Zwischen Selbstdarstellung, Erinnerungs- und Verehrungskult

Bodo Plachta und Achim Bednorz gehen der Geschichte des Künstlerhauses in Wort und Bild nach

Von Gabriele WixRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gabriele Wix

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nach Dichterhäuser in Deutschland, Österreich und der Schweiz legt Bodo Plachta einen neuen Bildband bei Reclam vor: Künstlerhäuser. Zwei Jahre lang hat er mit dem Fotografen Achim Bednorz in Europa die Ateliers und Lebensräume berühmter Maler und Bildhauer aufgesucht, wie es in dem bewusst auf eine breitere Leserschaft abgestimmten Untertitel des Bandes heißt, der an die fünfzig Künstlerhäuser in Wort und Bild dokumentiert. Das Interesse gilt einem Museumstypus, den der Kunsthistoriker Franz Rudolf Zankl in den 1970er-Jahren mit dem Begriff des Personalmuseums zu charakterisieren suchte. Auch wenn sie heute veraltet wirken mag, trifft diese Bezeichnung genau das Spannungsfeld zwischen künstlerischer Selbstdarstellung und Erinnerungs- und Verehrungskult in den musealen Inszenierungen der Künstlerhäuser.

Schon beim Durchblättern des Buchs gewinnt man mit den Farbfotografien und der Lektüre der anschaulichen Bildlegenden einen ersten Überblick über die Geschichte des Künstlerhauses, die Plachta mit dem Renaissancekünstler Andrea Mantegna als dem frühesten und dem irischen Maler Francis Bacon als dem aktuellsten Beispiel nachzeichnet. Während der Schwerpunkt der Texte eher auf der Geschichte des Hauses zu Lebzeiten des Künstlers liegt, zeigen die Fotos den jetzigen Zustand der Häuser und ihres Umfelds, sparen dabei aber diskret die touristische Anziehungskraft dieser Orte und die daraus resultierenden Beeinträchtigungen einer ruhigen Rezeption aus. In geradezu exemplarischer Art und Weise stellt die Abbildung auf dem Umschlag den besonderen Blick des Fotografen unter Beweis. Das Foto zeigt das Atelier des Metapyhsikers unter den Malern, Giorgio de Chirico, aber Bednorz widersteht der Versuchung, mit einer dramatischen Lichtführung ein Geheimnis in die Produktionsstätte hinein zu zaubern. Jedes Detail des Raumes ist gut ausgeleuchtet und versachlicht die Erwartungen des Betrachters. Gleichzeitig wird dadurch die Musealisierung des Künstlerhauses sichtbar, und hierin liegt das besondere Verdienst des Fotografen, der erst gar nicht versucht, die Illusion zu erzeugen, man könne Zeuge des Schaffensvorgangs eines Malers oder Bildhauers werden. Vielmehr verweist jedes Foto in seiner Detailgenauigkeit auf die Inszenierung als solche, den scheinbar achtlos über den Sessel geworfenen Malerkittel, den aufgeklappten Holzkasten mit den Farbtuben auf dem Stuhl vor der grundierten Leinwand, als habe der Maler nur kurz das Atelier verlassen. Man muss die Erläuterungen von Plachta lesen, um dann doch zu erfahren, dass die Ateliersituation de Chiricos in ihrer Abschottung gegen die Welt eine äußerst spezielle war: „Das Atelier dagegen überrascht mit seiner geradezu klösterlichen Weltabgewandtheit. Es wird allein von einem großen Deckenfenster beleuchtet. Die anderen Fenster hielt de Chirico stets geschlossen und verdunkelt, so dass kein Blick nach draußen und keinerlei Ablenkung möglich ist, gemäß seiner mehrfach geäußerten Devise, man müsse das malen, was man nicht sieht.“

Neben den Gesamtansichten von der Architektur der Häuser und von der Einrichtung der Wohnräume und Ateliers gibt es sehr sparsame, emotionale Stillleben und Interieurs. In der Abbildung der Mansarde in der „Auberge Ravoux“ – Vincent van Gogh lebte dort bis zu seinem Freitod im Juli 1890 – gelingt es, trotz der warmen Farbpalette von Braun- und Orangetönen das Gefühl von Tristesse und Verlassenheit zu wecken. Plachta zitiert die Aussage eines Zeitzeugen, den Maler Anton Hirschig, der als junger Mann im Dachgeschoss neben van Gogh wohnte und der die unvorstellbare Produktivität der letzten beiden Lebensmonate des Künstlers sowie die armselige Lagerung seiner Werke im Vorraum einer Scheune, in der Ziegen gehalten wurden, mit den kargen Worten resümiert: „Da hingen die Werke van Goghs, und jeden Tag brachte er neue Bilder dazu. Sie lagen auf dem Boden und hingen an der Wand, und kein Mensch kümmerte sich darum.“

Wie auf Bednorz’ Foto der Mansarde die Holzstufe im Vordergrund perspektivisch verzerrt nach links wegrutscht und die Welt aus den Fugen gerät, wie die einsame Deckenleuchte spärlich den Flur beleuchtet, der Blick in die leere Mansarde mit einem einzeln platzierten Holzstuhl fällt, dazu die Risse im Putz, der abgenutzte Anstrich der farblich abgesetzten Treppenhauswand, all das umgreift in beeindruckender Schlichtheit das Ende von van Goghs Künstlerleben. Vielen dieser sorgfältig komponierten Farbfotografien, oft nur in kleinem Format abgedruckt, wünschte man mehr Raum in diesem knapp 300 Seiten umfassenden Buch. 

Das hervorragend gegliederte Inhaltsverzeichnis bietet die Möglichkeit der individuellen Orientierung auf einen bestimmten Typus des Künstlerhauses: von der Entdeckung des Künstlerhauses in der Renaissance als Mittel der Selbstdarstellung des autonomen Künstlers, als „architektonisches Selbstporträt“, über die Künstlerwohnungen, Villen und Residenzen zum Atelier im Freien und zur Künstlerkolonie auf dem Land, von dem Künstlerhaus als Rückzugs- und Zufluchtsort im „Visier der Diktatur“ bis zum Laboratorium und der Lebensform Atelier. Damit wäre man im Prinzip bei der aktuellen Kunst angelangt, zum Beispiel bei Bruce Naumans Videoarbeit „Mapping the Studio“ (2001), die 2010 einem Symposium der Kunstakademie Düsseldorf über das Atelier in der zeitgenössischen Kunst das Stichwort gab. Doch der Bereich der Gegenwartskunst bleibt ausgespart, was nur konsequent unter dem hier im Vordergrund stehenden Aspekt der musealen Inszenierung von Arbeits- und Lebensräumen bildender Künstler erscheinen muss. Offen bleibt die Frage, wie sich heute die mit den 1960er-Jahren einsetzende radikale Infragestellung des traditionellen Kunstschaffens und umgekehrt die Auferstehung der Figur des Malerfürsten im Atelier- und Wohnhaus des Künstlers widerspiegeln. Fortsetzung erwünscht.

Titelbild

Bodo Plachta: Künstlerhäuser. Ateliers und Lebensräume berühmter Maler und Bildhauer.
Mit Fotografien von Achim Bednorz.
Reclam Verlag, Stuttgart 2014.
288 Seiten, 39,95 EUR.
ISBN-13: 9783150109427

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