Charmante Wegbegleiterin durch die Semiotik

Aleida Assmann blickt in ihrem Sammelband „Im Dickicht der Zeichen“ auf ein umfassendes Forschungswerk zurück

Von Jonas ReinartzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jonas Reinartz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man würde Aleida Assmann zweifellos Unrecht tun, wenn man sie ausschließlich auf das Schlagwort des „kulturellen Gedächtnisses“ reduzierte. Oder auf die Rolle neben ihrem vermutlich noch bekannteren Ehemann, dem verdienten Ägyptologen Jan Assmann. Obwohl ihre großen Forschungsgebiete eng miteinander verknüpft sind, gibt es noch einen anderen großen Zweig in diesem bemerkenswerten Werk. Darf man das jetzt eigentlich so sagen? Ja, man kann es: Assmanns aufregenderes, breiteres, inspirierendes Forschungsfeld ist die Semiotik.

Der Band „Im Dickicht der Zeichen“ versammelt dazu Aufsätze aus drei Jahrzehnten. Jeweils um neuere Literaturangaben und vereinzelte Anmerkungen ergänzt, ergeben sie eine glänzende, organische Monographie. Assmann gliedert ihre semiotische Rundreise in fünf Abschnitte: Zeichentypen, Hieroglyphen, Schriftbildlichkeit, Deutungswahn sowie den Wandel des Lesens, sprich: Interpretierens.

Besonders interessiert zeigt sie sich am sprichwörtlichen „Deutungswahn“. Was zuvor als einzig legitimes Verfahren galt, nämlich das Buch der Natur beziehungsweise die Zeichen Gottes zu lesen, wird durch das Aufkommen der modernen Naturwissenschaft in einen anderen Bereich verschoben. Nun sind es nur noch die Verrückten oder Verliebten, die dem Glauben verfallen sind, ihr Blick könne die ‚Wahrheit der Welt‘ ans Licht bringen.

Assmann gelingt das Kunststück, ihr geballtes Wissen nie einfach auszustellen, sondern im besten Sinne zu „erzählen“. Man begleitet sie gerne auf ihrem Weg, gerade in Gefilde, die dem Literaturwissenschaftler oft nicht geläufig sind. In dieser Hinsicht ist das Kapitel „Alte und neue Hieroglyphen“ eine wahre Fundgrube: Komplex und gleichzeitig didaktisch behutsam wird man hier durch die Jahrtausende navigiert. Es dürfte sich, wie auch der Sammelband als solcher, sicherlich auf zahlreichen universitären Leselisten wiederfinden.

Zugleich ist „Im Dickicht der Zeichen“ ein sehr persönliches Buch. Es funktioniert eben auch als intellektuelle Biographie, beginnend mit einem Vorwort und einer Einleitung, die dafür effektiv den Weg ebnen. Auch wenn es nur ein Teil ihres Forscherinnenlebens ist, den Assmann hier ausbreitet: Man hat als Leser dennoch beständig das Gefühl, direkt am Puls einer Entdeckungsfreude zu sein, die stets weitere Kreise zieht.

Bei aller Gelehrsamkeit gibt es jedoch einen leichten Makel: Obwohl sich Assmanns Einzelinterpretationen ausgewählter Werke nahtlos in das große Ganze einfügen, fallen sie eher wenig überraschend aus. Dies mag freilich der – natürlich bewusst – verengten Perspektive geschuldet sein. Bezüge auf Denker wie Michel Foucault oder Jacques Derrida finden sich jedoch leider nicht in den Interpretationen wieder.

Angesichts des etwas zu häufigen Behelfsmittels eines „Hamlet“-Zitats oder Abschnitten wie denjenigen über „City of Glass“ verschärft sich dieser Eindruck allerdings zunehmend. Wer etwa die poststrukturalistischen Deutungen von Paul Austers metaphysischer Detektivgeschichte kennt, dem erscheinen die hier vorliegenden Ausführungen doch ein wenig „zahm“. Für sich genommen, sind sie freilich wunderschön zu lesen und handwerklich makellos – wie auch das große Ganze.

Titelbild

Aleida Assmann: Im Dickicht der Zeichen.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2015.
360 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783518296790

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