Im Gespräch mit einem Titanen

Christophe Fricker gibt die Gespräche zwischen Ernst Jünger und André Müller heraus

Von Stefan TuczekRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Tuczek

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was passiert, wenn der nicht unumstrittene Autor Ernst Jünger auf den ebenfalls nicht unumstrittenen Journalisten André Müller trifft, wenn sich also zwei Urgewalten des Kulturlebens auf Augenhöhe begegnen? Um die Antwort gleich vorwegzunehmen: Eigentlich nicht allzu viel: Die Gespräche sind nicht von Streit oder Missverständnissen geprägt. Es sind keine Skandalgespräche, wie man sie wohl von den beiden erwartet hätte – es bleibt stets ein tiefsinniger und feiner Gedankenaustausch zwischen den beiden. Das verwundert dann doch etwas. Der extrovertierte Müller, dem es sehr um die eigene Person in solchen Gesprächen ging, wie der Herausgeber Christophe Fricker gut herausstellt, gibt sich dem sehr medienscheuen Jünger gegenüber überaus zahm. Der Grund dafür dürfte wohl in Müllers tiefem Respekt und seiner Verehrung von Jünger liegen. So erwähnt er in Briefen etwa, dass er sich wünschte, Jünger wäre sein Vater. Es sind damit weniger Gespräche zwischen einem Journalisten und einem Autoren, als vielmehr zwischen einem Jünger und seinem Idol.

Insgesamt trafen sich Müller und Jünger fünfmal, das Buch beinhaltet die drei Gespräche von 1989, 1990 und 1993, die von Müller mittels Tonband mitgeschnitten wurden und hier transkribiert vorliegen. Aus zwei Treffen gingen ein Essay und ein bearbeitetes Interview hervor, die jeweils in der „Zeit“ abgedruckt wurden. Leider wurden das Essay und das Interview hier nicht noch einmal mitabgedruckt, was sehr bedauerlich ist, denn es hätte das vorliegende Buch mit seinen Gesprächen sehr bereichert. Gleichzeitig hätte man sehen können, wie Müller mit seinen Materialien verfährt, um aus ihnen einen entsprechenden journalistischen Text zu kreieren. Auch wenn die beiden Müller-Texte hier nicht vorliegenden, der Band ist dennoch mit reichhaltigem Zusatzmaterial angereichert. Neben der obligatorischen recht kurzen, aber dennoch fundierten Einleitung des Herausgebers, in der er über die Begegnungen zwischen und über die Personen Müller und Jünger im Allgemeinen spricht, finden sich auch Briefe der Beiden. Diese Briefe – und das ist wirklich vorzüglich gelungen – dienen als Gelenke zwischen den Gesprächen, das heißt sie führen auf die einzelnen Gespräche jeweils hin. Die Briefe sind dahingehend interessant, dass sich Müller gegenüber Jünger erklärt, was er will und welche Intensionen er verfolgt. Jünger dagegen bringt in ihnen zum Ausdruck, dass er sich selber viel von den Gesprächen erhoffe, vorrangig dies, dass auch aus ihnen etwas völlig Neues entstehen möge. Neben den Briefen sind zusätzlich noch einige Fotos und faksimilierte Aufzeichnungen und Transkripte von Müller beigefügt. Ergänzt wird der Band durch einen kurzen Anmerkungsteil zu den Gesprächen und einem Editionsbericht, in dem Fricker erklärt, wie er bei der Transkription vorgegangen ist: Hier und da hat Fricker Floskeln weggelassen und unverständliche Sätze bzw. Halbsätze entwirrt. Die Transkription ist sehr vorbildlich und man muss die Arbeit, die Fricker dafür aufgewendet hat, sehr loben. Einzig und allein das Lachen, was er mit „Hahaha“ wiedergibt, will nicht so recht gefallen, auch wenn er dies damit begründet, dass dies Jüngers Lachen am besten wiedergebe, es wirkt einfach zu comichaft – vielleicht wäre es besser gewesen, das Lachen einfach mit [lachen] wiederzugeben.

Die Gespräche selbst sind vom tiefen Respekt Müllers gegenüber Jünger geprägt, was nicht bedeutet, dass er nicht messerscharfe Fragen stellte: Wie der Titel schon andeutet, geht es um Fragen, die sich mit dem Schmerz, dem Tod und der Verzweiflung beschäftigen – Fragen, denen sich die Jünger-Forschung dieser Jahre wieder verstärkt zuwendet. Zugleich sind es Fragen über den Sinn des Lebens, über die Liebe und die großen und kleinen Niederlagen im Leben. Jünger gibt bereitwillig Auskunft, auch wenn manche Antwort nur ein Lachen oder ein „Ist das so?“ ist, so gibt es viel preis über den Autor. Den privaten Jünger wird man hier weniger finden – so werden alle Fragen stets mit seinem Werk verbunden, über das hier stets gesprochen wird. Dennoch ist es ein unverstellter Blick auf den umstrittenen Autor, der sich hier ganz natürlich gibt. Man erfährt darüber hinaus aber auch vieles über Müller, seine Fragen und Anmerkungen zu Jünger zeigen nicht nur, dass er ein exzellenter Jünger-Kenner ist, sondern sie lassen auch seine herausragenden journalistischen Fähigkeiten erkennen. Hier trafen sich wirklich zwei Titanen zum Gespräch, um vieles über sich selbst und über den anderen zu erfahren. Nicht nur als Jünger-Freund, sondern auch als Liebhaber des packenden Interviews wird man hier überrascht, durch diese zarte und geistreiche Männerfreundschaft, die sich langsam über die Jahre entwickelte.

Titelbild

Ernst Jünger / André Müller: Gespräche über Schmerz, Tod und Verzweiflung.
Herausgegeben von Christophe Fricker.
Böhlau Verlag, Köln, Weimar, Wien 2015.
234 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783412224868

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