Säkularisierte Lichtmetaphysik

Über den von Felix Krämer herausgegebenen Ausstellungskatalog zur Frankfurter Monet-Ausstellung

Von Christian MilzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christian Milz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bereits der Titel Monet und die Geburt des Impressionismus offenbart, dass es sich bei dem auf den ersten Blick als selbstständige Darstellung aufgemachten Buch tatsächlich um die gebundene Ausgabe des Katalogs der gleichnamigen Ausstellung im Frankfurter Städel-Museum (vom 11.3. bis 28.6. 2015) handelt. Die durchweg anspruchsvollen Reproduktionen der Bilder sind daher in erster Linie der vollständigen Dokumentation der Ausstellung verpflichtet, ergänzt um meist kleinformatige Abbildungen maßgeblicher weiterer Gemälde, entbehren aber der Angabe von Maßen, so dass man als Leser das für die Aussagekraft der Reproduktion maßgebliche Größenverhältnis von Original und Abbildung nicht beurteilen kann, ohne die Maße im Anhang umständlich nachzuschlagen. Bei großformatigen Originalen mit extrem komplexen farbigen Strukturen, wie den in der Ausstellung nebeneinander platzierten vier Gemälden der 30 Bilder umfassenden Serie der Kathedrale von Rouen, die auch im Katalog durch eingefaltete Doppelseiten zusammenhängend reproduziert werden, bleibt vom Original nicht mehr viel übrig. Gleichwohl dürfte das Buch den Ansprüchen eines Publikums genügen, das etwas Sichtbares (100 Reproduktionen der Ausstellung plus weiterer Abbildungen und Fotografien) mit nach Hause nehmen beziehungsweise in Buchform zu Hause besitzen will.

Wie so oft im Leben und bedauerlicherweise auch in der Monet-Ausstellung finden sich Reichtum und Armut Seite an Seite. Den visuellen Schätzen steht eine intellektuelle Dürftigkeit gegenüber, die dem Publikum in knappen Essays und Detailuntersuchungen unter anderem allen Ernstes weismachen will, der Impressionismus sei nur vor dem Hintergrund der regulatorischen Macht industrialisierter Zeit, das heißt dem Prozess der Zeitstandardisierung zu verstehen. Auf der Homepage des Museums findet man gleichsam als zentralen Leitsatz:

„Der Impressionismus entstand in einer Zeit der Umbrüche und der unterschiedlichsten, zeitgleich stattfindenden Entwicklungen, die auch in der Malerei ihre Spuren hinterließen. Damals vollzog sich durch die zunehmende Industrialisierung ein Wandel im Verhältnis von Mensch und Natur sowie von Arbeit und Freizeit. Der technische Fortschritt führte zu einer allgemeinen Beschleunigung des Lebens. Auch die visuelle Erfahrung der Großstadt und die Verbreitung neuer Medien wie der Fotografie wirkten sich auf die Werke der Künstler dieser Epoche aus.“

Mit diesem Kurzschluss will man die Kämpfe der Impressionisten, ihre Revolutionierung der Malerei und des Sehens, den verbissenen Widerstand der etablierten Malerei wie des bürgerlichen Kulturbetriebs sowie die letztendliche Wirkung und Popularität des neuen Stils erklären? Monets fluide Welt als Ausdruck einer neuen Welterfahrung der Dynamik der Moderne? Was an solchen zunächst keineswegs plausiblen Ausführungen fehlt, ist die Diskussion von auf der Hand liegenden Einwänden. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier eingeübte Denkmuster von der Kunst nicht unbedingt wohlgesonnenen Theoretikern kontinuierlich und rücksichtlos reproduziert werden. Zu wessen Gunsten? Wovor hat man Angst? Inwiefern konnte der Impressionismus bei dem verhinderten Pfarrer Van Gogh die entscheidende Wende zu seiner ihm eigenen Malweise bewirken? Die Industrialisierung kannte er bereits vorher.

Was als erstes auffällt, wenn man ein impressionistisches Gemälde aus verschiedenen Entfernungen betrachtet, ist keine – wie auch immer gestaltete – Zeiterfahrung, sondern die systematische Auflösung von Materie zugunsten von Licht, Farbe und einer selbstbewussten Pinselschrift des Malers. Vielleicht könnte man von einer säkularisierten Wiedergeburt der Lichtmetaphysik sprechen. Vermutlich malen die Impressionisten doch nicht den Augenblick und nicht so schnell, weil die Eisenbahn schneller als die Postkutsche fährt, sondern weil der präzise Moment eines dauernden Wandels die träge Materie transzendiert. Das wäre dann so ziemlich das genaue Gegenteil dessen, was die Katalogtexte dem Publikum suggerieren. Aber sei dem, wie es wolle. Man sollte sich die Bilder ansehen.

Titelbild

Klaus-Peter Müller: Monet und die Geburt des Expressionismus.
Prestel Verlag, München 2015.
296 Seiten, 49,95 EUR.
ISBN-13: 9783791354149

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