Chronik einer belagerten Stadt

Albert Sánchez Piñols Roman „Der Untergang Barcelonas“ erzählt den Spanischen Erbfolgekrieg

Von Linda MaedingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Linda Maeding

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

2014 erreichte die katalanische Unabhängigkeitsbewegung ihren jüngsten Höhepunkt. Jeden 11. September, am Nationalfeiertag der „Diada“, wird der Niederlage gedacht, die einst die Belagerung Barcelonas durch die Bourbonen beendete und die zum Verlust der historischen Freiheiten und Rechte Kataloniens führte. Zur letzten Diada jährte sich die Kapitulation zum 200. Mal: Im Jubiläumsjahr widmeten sich zahlreiche Veranstaltungen und Ausstellungen diesem historischen Ereignis, das den Schlusspunkt unter einen 14-jährigen Krieg, den Spanischen Erbfolgekrieg, setzte.

Das Buch zum Jubiläum war bereits 2012 erschienen: Albert Sánchez Piñols historischer Roman „Der Untergang Barcelonas“, im Original „Victus“, zählt zu den großen Bestsellern Spaniens der letzten Jahre. Aus der Perspektive eines katalanischen Kaufmannsohns und späteren Festungsbauingenieurs erzählt, wird der Krieg in seinen wechselnden Allianzen, politischen Entwicklungen und vor allem in seinen Auswirkungen auf die Einwohner Barcelonas dargestellt.

Vorweg genommen sei, dass das im Stile eines Schelmenromans verfasste Werk sprachlich nicht restlos überzeugt. Zwar wurde der Text von Susanne Lange gewohnt behutsam und versiert ins Deutsche übersetzt. Doch der saloppe und bisweilen vulgäre Sprachduktus, der wohl durch die soziale Stellung des Erzählers legitimiert wird, wirkt allzu oft holprig. Überzeugend ist der Text dennoch als historischer Roman, der in der Narration einer aufgewühlten Zeit gekonnt historische Daten und Namen verknüpft und fiktional anreichert.

Wie der Autor in einem kurzen Vorwort betont, wurden alle historischen Fakten respektiert; die Fiktion beschränke sich auf das persönliche Umfeld des Protagonisten Martí Zuviría und seine Entwicklung. Anders als von den politischen und militärischen Anführern, die im Buch auftreten, ist von der historisch ebenfalls verbürgten Figur Zuviría nur wenig bekannt. Gerade deshalb eignet sie sich als Erzählerfigur, die fiktional reich ausgestaltet wird. Aus den Chroniken ist bekannt, dass Zuviría Generaladjutant des an der Spitze des katalanischen Bürgerheers stehenden Offiziers Villarroel war und dass er nach dem Fall Barcelonas in Wien Zuflucht vor der Unterdrückung durch die Bourbonen fand.

Aus der Retrospektive erzählt dieser ehemalige Schüler des größten Festungsbauingenieurs seiner Zeit, des Franzosen Vauban, an seinem Lebensende wie er einst „in den größten Schlamassel des Jahrhunderts geriet“. Gemeint ist die politische Gemengelage in Europa , die 1700 durch den Tod des kinderlosen Karl II. ausgelöst wurde: Um den spanischen Thron kämpften die von England unterstützten Habsburger, an deren Spitze Erzherzog Karl stand, sowie – angeführt vom bourbonischen Thronanwärter Philipp V. – Frankreich und Spanien.

Angefangen bei den politischen Eliten bis hin zu den „einfachen“ Vertretern des Volks, erzählt der Roman vor diesem Hintergrund zahlreiche Geschichten von Verrat und Loyalität. Die heroische Rolle fällt dabei den von Villarroel angeführten Barcelonesen zu. Denn die Katalanen, zunächst Schutzbefohlene der Habsburger, werden sich selbst überlassen, als der Erzherzog nach einem gewandelten politischen Panorama Barcelona verlässt, um in Wien zum Kaiser Karl VI. des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation gekrönt zu werden. Ihr Schicksal ist damit besiegelt, Katalonien kämpft nun allein gegen die erdrückende Übermacht der Kastilier – und entscheidet sich 1713 zur Verteidigung Barcelonas. Es folgt eine einjährige und gemessen an den zeitgenössischen Kriegsregeln äußerst brutale Belagerung, die insbesondere in ihrer Konsequenz für die unteren Schichten der Stadtbevölkerung detailreich geschildert wird. Zuviría versucht die im französischen Bazoches in seinen Lehrjahren angeeigneten Kenntnisse über die Belagerungstechnik, die im Roman durch zahlreiche Skizzen und Illustrationen veranschaulicht wird, zum Schutze seiner Stadt einzusetzen und muss letztlich doch scheitern.

„Was ist der Krieg? Heraushängende Eingeweide, Plünderung, Zerstörung. Das Widersprüchliche daran ist, dass die Kriegskunst à la Bazoches in ihrer letzten Konsequenz den Krieg auslöschte. Eine Disziplin, deren Bestimmung es war, sich selbst abzuschaffen!!“ Diese Reflexion Zuvirías zielt darauf ab, dass sein Lehrer Vauban nichts anderes im Sinn hatte, als die perfekte – sprich uneinnehmbare – Festungsanlage zu errichten. Doch in Barcelona schafft der Krieg sich nicht selbst ab. Er wird vielmehr unter Aufbietung zahlreicher Opfer bis ans bittere Ende, als die Niederlage Kataloniens eigentlich schon lange feststeht, geführt – und mündet dann in den Verlust der Selbstverwaltung. Dass diese historische Konstellation heute so häufig zitiert wird, liegt angesichts des Selbstverständnisses der Katalanen als Nation auf der Hand. Die Gegenwart wird so als kontinuierliche Weiterführung des vergangenen Kampfes um Selbstbestimmung aufgefasst.

Es hilft zumindest der spanischen Sache ganz sicher nicht, dass im vergangenen Jahr eine Vorstellung von Sánchez Piñols Roman am Instituto Cervantes in Utrecht von den (spanischen) Verantwortlichen mit der Begründung abgesagt wurde, der Akt könne aufgrund der zeitlichen Nähe zur Diada „politisiert“ werden. Natürlich fällt die Lektüre dieses Romans – von dem ansonsten auf Katalanisch publizierenden Autor interessanterweise auf Spanisch verfasst – im gegenwärtigen Kontext einer je nach Positionierung drohenden oder ersehnten Sezession schnell politisch aus. Aber letztlich ist die besagte Absage der Lesung selbst politisierend. Der Mangel an Diplomatie, der zumindest dem außenstehenden Beobachter im Verhältnis zwischen beiden Seiten zuweilen so merkwürdig aufstößt, lässt sich in dem Roman bis auf das heterogene soziale Imaginäre zurückführen, das sich an die Bezeichnung „Spanien“ bindet: „Wenn ein Katalane und ein Kastilier das Wort „Spanien“ gebrauchten, meinten sie im Grunde etwas Entgegengesetztes, und die Ausländer begriffen rein gar nichts mehr. […] In Wirklichkeit existiert Spanien nicht. Es ist kein Ort, sondern ein Dissens.“

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Albert Sánchez Piñol: Der Untergang Barcelonas. Roman.
Übersetzt aus dem Spanischen von Susanne Lange.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015.
719 Seiten, 24,99 EUR.
ISBN-13: 9783100616074

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