mairisch
Vom Unkraut zum erfolgreichen Indie-Verlag
Von Mario Bartlewski
Bereits seit ihrer Schulzeit kennen sich Peter Reichenbach, Daniel Beskos und Blanka Stolz. Dass aus ihrem großen Hobby einmal ein etablierter Verlag wie mairisch werden sollte, hatten sie selbst nicht erwartet, gesteht Daniel Beskos im Gespräch mit dieser Redaktion.
Zum Ende ihrer Schulzeit, Mitte der 90er-Jahre, organisierten sie im Jugendzentrum ihres hessischen Heimatortes Rodgau Konzerte und Lesungen zum kleinen Preis – mit gut gefüllter Halle, aber geringem finanziellen Erfolg. Handgefertigte Programmhefte verkauften sie beispielsweise für 2 D-Mark. Eine Zukunft sah auch Daniel Beskos’ Großmutter für die drei nicht in diesem Geschäft: „Lasst das mit der Literatur sein und macht etwas Vernünftiges. Zupft den Mairisch im Garten.“ Mairisch – hessisch für Unkraut – sollte die drei verfolgen und später als Name ihres eigenen Verlags dienen. „Wir sind einfach an der Literatur und den Worten hängengeblieben“, erinnert sich der Mitgründer des Verlags zurück und ist froh über die Entscheidung. Heute ist er einer der Verantwortlichen des etablierten Indie-Verlags mairisch, mit dem er sein Geld verdient. Fünf Angestellte umfasst der Betrieb sowie 26 Autoren. „Dabei wollten wir eigentlich erst gar keinen Verlag gründen, sondern nur unser Hobby konkretisieren“, erklärt Beskos. 1999 gründete man den Independent-Verlag und organisiert seit 2003 regelmäßige Lesereihen wie „Transit“ und „Piloten“. Ein Jahr später hatte der Verlag bereits zahlreiche Manuskripte auf den Tischen liegen. Eines davon war das Debüt „Die Taschen voll Wasser“ des heutigen Aushängeschildes: Finn-Ole Heinrich. „Sie haben mich auf einem Slam gesehen und kurz darauf nochmal bei einer Lesebühne. Daniel [Beskos] hat mich auf dem Rückweg der Lesung in der Bahn angesprochen und gefragt, ob ich noch mehr Texte hätte. Hatte ich“, sagt Finn-Ole Heinrich. Mehr als 3500 verkaufte Exemplare, sieben Auflagen und Taschenbuchausgaben waren ein riesiger Erfolg für den Verlag. Auch der Nachfolger Räuberhände entpuppte sich als Hit, war in Hamburg sogar zwei Jahre lang Abiturthema und wurde fürs Theater adaptiert. Dafür trafen sich Autor und Verantwortliche etwa alle sechs Wochen, sprachen über Fortschritte, Probleme und Fragestellungen und reisten zur Recherche schließlich auch eine Woche gemeinsam nach Istanbul.
Doch der Weg zu diesen Erfolgen war ein langer. Durch Lesereihen und -veranstaltungen knüpften die Verantwortlichen erste Kontakte zu den Autoren, doch wie Bücher gedruckt werden und wie man eine ISBN beantragt, mussten sie zunächst herausfinden. Eine weitere Herausforderung stellte die Finanzierung dar. Während mairisch heute schwarze Zahlen schreibt und in den vergangenen sechs Jahren ein deutliches Umsatzwachstum verzeichnete, finanzierten die Gründungsmitglieder die ersten Bücher durch Nebenjobs. „Wir wollten uns aber nirgendwo anders für einen Vollzeitjob bewerben. Wir hatten Lust, etwas aus unserem Hobby zu machen“, erinnert sich Beskos.
Seit 2005 ist der Verlag im Buchhandel vertreten und hat sich dafür ein klares Profil zugelegt: junge Belletristik-Autoren entdecken, fördern und langfristig binden. Und das klappte auch mit Autoren wie Dorian Steinhoff, Benjamin Maack, Donata Rigg, Michael Weins und Stevan Paul. „Ich habe zwei Erzählbände bei mairisch veröffentlich. Da sind andere deutsche Verlage oft zögerlich. Aber mairisch ist das Risiko eingegangen, und das tun sie auch heute noch bei anderen Debüts“, erklärt Stevan Paul im Gespräch. Zwar kann der Verlag seinen Autoren keine großen Vorschusszahlungen bieten, dafür allerdings einträgliche Optionen aufzeigen: „Wir kümmern uns um alle anderen Dinge des Autoren-Daseins“, erklärt Beskos. Dazu gehören Lektorate, mögliche Vorbereitungen für Stipendien und Lesereisen, die die Haupteinkommensquelle der Autoren darstellt. Die Einnahmen durch das Buch selbst dienen hingegen als Bonuseinnahme. „Natürlich bekommen die Autoren bei uns auch ihr Geld. Zwar nicht als Vorauszahlung, aber später als Rechnung“, so der Mitbegründer. Weil der Verlag allerdings nur mit einer begrenzten Zahl von Autoren zusammenarbeitet, kann er auch die Pressearbeit übernehmen und die einzelnen Titel langfristig und konsequent bewerben. „Ein Autor arbeitet drei bis vier Jahre an einem Werk und nach einem Monat soll dann die Aufmerksamkeit vorbei sein? Das wird dem Autor nicht gerecht und wir können das, durch die Anzahl der Veröffentlichungen, anders machen“. Die etwa fünf im mairisch Verlag erscheinenden Bücher pro Jahr sollen knapp zwölf Monate im Fokus stehen. Sie werden auf der eigenen Website immer wieder nach oben gesetzt, Lesereihen werden organisiert und Titel in der Presse besprochen.
