Kurz und knapp

Harald Burgers „Phraseologie: Eine Einführung am Beispiel des Deutschen“

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Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Einführung in das Forschungsgebiet der Phraseologie von Harald Burger erschien in ihrer ersten Auflage 1998 und liegt nun in einer überarbeiteten fünften Auflage vor. Sie wird in der Reihe Grundlagen der Germanistik des Erich Schmidt Verlags veröffentlicht, richtet sich also vor allem an Studierende der Germanistik, denen eine „systematische und auf dem aktuellen Kenntnisstand basierende Einführung in Grundbegriffe, Analysekriterien und Kategoriebildung“ sowie in „Haupterscheinungen der Verwendung von Phraseologie in heutiger gesprochener und geschriebener Sprache“ geboten werden soll. Ein Ziel besteht unter anderem darin, die Grundlagen für ein eigenständiges Arbeiten im Forschungsfeld der Phraseologie zu schaffen.

Die Einführung ist – vor allem im ersten Teil – stringent und systematisch aufgebaut, die ersten vier Kapitel befassen sich dabei mit den Grundbegriffen der Phraseologie (allgemeine Einführung und Vorstellung der Grundkategorien im ersten Kapitel, Klassifikations- und Terminologiefragen im zweiten, detaillierte Darstellung ausgewählter Teilklassen von Phrasemen im dritten und schließlich der Bezug von Phrasemen zu ‚Mustern‘ im Allgemeinen im vierten Kapitel). Diesen Grundlagen schließen sich zwei Kapitel zur Semantik von Phrasemen an (ein generelles und eines, das sich mit der Bedeutung von Idiomen und Metaphern befasst) sowie ein syntaktisch orientiertes Kapitel zur Valenz von Phrasemen. Kapitel 8 bis 12 nehmen schließlich jeweils bestimmte Phänomene und Fragestellungen aus der Phraseologieforschung in den Blick: Zunächst werden in Kapitel 8 Sprichwörter beschrieben, in Kapitel 9 wird in die historische Entwicklung von Phrasemen eingeführt, Kapitel 10 befasst sich mit der textuellen Einbettung von Phrasemen, Kapitel 11 stellt das Spezialgebiet der Phraseographie vor und Kapitel 12 schließt mit einer Diskussion der Regionalität von Phrasemen (mit einem dem Ort der langjährigen Lehre und Wahlheimat Burgers, Zürich, geschuldeten Fokus auf den Kontrast zwischen bundesdeutschen und schweizerdeutschen Phrasemen).

Insgesamt gut gelungen ist der Grundlagenblock: Die Einführung in die Grundbegriffe der Phraseologieforschung ist klar und nachvollziehbar geschrieben. Burger bevorzugt einen weiten Phrasembegriff, bei dem „jede feste Kombination von zwei Wörtern zur Phraseologie“ (S. 15) gerechnet wird. Dies ist m. E. eine sinnvolle Festlegung, allerdings stellt sich dabei für informierte Leser direkt die Frage nach dem Bezug zu der Konstruktionsgrammatik, in deren Gebiet die Phraseologie mit einer derart weiten Definition ‚wildert‘. In der Tat finden sich im weiteren Verlauf der Einführung immer wieder knappe Verweise auf die Konstruktionsgrammatik, ohne dass dabei ein systematischer Bezug hergestellt würde. Dies ist eine verschenkte Chance und mithin ein großes Manko der Einführung: Der Bereich der Phraseologie wird so als ein in sich geschlossenes, weitgehend abgekapseltes Thema eingeführt, wobei aber gerade die Anfänge der Syntaxtheorie Konstruktionsgrammatik ihren Ausgang in phraseologischen Fragen hatten: Fillmore/Kay/O’Connor’s bahnbrechender Aufsatz Regularity and Idiomaticity in Grammatical Constructions von 1988, der als eine der Gründungsarbeiten zur Konstruktionsgrammatik gewertet werden kann, befasste sich beispielsweise mit dem Phrasem let alone, das ins Deutsche mit geschweige denn zu übersetzen ist. In den letzten Jahren sind darüber hinaus zahlreiche Arbeiten ‚zwischen‘ Konstruktionsgrammatik und Phraseologieforschung entstanden – ein guter Überblick findet sich in den bei Stauffenburg erschienenen Sammelbänden zur Konstruktionsgrammatik, u. a. von Fischer/Stefanowitsch (2006), Stefanowitsch/Fischer (2008) oder Lasch/Ziem (2011). Hier hätte die Chance bestanden, die Phraseologieforschung an aktuelle Forschungsfragen aus der Syntaxtheorie anzubinden – was leider nicht geschieht.

In Kapitel 2 werden Klassifikations- und Terminologiefragen geklärt, auch hier ist der Aufbau gelungen, wenn auch etwas knapp; außerdem erfolgt, wie zuvor erwähnt, nur ein knapper Verweis auf die Konstruktionsgrammatik (S. 32), weitere Bezüge auf die für die Phraseologieforschung eigentlich hochinteressanten aktuellen Diskussionen bleiben aus. Im dritten Kapitel werden einige Subklassen von Phrasemen herausgegriffen und etwas detaillierter vorgestellt. Insgesamt ist auch dieses Kapitel gelungen, es werden viele Beispiele geliefert, welche die Terminologievorschläge gut verständlich einführen. Kritisch muss hier nun aber auf das zweite Manko des Lehrbuchs hingewiesen werden: Ebenso wie die Einführung im Bereich der Theorie deutlich zu dünn aufgestellt ist, fehlt auch eine methodische Fundierung. Grundsätzlich werden fast immerzu eklektisch Beispiele präsentiert, die zwar nachvollziehbar sind, aber bei denen eine solide Begründung der Auswahl fehlt. Ähnlich wie bei der Konstruktionsgrammatik, die als Geist durch das ganze Buch zu schweben scheint und bei Gelegenheit explizit erwähnt wird, wird als Methode immer wieder die Korpuslinguistik empfohlen, und es wird auf die Möglichkeiten korpuslinguistischer Analysen verwiesen, ohne dass das Vorgehen der Korpuslinguistik – idealerweise in einem eigenen Kapitel – vorgestellt würde. Dies ist gerade angesichts der Tatsache, dass Studierende mit der Einführung ja an das selbstständige Analysieren von Phrasemen herangeführt werden sollen, eine schmerzliche Lücke. Der Mangel setzt sich auch im vierten Kapitel („Muster“) fort. An dieser Stelle hätte man eigentlich eine detaillierte Diskussion der Konstruktionsgrammatik erwartet, die dann aber nur knapp mit der Bemerkung erwähnt wird, dass der Verfasser darauf nicht „eingehen kann“ (S. 54); warum er darauf nicht eingehen kann, bleibt unklar. Der Mangel an theoretischer Fundiertheit führt dann auch dazu, dass die Diskussionen teilweise etwas oberflächlich und eher intuitiv verlaufen. Besonders deutlich wird dies auf Seite 59, wo ohne weitere Erklärung die Analyse der in Finkbeiners Studie Idiomatische Sätze im Deutschen (2008) behandelten Struktur „Da V (ja/doch) + ERG“, die zu Äußerungen wie Da wird ja doch der Hund in der Pfanne verrückt! oder Da läufts einem ja kalt den Rücken hinunter! führt, als nicht überzeugend beziehungsweise als fraglich eingestuft wird. Ohne eine theoretische Fundierung wirkt eine solche Einschätzung recht unwissenschaftlich bzw. rein auf Intuitionen beruhend.

Dem Grundlagenblock folgen zwei Kapitel zur Semantik von Phrasemen. In Kapitel 5 werden – im Kern gelungen – die Hauptprobleme vorgestellt, denen eine semantische Analyse von Phrasemen ausgesetzt ist. Doch auch hier macht sich die Theorieabstinenz bemerkbar: Wann immer Verweise auf Theorien und Ansätze kommen, mit denen der Spezialbereich der Phraseologie in die weitere linguistische Diskussion einbezogen werden könnte (wie z. B. auf Seite 71 mit der Diskussion des mentalen Lexikons), wird die Beschreibung sehr vage. Im zweiten Semantikkapitel (Kapitel 6) findet sich nun endlich einmal ein Bezug auf eine Theorie, konkret die Metapherntheorie von Lakoff. Diese wird allerdings etwas zu knapp vorgestellt und bleibt daher für EinsteigerInnen m. E. schwer zu lesen. Eine Übernahme der Visualisierungen von Ausgangs- und Zieldomäne bei der Metaphernanalyse, wie in der Metaphernforschung üblich, wäre für die Lesefreundlichkeit gut gewesen.

