Rom ist dort, wo der Kaiser ist

Zehn ausgewiesene Kenner berichten über 1000 Jahre Byzantinische Geschichte

Von Stephan KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn es um mittelalterliche Geschichte geht, stehen zumeist Themen des lateinischen Westens im Mittelpunkt. Weniger Beachtung findet hingegen das Byzantinische Reich, welches tatsächlich das zweite Rom war. Dieses Faktum beruht auf ganz naheliegenden Gründen. Zum Einen hat das Byzantinische Reich hauptsächlich Quellen in griechischer Sprache hinterlassen, die dem heutigen Leser weniger zugänglich sind als lateinische und zum Anderen hat sich mit der Byzantinistik eine eigene Fachdisziplin neben der Mediävistik etabliert, die sich mit der Geschichte Ostroms befasst. Entsprechend sporadisch sind Überblickswerke gesät, die anstatt für ein historisches Fachpublikum für die breite Öffentlichkeit bestimmt sind. Genau diese Lücke füllt das zu besprechende Buch, das in Zusammenarbeit mit dem Geschichtsmagazin DAMALS herausgegeben wurde. Auf 128 Seiten wird in zehn Beiträgen von ausgewiesenen Kennern der byzantinischen Geschichte, wie Ewald Kislinger oder Ralph-Johannes Lilie, die über tausendjährige Geschichte Ostroms erzählt.

Die überlegt zusammengestellten Beiträge nähern sich dem Thema Byzanz jeweils von unterschiedlicher Perspektive, so dass sich eine Gesamtdarstellung ergibt. Die Artikel folgen dabei einer groben chronologischen Abfolge, beginnen mit der Regierungszeit Konstantins und der Gründung seiner neuen Residenz Konstantinopel um 330 und enden mit der Eroberung der oströmischen Hauptstadt durch die Osmanen 1453, wobei sich Ausblicke bis in die Gegenwart auftun. Die kurzweiligen Beiträge in der Länge von neun bis siebzehn Seiten stellen sich als gelungene Mischung aus Überblicksdarstellungen und spezifischem Fachwissen dar.

Im Folgenden soll in aller Kürze auf die einzelnen Kapitel eingegangen werden. Im Wesentlichen führt der Band durch zehn Jahrhunderte byzantinischer Geschichte. „Rom ist dort, wo der Kaiser ist“, schreibt Michael Sommer einführend in seinem Beitrag über Konstantin und seine neue Residenz, Konstantinopel. Und die Kaiser regieren seit dem 4. Jahrhundert im Osten. Wieso das so ist, erfahren wir anhand der Schilderung von historischen Ereignissen die selbstredend Begebenheiten wie die Tetrarchie oder die Schlacht an der Milvischen Brücke beinhalten. Mischa Meier folgt mit einem Beitrag über Justinian und den Codex Iustinianus und beschreibt das sich wandelnde Selbstverständnis des römischen Kaisertums, das sich vom göttlichen zum vom (christlichen) Gott gewollten Kaiser wandelt. Der Aufsatz von Bernd Schneidmüller behandelt anschließend das ambivalente Verhältnis von Kaiser und Kirche in Ost und West und relativiert dabei den von der älteren Forschung geprägten Begriff des Cäsaropapismus. Johannes Pahlitzsch und Martin M. Vučetič erörtern die Gräzisierung des Reiches und dessen langanhaltendes Ringen mit dem expandierenden Islam. Gleichzeitig wird auch auf die innenpolitischen Entwicklungen des Byzantinischen Reiches, das Schisma von 1054, den Ikonoklasmus oder den zunehmenden Großgrundbesitz eingegangen.

