sich auch bei Jirgl, Winkler oder Pastior nachweisen und geben Anlass zur Annahme, der von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung vergebene Preis rücke Minoritäres ins Zentrum der Aufmerksamkeit, adressiere eben nicht das Gros, sondern eine bestimmte und beschränkte Leser*innenschaft und begreife sich folglich als Marktkorrektiv zum eher massenorientierten Preisemarkt, was er dann mit zahlreichen kleineren Preisen gemein hätte. Der jüngste Vorwurf Uwe Wittstocks, Beckers Texten hafte etwas Unzeitgemäßes an, dürfte im Vergleich mit anderen Preisträger*innen sogar als maßgebliches Auszeichnungskriterium in Betracht kommen, schaut man sich beispielsweise den Urkundentext zum Preisträger Josef Winkler (2008) an, der im Gewand genieästhetischer Inspirationsmetaphorik für seine von Repressionen geprägte Lebensgeschichte und damit als Autorperson prämiert wird.

Die Kritik an den Vergabe- und Auswahlverfahren medienwirksamer Literaturpreise ist aus dem Feuilleton nicht mehr wegzudenken. Man könnte gar meinen, dass gerade sie es ist, die die breite Öffentlichkeit alljährlich neu zu mobilisieren weiß und die Dichter*innenehrungen am Leben erhält. Doch viele der den Literaturauszeichnungen zugeschriebenen Eigenarten erweisen sich bei näherer Betrachtung als Vorurteile. Den Deutschen Buchpreis auf die Formel „deutsch-deutsche-Geschichte plus Familienroman = Deutscher Buchpreis“ zu reduzieren, impliziert, dass hier das Was (also der plot) das Wie (die formalen, literarästhetischen Wertmaßstäbe) übertrumpfe. Beim stichprobenartigen Blick in die Begründungen zeigt sich aber, dass nicht nur inhaltsbezogene, sondern allen Behauptungen zum Trotz auch formalästhetische Wertmaßstäbe angelegt werden. So wird der diesjährige Preisträger Lutz Seiler für seine „lyrische[], sinnliche[], ins Magische spielende[]“, ja „eigenständig poetische Sprache“ ausgezeichnet. Überdies legt Seiler weder einen Familien- noch einen klassischen Wenderoman vor, sodass auch inhaltsbezogen von einer Fortschreibung der (mutmaßlichen) Traditionslinie im engeren Sinne keine Rede sein kann.

Schwerer ins Gewicht fällt indes die Kritik Marlene Streeruwitz’, die mit dem Vorwurf der „Vereindeutigung der Geschlechterdifferenz“ vonseiten der Organisator*innen des Deutschen Buchpreises in der Tat auf ein eklatantes Ungleichgewicht aufmerksam macht. Betrachtet man die Preisträger*innen, könnte man auf den ersten Blick zwar noch anmerken, dass immerhin sechs der zehn bisherigen Preisträger*innen weiblichen Geschlechts sind. Dies würde aber die Tatsache verkennen, dass auf den Shortlists im Schnitt 5,5 Frauen 14,5 Männern gegenüberstehen (den niedrigsten Frauenanteil gab es 2006 und 2008 mit jeweils vier Autorinnen, der höchste war 2011 mit acht Schriftstellerinnen zu verzeichnen). Ferner verifiziert ein Blick auf die Homepage des Preises den Vorwurf, denn hier wird konsequent das generische Maskulinum verwendet und der vermeintlich offene Adressat*innenkreis zumindest in der Außendarstellung implizit sprachlich eingeschränkt. Das dürfte vonseiten der Literaturkritik in Zukunft genau beobachtet werden. Den Börsenverein des Deutschen Buchhandels veranlasste die ihm entgegengebrachte Kritik in diesem Jahr zu einem ungewöhnlich offenen Umgang mit seinem Selektions- und Präsentationsverfahren. So rechtfertigte Heinrich Riethmüller anlässlich der Preisverleihung zugleich die öffentlichkeitswirksame Inszenierung von Literatur im Kontext des Deutschen Buchpreises. Diese brauche eine breite Öffentlichkeit, „um zwischen Film, Musik und großen Kulturereignissen überhaupt ausreichend wahrgenommen zu werden. Im Sinne einer Literatur, die nicht hinter verschlossenen Türen stattfindet, sondern über die auch gesprochen wird.“

Der Legitimierungs- und Selbstverteidigungsdruck, so zeigt sich, macht auch vor traditionsreichen Dichterkrönungen keinen Halt. Ein weiteres Beispiel wäre in diesem Zusammenhang der Ingeborg-Bachmann-Preis: Die Ausstiegsüberlegungen des ORF im Jahre 2013 sorgten für großen Zündstoff und befeuerten zugleich altbekannte Diskussionen über Juryzusammensetzung und Textauswahl, die nicht immer als „Hochleistungsprosa“ (so Der Standard) betitelt werden könne. Vor zwei Monaten gab die Literaturwissenschaftlerin Daniela Strigl überdies bekannt, dass sie die Bachmann-Preis-Jury verlassen werde, nicht ohne den ORF Kärnten als Veranstalter noch einmal scharf zu kritisieren. Der designierte Vorsitzende Hubert Winkels und die noch jungen Jurymitglieder Juri Steiner und Arno Dusini werden unter besonderer Beobachtung stehen, ebenso wie der Preis selbst, da erneut zur Debatte steht, ob mehrheitsfähige oder avantgardistische, schwer lesbare und nur für ein spezifisches Publikum geeignete Literatur auszeichnungswürdig sei.

Der kleine Blick auf die renommierten Preise zeigt, dass sich zahlreiche Zuschreibungen als Mythen, (Halb-)Wahrheiten und bloße Vorurteile erweisen. Diesen ließe sich nur in einer literaturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der deutschen Preislandschaft und handfesten Ergebnissen entgegentreten. Das noch größere Forschungsdesiderat offenbart sich im Nischenpreissektor. Inwieweit die Vielzahl an Preisen zur Diversifikation des literarischen Feldes beiträgt, Kulturräume etabliert oder neu erschließt, Genres und spezifische Autor*innenkreise fördert und stärkt oder neue Leser*innenkreise erreicht, ist bisher nicht annähernd in den Blick genommen worden.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen