Montage eines Lebens

Anthony Coles veröffentlicht nach 45-jähriger Recherche ein Buch über John Heartfield, den Begründer der politischen Fotomontage

Von Gabriele WixRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gabriele Wix

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hermann Goering als brüllender, blutbefleckter Metzger-Henker. Eine erschöpfte schwangere Frau, mit leerem und dennoch anklagendem Blick dem Betrachter zugewandt, am oberen Bildrand quer hinter ihrem Kopf das Foto eines jungen toten Soldaten: „Zwangslieferantin von Menschenmaterial“. Hitler als kleine Randfigur in Profilansicht rückwärts vor den übermächtigen Leib eines Großindustriellen gestellt, seine über dem Kopf nach hinten ausgestreckte Hand nimmt die Geldbündel entgegen: „Der Sinn des Hitlergrußes: Kleiner Mann bittet um große Gaben“. Diese Bilder und Titel sind Teil des kollektiven Gedächtnisses geworden, Fotomontagen aus den 1930er-Jahren für die Arbeiter-Illustrierte Zeitung und die Volks-Illustrierte von John Heartfield, der 1891 als Hellmuth Franz Josef Herzfeld in Berlin auf die Welt kam und 1968 in Ost-Berlin starb. Er gilt als der Begründer der politischen Fotomontage, mit der er als überzeugter Kommunist gegen den Nationalsozialismus und gegen jegliche Form von Unterdrückung kämpfte. Darüber hinaus arbeitete er als Buchgestalter, Illustrator, Typograf, Grafiker, Maler und Bühnenbildner.

Erst 1991 wurde Heartfield eine umfassende Retrospektive gewidmet, die von der Akademie der Künste Berlin aus durch die Bundesrepublik, nach Großbritannien sowie in die USA wanderte und seine Bedeutung als politischer Künstler untermauerte. Jetzt ist – als Ergebnis einer 45-jährigen Arbeit – unter dem Titel John Heartfield. Ein politisches Leben eine Biografie von Anthony Coles erschienen, die der Autor gerne John Heartfield. Leben und Werk genannt hätte, wenn dieser Titel nicht bereits durch das 1962 erschienene Buch von Heartfields Bruder Wieland Herzfelde vergeben gewesen wäre. Die erste Begegnung des Autors mit dem Künstler fand 1967 statt, ein Jahr vor dessen Tod. Schon zwei Jahre später setzte sich Coles zum Ziel, eine monografische Darstellung zu verfassen. Damals, als Student, war es ihm nahezu unmöglich, gesicherte Informationen über den Künstler zu erhalten. Das heute sehr umfangreiche Archiv der Akademie der Künste in Ostberlin gab es erst in Ansätzen, und die Recherchen wurden zusätzlich durch Rivalitäten im Umgang mit dem Nachlass zwischen Heartfields Witwe und dessen Bruder Wieland erschwert. In der ersten Monografie über Heartfield von Wieland Herzfelde sieht Coles eher den Versuch des Autors, ein bestimmtes Bild des Bruders zu prägen und ihm und damit auch sich selbst „einen gewichtigen Platz in der Geschichte zu verschaffen“. Der eigentlichen Aufgabe, Leben und Werk des Künstlers „möglichst korrekt und mit objektiver Distanz zu dokumentieren“, habe nicht das primäre Interesse gegolten.

Einen Anspruch auf historische Korrektheit erhebt Coles jetzt mit seinem Buch, und das bedeutet für ihn, mit den, wie er sagt, „lächerlichen Geschichten“ aus dem Leben Heartfields aufzuräumen, darunter beispielsweise die bis heute immer wieder kolportierte Geschichte der Entlassung Heartfields aus der Armee im Jahre 1915 aufgrund eines simulierten Nervenanfalls, während Coles die Erkrankung Heartfields an der Jackson-Epilepsie nachweist und diese „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ als Grund seiner Ablehnung für den aktiven Wehrdienst anführt. Sowohl den Selbstäußerungen Heartfields als auch den persönlichen Erinnerungen seiner Freunde und Zeitgenossen, die sich, so Coles, „im Schreiben über Heartfield ihrer eigenen Bedeutung zu vergewissern suchten“, begegnet der Autor mit großer Skepsis. Trotz der hohen Zahl an Publikationen sei der Künstler bislang nicht zugänglich, und dies gelte insbesondere für die „auf Kopieren und Einfügen basierenden Informationen im Internet“. Tatsächlich hat der Autor jedes Detail durch ein gründliches Quellenstudium zu belegen oder zu widerlegen versucht. Gleichzeitig scheint aber die lange Beschäftigung mit dem Künstler zu einer so starken Identifikation mit dem „wahren“ Heartfield geführt zu haben, dass Coles gerne aus dessen Perspektive argumentiert und damit den Leser eher ratlos zurücklässt.

