Verteidigung des Poetischen

Über Michael Krügers Plädoyer „Das Ungeplante zulassen“

Von Gabriele WixRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gabriele Wix

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn schon die Literatur ein Randphänomen unserer Gesellschaft ist, dann gilt das erst recht – und auch nicht erst seit heute – für die Lyrik. Carl Spitzwegs Bild vom armen Poeten ist ein spätromantisch-biedermeierlicher Ausdruck der Schieflage, die sich unter dem ökonomischen Druck des 21. Jahrhunderts massiv verstärkt hat. Und merkwürdig genug: Sein kleines Gemälde zählt zu den beliebtesten und bekanntesten Bildern überhaupt. Offensichtlich mag man die Verbindung von Entsagung und künstlerischer Produktivität, ja betrachtet erstere oft sogar als Bedingung der letzteren. Von diesen Mythen aber können auch heute die Dichter nicht leben und müssen folglich die Veröffentlichung ihrer Gedichte im Gesamtpaket von Romanproduktion, Rezension, Essay, Lesung, Poetikdozentur, Stipendium, Stadtschreiberstelle, Vortrag, Workshop und anderweitiger (Bühnen-)Präsenz stemmen, wenn sie nicht, so das Klischee über die Kollegen aus der bildenden Kunst, Taxi fahren.  

Einige wenige Verlage unterstützen die Poesie nachdrücklich, darunter der Hanser Verlag, den Michael Krüger, der Autor des Hefts Das Ungeplante zulassen. Eine Verteidigung des Dichterischen, über viele Jahre hinweg prägte, zunächst als Lektor, dann als literarischer Leiter und schließlich bis 2013 als Geschäftsführer. Zu den Förderern der Dichtung gehört auch die Stiftung Lyrik Kabinett, die in alphabetischer Zählung die Reihe „Münchner Reden zur Poesie“ veröffentlicht. Der schmale Band, in dem Krügers Rede zur Poesie erschienen ist, trägt den Buchstaben M und ist damit bereits der dreizehnte in der 2005 begründeten Reihe. In den blauen Umschlag, der das geklammerte, mit viel Weißraum in der Korpus Gill Sans gesetzte Heft umgibt, ist das Alphabet als Versalien in einer feinen Nuancierung von Gelbtönen geprägt. Dem aktuellen Band „M“ gilt das intensivste Gelb. Die Umschlaggestaltung ist Programm, zeigt sie doch, wie wenig es bedarf, um ein Gedicht zu machen.

Es sind die Erfahrungen eines langen Lebenswegs, auf denen die Verteidigungsrede des Poetischen von Krüger beruht, der selbst ein vielfach ausgezeichneter Schriftsteller ist. Hinter den vielen Namen, die auf den nur 26 Seiten genannt sind, stehen häufig persönliche Begegnungen mit Germanisten, Philosophen, vor allem aber Autoren. Es sind Begegnungen, die durch ein leidenschaftliches und nicht zuletzt auch bemerkenswertes verlegerisches Engagement für das dichterische Tun geprägt sind. Geblieben ist das Staunen über den „epiphanischen Augenblick, der mit akuter Plötzlichkeit alles verändert, alles beschwört“, wie Krüger im Zusammenhang mit Hugo von Hofmannsthals „Gespräch über Gedichte“ schreibt: „Wie dieser ekstatische Augenblick zu erreichen ist, und ob er irgendwie künstlich oder spirituell herbeigeführt werden kann, weiß natürlich auch Hugo von Hofmannsthal nicht, aber da es eben vollkommene Gedichte gibt, muß von der Möglichkeit seiner Existenz ausgegangen werden.“

Es wäre voreilig, die Gültigkeit dieser Aussage allein an dem aktuellen Diskurs und einem poststrukturalistischen, prozessualen Textbegriff zu messen. Vielmehr stellt sich die Frage, ob es der Referenz auf alte Paradigmata bedarf, um die Bedingung der Möglichkeit von Poesie und Kunst in der Inspiration zu sehen. Selbst Gottfried Benn, immer wieder zitierter Kronzeuge für das Zurückweisen jeglicher Genieästhetik, hat die Intuition nicht aus dem Geschäft des Dichtens vertrieben: „Ein Gedicht entsteht überhaupt sehr selten – ein Gedicht wird gemacht.“ „[…] überhaupt sehr selten“, schreibt er, was gerne unterschlagen wird. Peter von Matt vergleicht den Augenblick der Intuition alltagstauglicher mit einem geglückten Bankraub, ohne auszuschließen, dass das Glück vielleicht erst dann erreicht ist, wenn es auch den Leser erwischt.

Fazit: „Das Ungeplante zulassen“ von Michael Krüger ist trotz oder sogar gerade wegen eines aus heutiger Sicht fremd erscheinenden Autor- und Werkbegriffs ein überaus lesenswerter Band in einer überaus lesenswerten Reihe.

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Michael Krüger: Das Ungeplante zulassen. Eine Verteidigung des Dichterischen. Münchner Reden zur Poesie.
Lyrik Kabinett, München 2014.
26 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783938776377

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