„Man fühlt sich unglaublich geschätzt im Verlag. Die Verantwortlichen stehen hinter einem und nach Jahren entsteht ein freundschaftliches Verhältnis“, sagt Stevan Paul. Dass es nicht nur freundschaftlich, sondern nahezu familiär zugeht, beweist die Tatsache, dass Peter Reichenbachs Eltern jedes Jahr zur Buchmesse die Autoren des Verlags zu sich nach Frankfurt zum Essen einladen. „Wir wollen unseren Autoren einen Heimathafen bieten“, erklärt Beskos. Nachdem der Verlag zunächst nur mit Belletristik-Autoren arbeitete, stellte man sich im Laufe der Zeit breiter auf. Mit der freien Hörspielszene legte der Verlag einen weiteren Schwerpunkt fest. Auf der Anthologiereihe „pressplay“ bündelte der Verlag beispielsweise Stücke der freien Hörspielszene – einzigartig unter Verlagen. Seit 2010 gehören auch Musik, Sachbücher und Graphic Novels zum Verlagsprogramm, eben jedes Format, in dem Zeichner eine Geschichte erzählen können. Zwar liegt das Hauptaugenmerk auch weiterhin auf Büchern, doch die Entscheidung gegen die Fokussierung des Profils war eine persönliche der Verantwortlichen und unterscheidet den Verlag auch von zahlreichen anderen unabhängigen Verlagen. „Jetzt bieten wir die Sachen an, die uns am Herzen liegen und stimmig sind. Einfach alles, was uns begeistert“, sagt Daniel Beskos. Von dem breiter angelegten Spektrum an Formen profitierte aber nicht nur der Verlag selbst, sondern es kam auch den mairisch-Autoren zu gute. So entstanden Kooperations- und Crossover-Projekte zwischen unterschiedlichen Künstlern. Ein Beispiel hierfür ist das Hör-Projekt „Du drehst den Kopf, ich dreh den Kopf“ von Finn-Ole Heinrich und Spaceman Spiff. „Wenn es einen Mehrwert ergibt, können Lesekonzerte, Lesungen mit Live-Soundtrack oder Konzerte mit Texteinschüben entstehen. Mir eröffnen solche Projekte neue Horizonte und die Möglichkeit, Zeit mit Freunden zu verbringen. Das sind die Highlights meiner Lesetouren“, beschreibt Finn-Ole Heinrich.
Gemeinsam mit der Bandbreite und der Zahl der Autoren, wuchsen auch die Gebäude, in denen der Verlag arbeitete. Arbeitete man bis 2005 noch von Zuhause aus, mietete man dann erstmals ein Büro. „Wir konnten die Bücherlagerung einfach nicht Zuhause vornehmen. Zumindest nicht allzu lang“, verdeutlicht Beskos. Bald musste man aber auch hier die Aufbewahrung der Bücher auslagern und jüngst entschied sich der mairisch Verlag, mit DevilDuck Records das Ladenlokal „About Songs & Books“ in Hamburg zu eröffnen. Hier gibt es neben Schallplatten und Büchern auch Konzerte, Lesungen und Ausstellungen. „So sind wir unabhängiger. Wenn wir etwas veranstalten wollen, machen wir das einfach in unserem Laden.“ Trotz des Wachstums des Verlags ist der Kontakt zwischen Verantwortlichen und Autoren nicht anonymer geworden; letztere haben bei vielen Entscheidungen ein Mitspracherecht. „Am Ende des Prozess wissen alle, was sie in den Händen halten werden“, bestätigt Stevan Paul. Das bezieht sich neben dem Inhalt auch auf die Gestaltung. Erhalten Autoren in anderen Verlagen unter Umständen (wenn überhaupt) nur zwei bis drei Designvorschläge vorgelegt, können es bei mairisch auch mal 17 oder 18 sein. Letztlich soll sich die Buchgestaltung sowohl in den Stil der bisherigen Veröffentlichungen einfügen als auch den Autor zufriedenstellen.
Genau aus diesem Grund findet Daniel Beskos E-Books – zumindest äußerlich – unattraktiv und langweilig: „Es ist halt nur eine simple Textdatei.“ Derzeit machen E-Book-Verkäufe in Deutschland nur etwas mehr als sechs Prozent des Marktanteils auf dem deutschen Büchermarkt aus, trotzdem sieht Beskos hier einen zusätzlichen Markt. Deswegen bietet der Verlag seinen Kunden auch ein besonderes Extra an: Ähnlich wie bei Schallplatten – bei denen der Titel oft zusätzlich und ohne weitere Kosten digital heruntergeladen werden kann – gibt es beim Kauf eines Buches das E-Book gratis dazu. So auch bei Michael Weins’ Goldener Reiter. Passend zum Indiebookday veröffentlicht mairisch Weins’ neuestes Werk Sie träumt von Pferden am 21. März und beschenkt damit sich selbst und Indiebookday-Initiator Daniel Beskos. Doch auch darüber hinaus hat der Verlag Pläne für die Zukunft: „Wir sind bislang durch die deutsche Sprache beschränkt und würden gerne Kooperationen im Ausland abschließen. Da warten auch noch viele tolle Veröffentlichungen“, resümiert Beskos.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen