Alte Geschichten

Alan Carter entführt seine Leser mit „Prime Cut“ nach Down under

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Krimis, die in entlegenen Regionen spielen (aber was ist heutzutage noch entlegen?), haben immer auch die Aufgabe, ein wenig Tourismuswerbung zu betreiben. Das mag befremdlich wirken, wenn man daran denkt, dass es immerhin um Haupt- und Schwerverbrechen geht. Welcher Tourist reist schon gern dahin, wo sie einen umbringen. Aber das funktioniert wohl einfach auf einer zweiten Ebene – quasi als Paratext, in dem es um Landschaften, Leute, Lebensgefühl, Historisches und am Ende gar Kulinarisches geht.

Australien zum Beispiel, irgendwo da draußen, keine Handyverbindung – also noch besser als jedes Ostfriesland, um die Seele einmal ganz unbehelligt von allen Geschäftschancen und -sorgen baumeln zu lassen. Dass es sehr warm dort ist und die Leute merkwürdig, trägt eher noch zur Attraktivität bei. Dagegen spricht, dass es dort von emigrierten Briten nur so zu wimmeln scheint, die es von der einen auf die andere Insel getrieben hat. Vor allem, wenn der Mörder einer von ihnen ist, was von vorneherein als gesicherte Annahme gelten kann.

Die Geschichte selber, in der es um Mord- und Totschlag geht, ist hingegen nur ein korrelierendes, ja ausschmückendes Element, das dazu dient, die Land- und Leuteschilderung nicht allzu reiseführergemäß wirken zu lassen. Könnte man meinen, muss man aber nicht.

Alan Carters „Prime Cut“ bedient ein solches touristisches Interesse in jedem Fall – auch. Daneben aber funktioniert seine Geschichte als Parabel über die Auswirkungen der ökonomischen Mächte, die über eine entlegene Region hinwegfegen, um dort alles über den Haufen zu werfen, bis nichts mehr von dem geblieben ist, wie es einmal war. Dem Verlag war das anscheinend besonders wichtig. In diesem Fall ist es eine Nickelmine, die in einem Ort namens Hopetoun eingerichtet wird, eine Menge Volk anzieht und es möglich macht, einen Haufen Geld zu verdienen – was nie etwas Gutes bedeutet. Geldgier geht über Leichen.

In die Boom-Stimmung in Hopetoun platzt die Entdeckung eines menschlichen Körpers am Strand. Da es gerade an Ermittlern mangelt, darf der in Ungnade gefallene Detective Cato Kwong die Ermittlungen übernehmen. Nachdem der vor einiger Zeit einen Fall ganz banal vergeigt hat, darf er nun Strafdienst im Viehdezernat leisten. Das heißt erschlagenen Rindern und Schafen hinterherspüren und den Verursachern auf die Spur kommen. Dieser Dienst ist – das wird von Anfang an deutlich gemacht – als Karikatur des ernsthaften Mordermittlers angelegt. Tiefer kann ein Polizist nicht sinken (vielleicht noch, wenn er ins Wachpersonal einer Irrenanstalt für verurteilte wahnsinnige Straftäter versetzt wird).

Aber Cato – welch ein Name – bleibt natürlich nicht da, wo er in diesem Roman startet. Seine Karriere ist ruiniert, seine Ehe auch, er langweilt sich – also nimmt er eine Leiche in Hopetoun, zu der ihn sein alter Chef abstellt. Nun bleibt die Leiche nicht allein, Catos Kollege wird nach wenigen Tagen ermordet, ein Fall aus dem guten alten englischen Mutterland, der seit einigen Jahrzehnten ungelöst ein Archivleben führt, spielt auch noch eine Rolle.

Hopetoun erlebt also nicht nur einen wirtschaftlichen Boom, sondern auch den Einfall einer Horde von Polizisten, die nicht gewillt zu sein scheinen, auf Befindlichkeiten Rücksicht zu nehmen. Immerhin hat einer der Ihren dran glauben müssen. Ein Verdächtiger für den Polizistenmord findet sich bald. Cato darf am Rand der Ermittlung weiter an seinem Fall klöppeln und gerät dabei auch an den Cold Case aus England.

Gelöst wird das alles, wen wundertʼs. Aber in der Hauptsache geht es um diverse Metageschichten: um die der Boom-Town, um die von der Geldgier, um die von gefälschten und untergeschobenen Beweisen, um die vom Ende von Allem. Das ist allerdings ein schweres Gut, das ein Krimi zu tragen hat. Einen oder zwei schöne verwickelte Fälle lösen, sich dabei vom Underdog und Menschenfeind zum melancholischen Menschenfreund mit neuer Freundin zu entwickeln – das sind einfache Geschichten, die man gern auch noch mit Symbolfracht beladen kann.

Wird das aber zu viel, leidet das Ganze. Und das ist in diesem Krimi eben doch der Fall. Wenn es nicht mehr um die Sache selbst geht (den Mord und die Selbsterhöhung des erniedrigten Mannes, zumeist), sondern die Welt insgesamt vorgeführt werden soll (die verhängnisvolle Wirkung international agierender Konzerne, die Willfährigkeit einer lokalen Elite oder die Ungerechtigkeit des bürokratischen Apparats, all das nur zum Beispiel), dann empfehlen sich andere Genres.

Titelbild

Alan Carter: Prime Cut. Kriminalroman.
Übersetzt aus dem Englischen von Sabine Schulte.
Edition Nautilus, Hamburg 2015.
368 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783894018122

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