Das Dorf im Ohr

Peter Kurzecks Hörspiele auf CD

Von Stefan HöppnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höppner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass der 2013 verstorbene Peter Kurzeck in seinen letzten Jahren so breite Aufmerksamkeit erfuhr, verdankt sich einem Hörbuch. Normalerweise ist dieses eher ein Nebenprodukt der Verwertungskette, auf dem Autorin oder Autor Passagen aus ihren Texten lesen. Sind sie darin nicht besonders gut, lassen sich alternativ Rufus Beck, Christian Brückner und diverse Tatort-Kommissare anmieten. Peter Kurzeck unternahm dagegen 2007 etwas bis dahin für deutsche Autoren im doppelten Sinne Unerhörtes: Ein Erzählbuch ohne Textvorlage. Auf „Ein Sommer, der bleibt“ berichtete er von seiner Kindheit im mittelhessischen Staufenberg bei Gießen, die er in einer sudetendeutschen Flüchtlingsfamilie erlebte. Dabei ging es weniger darum, sich in der Geschichte zu verorten oder gar den Nachgeborenen Lektionen zu erteilen, als mit der Sprache möglichst genau das Dorf seiner Kindheit und sein subjektives Erleben dieser Umwelt nachzuzeichnen. Die Lebendigkeit und Präzision von Kurzecks Erzählen schufen zu Recht neue Aufmerksamkeit für sein Romanwerk, das bis dahin eher Kennern ein Begriff war. Dabei unternahm der Autor in seiner Prosa etwas sehr Ähnliches: Nämlich die möglichst detaillierte Abbildung seiner Epoche in der Sprache. Darin ähnelte er Arno Schmidt in seinen Texten der 1950er-Jahre, nur dass er dieses Abbilden eher in der historisch distanzierten Rückschau vollzog, während Schmidt die unmittelbare Gegenwart der Adenauer-Ära einfangen wollte.

Aber „Ein Sommer, der bleibt“ macht nicht nur auf den Prosaschriftsteller Kurzeck aufmerksam, sondern auch auf seine Arbeiten in einem anderen Medium, dem Hörspiel. Nur zwei waren es, die er für den Hessischen Rundfunk schrieb, lange vor seiner späten Popularität: „Kommt kein Zirkus ins Dorf“ (1987) und „Der Sonntagsspaziergang“ (1992), von denen bisher nur das erstere, das wiederum auf dem Roman „Kein Frühling“ (1987) basiert, in der Kleinstedition eines Gießener Verlages zu haben war. Beide sind assoziative Beschreibungen Staufenbergs, die ohne einen festen Handlungsfaden den Alltag einer Epoche einzufangen und lebendig zu machen suchen. Besonders eindringlich gelingt das in „Der Sonntagsspaziergang“, dessen minimale Handlung von den 1930ern bis in die 1970er-Jahre reicht. Es sind die Frauen des Dorfes, die von einem Sonntagsspaziergang mit ihren Männern träumen, dem minimalen Ausbruch aus dem Alltag, den sie sich auch fest vornehmen, der dann aber immer wieder auf den nächsten Sonntag verschoben wird. Dieser – ebenfalls minimale – Handlungsfaden ist das Zentrum, von dem aus ein Panorama des Dorfes entsteht und wir seine langsame Veränderung durch die Zeit miterleben können. Mitunter wird der mediale Charakter der Hörstücke mitreflektiert, etwa wenn der Regisseur, geschickt dosiert, seine Darsteller an einzelnen Stellen die Regieanweisungen mitlesen lässt. Was beim Nacherzählen wie bloße Willkür anmutet, fügt sich hier angemessen in die Inszenierung ein.

Überhaupt, die Akteure: Um die Authentizität der Rede zu sichern, arbeitete man bei „Kommt kein Zirkus ins Dorf“ nicht mit professionellen Sprechern, sondern mit Laiendarstellern aus dem Dorf Niederbrechen bei Limburg an der Lahn. Das liegt zwar bereits jenseits der Landesgrenze in Rheinland-Pfalz, aber die dialektale Einfärbung der Sprache ist ganz nahe an derjenigen Staufenbergs.

Bei den Kindern wirkt diese „unprofessionelle“ Sprechweise charmant, bei den erwachsenen Darstellern ist sie gewöhnungsbedürftig, aber folgerichtig. Wie Kurzeck berichtet, staunten die Darsteller seinerzeit, dass sie Geld quasi allein damit verdienten, dass sie einfach den Mund auf- und zumachten und sprachen wie sonst auch – allen voran der alte Walter Renneisen, den Kurzeck auch als Erzähler für den Sonntagsspaziergang übernahm. Damit verstoßen Kurzecks Stücke gegen die ungeschriebene Regel, dass auf Hochdeutsch geschriebene Hörstücke möglichst akzentfrei vorzutragen sind, aber eben das macht hier auch die Eigenwilligkeit und den Charme aus.

Abgerundet wird das Set von 3 CDs durch ein Radiogespräch mit Kurzeck von 2008, in dem dieser nicht nur über die Hörspiele und „Ein Sommer, der bleibt“ Auskunft gibt, sondern ebenso über die Stadt Frankfurt, in der er seit 1977 lebte, sein Leben in Paris und der Provence und das besondere Licht, das ihn zum Schreiben anregt. Nebenbei bekommt man sogar noch Tom Waits, Joan Baez und Miles Davis zu hören.

Titelbild

Peter Kurzeck: Die Hörspiele. Kommt kein Zirkus ins Dorf. Der Sontagsspaziergang.
Stroemfeld Verlag, Frankfurt a. M. 2014.
3 CDs, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783866001879

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