Das Werk Heartfields wird durch schwarz-weiße Referenzabbildungen repräsentiert, was in Anbetracht der leichten Zugänglichkeit von Farbabbildungen als eine überaus vernünftige Entscheidung betrachtet werden muss, um Kosten und Umfang der Monografie im Rahmen zu halten. Sie sind durchnummeriert, über 500 insgesamt. Jedoch erweist sich die Suche nach den Quellen als umständlich, da es kein Abbildungsverzeichnis gibt. Vielmehr gilt es im Fließtext nach der Passage zu suchen, die sich auf die jeweilige Abbildung bezieht, um dann über die Fußnote die gewünschte Auskunft in den Anmerkungen zu finden. Hier dürften Irritationen vorprogrammiert sein. Auf dem Umschlag sind acht Fotomontagen von Heartfield in Farbe reproduziert. Eine der eindringlichsten unter den dort abgebildeten Arbeiten stammt aus der Volks-Illustrierten vom 29. Juni 1938 und ist im Buch unter der Nummer 431, die Quelle unter der Nummer 555 in den Anmerkungen verzeichnet. Heartfield kombiniert einen längeren Textauszug des Berliner Journals Archiv für Biologie und Rassenforschung aus der Prager Abendzeitung und eine Kurzmeldung der United Press aus Tokio über den vielfältigen Nutzen des Luftbombardements mit einer Fotomontage von (Kinder-)Leichen und Trümmern. Fliegerangriffe bilden das Skelett einer das Bild dominierenden, hoch gestreckten Hand: „Das ist das Heil, das sie bringen!“ Der Kriegspropaganda setzt Heartfield eine dramatische Anklage sinnlosen Sterbens und sinnloser Zerstörung entgegen. Auf genau diese Collage auf dem Cover druckt Böhlau den Verlagsnamen. Die Textauszüge aus den Zeitungen sind auf den verkleinerten s/w-Wiedergaben der Bild-Text-Montage im Buch nicht lesbar. Deshalb empfiehlt es sich, dies auch wegen des Hinzuziehens ergänzender Farbabbildungen, Coles’ Buch zusammen mit einschlägigen Seiten aus dem Internet oder einer anderen Begleitpublikationen zu lesen, etwa mit dem von Coles empfohlenen, 1992 erschienenen Buch von David Evans über die Fotomontagen aus den Jahren 1930 bis 1938 oder aber dem umfangreichen Katalog der 1991 begonnenen Retrospektive John Heartfield.

Darin findet man auch Aspekte berücksichtigt, die für Coles weniger relevant sind. So ist er beispielweise an der Genese der Montagen und Illustrationen nicht interessiert. Für Heartfield habe nur das Resultat gezählt, lautet seine Begründung, womit die Voraussetzungen, unter denen der Autor seine biografischen Recherchen aufgenommen hat, klar abgesteckt sind. Die Anzahl der Menschen und Institutionen, die den Autor bei seiner langjährigen Arbeit unterstützt haben, ist so groß, dass Coles im Dank nur exemplarisch einige wenige namentlich nennen kann. Darunter befindet sich die Kunst- und Museumsbibliothek Köln, deren unschätzbarer Wert als über viele Jahre sorgsam gepflegter Wissensspeicher von der Politik schlichtweg ignoriert wird. 2013 wurde sie vom Deutschen Kulturrat auf die Rote Liste gesetzt: Ihr Bestand gilt als „gefährdet“. Aber es sind Institutionen wie diese, die für eine kunsthistorisch gesicherte Forschung unverzichtbar sind.

Wer sich dem gut 400 Seiten umfassenden Band zuwenden möchte, sollte mit dem Schlusskapitel beginnen, das Coles mit „Montage eines Lebens“ betitelt hat. Hier gibt er eine so konzise und lebendige Zusammenfassung der Unbill, die seiner Meinung nach Heartfields Werk widerfahren ist, dass sich umso deutlicher abzeichnet, was für ihn die Qualität von Heartfields Arbeiten ausmacht – und die Neugier des Lesers auf das Buch wird nachhaltig geweckt.

Titelbild

Anthony Coles: John Heartfield. Ein politisches Leben.
Böhlau Verlag, Köln, Weimar, Wien 2014.
402 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-13: 9783412209995

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