Mit „Mehr Zeremoniell als Macht“ betitelt Michael Grünbart seinen Beitrag über byzantinische Machtentfaltung des Hofes und beschreibt kaiserliche Repräsentation durch Münzen, öffentliches Auftreten und Palastbauten. Als prominentes Beispiel wird dabei der berühmte Reisebericht des Liutprand von Cremona von 949 zitiert, der von einem mechanischen Thron und hydraulisch betriebenen Löwenfiguren aus Metall zu berichten weiß. Daran anschließend gewährt Ewald Kislinger einen Blick in das Alltagsleben in Konstantinopel, der Hauptstadt des Imperiums. Neben den berühmten Bauwerken wird auch das Leben der einfachen Bevölkerung thematisiert, samt Aberglauben, Unzucht und Versorgungsproblemen, sowie die Krankenbehandlung in einer mittelalterlichen Metropole aufgezeigt. Einen kunsthistorischen Ansatz verfolgt Arne Effenberger, indem er anhand von Kirchenbauten und Ikonen die Byzantinische Kunst als „Leitkultur“ des Mittelalters beschreibt und auf deren immense Bedeutung über das schicksalhafte Jahr 1453 hinaus verweist. Dem von 1204 bis 1261 entstandenen Lateinischen Kaiserreich widmet Michael Grünbart seinen zweiten Beitrag in diesem Buch. Als lateinische Kreuzfahrer 1204 durch Venedig finanziert Konstantinopel eroberten, wurde das Byzantinische Reich in seinen Grundfesten erschüttert. Im Anschluss schreibt Ralph-Johannes Lilie über die Dynastie der Palaiologen und die letzten zwei Jahrhunderte des Byzantinischen Reiches, die von Bürgerkriegen und der äußeren Bedrohung durch die Osmanen geprägt waren. Christoph K. Neumann beschließt den Sammelband mit einem Beitrag über Istanbul als postbyzantinische Stadt und geht den Auswirkungen nach, die die Gründung der beiden Nationalstaaten Griechenland und Türkei im 19. und 20. Jahrhundert auf das Erbe des Byzantinischen Kaiserreiches hatte.

In dem Buch werden über 1000 Jahre auf knapp 128 Seiten behandelt. Dass es hierbei zwangsläufig zu Auslassungen kommen muss, liegt auf der Hand. Das Panorama der in den zehn Beiträgen gewählten Themen ist aber gut und lässt nur wenig vermissen. Im Mittelpunkt stehen zwar Überblicksdarstellungen, daneben wird aber auch konstruktive Kritik gegenüber weit verbreiteten Klischees zur mittelalterlichen Geschichte geübt. Damit erweist das Buch der Mediävistik einen wertvollen Dienst, denn nichts ist zermürbender als faktenreich-langweilige Überblickswerke, die nicht müde werden alte Vorurteile gegenüber dem Mittelalter zu bestätigen. So wird beispielsweise im ersten Beitrag von Michael Sommer die Aussage, dass Konstantin ein durch und durch christlicher Herrscher gewesen sei, relativiert und ihrer historischen Grundlage beraubt. Wir können dort lesen, dass der einzige Gewährsmann dafür, der christliche Autor Eusebios, den Kaiser nämlich bewusst als strahlenden Helden einer heilsgeschichtlichen Erzählung stilisieren wollte. Des Weiteren ist das sogenannte „Toleranzedikt“ von Mailand 313 nichts weiter als ein „Minimalprogramm“ gewesen und keineswegs der bedeutende Meilenstein für die Anerkennung des Christentums, wie häufig behauptet. Diese und ähnliche Aussagen machen die Lektüre des Sammelbandes stets interessant und spannend.

Die Darstellung des Stoffes zielt auf Verständlichkeit und Anschaulichkeit. Dazu dienen auch die zahlreichen farbigen Abbildungen, die den Leser zumindest passiv an der Materialität des Mittelalters teilhaben lassen. Die Bilder, bei denen es sich um zeitgenössische Kunstgegenstände, Abbildungen von Skulpturen und Statuten sowie um Fotos von Landschaften und Gebäuden handelt, veranschaulichen die textlichen Inhalte. Bis auf den kunsthistorischen Beitrag von Arne Effenberger wird jedoch im Text nicht explizit auf die Abbildungen eingegangen. Zusätzlich findet man mehrere Karten sowie eine Herrscherliste der Kaiser des Oströmischen Reiches. Zu jedem der zehn Beiträge gibt es zwei bis fünf deutsch- oder englischsprachige Literaturangaben.

Wer einen ersten Eindruck über die byzantinische Geschichte auf gut lesbare Weise gewinnen möchte und dabei auf einen wissenschaftlichen Apparat verzichten kann, ist mit „Byzanz“ gut beraten. Das Buch nimmt den Leser durch seine Aufmachung und den teilweise essayistischen Stil, der es leicht konsumierbar macht, gefangen. Dass 1000 Jahre auch kurzweilig beschrieben werden können, bezeugt der vorliegende Band.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Arne Effenberger / Michael Grünbart / Ewald Kislinger (Hg.): Byzanz.
Herausgegeben in Zusammenarbeit mit DAMALS.
Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2014.
128 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783806229660

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