Nach der Semantik wird in Kapitel 7 die Syntax diskutiert. Dieses Kapitel fällt deutlich zu knapp aus, es umfasst lediglich neun Seiten (zum Vergleich: Die folgende Darstellung von Sprichwörtern umfasst 24 Seiten, das Kapitel zur Phraseographie 22 Seiten!). Alleine schon die Diskussion von Valenzphänomenen bei Phrasemen fällt auf Grund dieser Kürze schwer lesbar aus, weitere syntaktische Ansätze werden bestenfalls ‚im Vorbeigehen‘ gestreift. Das Kapitel sollte deutlich ausgebaut und systematischer strukturiert werden.

Von Kapitel 8 an werden nun Einzelbereiche aus der Phraseologieforschung herausgegriffen, die offensichtlich alle etwas von einem ‚Steckenpferd-Charakter‘ haben: Wie bereits erwähnt, umfasst Kapitel 8 zum Thema Sprichwörter 24 Seiten. Sehr ausführlich werden Sprichwörter (v. a. vor einem historischen Hintergrund) vorgestellt. Doch trotz der Länge des Kapitels fehlen auch hier methodische Grundlagen: So wird auf Seite 129 zwar die Relevanz von Korpora erwähnt, die Chance, anhand des Beispiels der Sprichwörter stringent in das korpuslinguistische Arbeiten einzuführen, aber nicht wahrgenommen. Ähnliches lässt sich auch zu dem Kapitel zu sprachgeschichtlichen Aspekten von Phrasemen sagen: Im Kern ist das Kapitel durchaus gelungen, bleibt allerdings methodisch und theoretisch ebenfalls oberflächlich und wirkt in seinem Eklektismus der Fallbeispiele wenig systematisch.

Dieses Muster setzt sich in Kapitel 10 zu Phrasemen im Text fort: Die Beispielauswahl ist wenig begründet, erfüllt aber als Anschauungsmaterial durchaus ihren Zweck. Der Bereich der Diskussion von Phrasemen in Kinderbüchern ist als Teilkapitel dagegen sehr gelungen.

Wie schon zuvor angedeutet, handelt es sich bei der in Kapitel 11 erfolgenden Diskussion von Phrasemen im Wörterbuch – in dem der Arbeitsbereich der Phraseographie, der Lehre der Auswahl und Systematisierung von Phrasemen in Wörterbüchern, vorgestellt wird – um eine oft sehr langatmige Kritik an der Praxis von Wörterbüchern hinsichtlich der Berücksichtigung von Phrasemen. Das Kapitel ist dabei thematisch so speziell, dass es leicht hätte gestrafft werden können, um Platz für die sehr viel notwendigeren Diskussionen theoretischer und methodischer Grundlagen der Phraseologieforschung zu schaffen.

Den Abschluss der Einführung liefert eine Diskussion regionaler Verschiedenheiten im Phrasemgebrauch, wobei allerdings hier nicht binnendeutsche Dialekt- und Regiolektgebiete fokussiert werden, sondern deutsche, österreichische und schweizerdeutsche Differenzen. Auch hier sind die Beispiele selbst durchaus anschaulich gewählt, es fehlen aber solide theoretische und methodische Konzepte. Fast schon komische Wirkung hat hier ein Verweis auf korpuslinguistische Arbeiten: „Piirainen (2003) und Hartmann (2005) berichten von empirischen Untersuchungen, die zeigen, dass auch innerhalb der Varietät Deutschlands große regionale Unterschiede insbesondere in der Umgangssprache zu verzeichnen sind.“ Eine solche distanzierende Darstellung – man verweist auf Autoren, die auch wieder nur von Studien (!) berichten – wirkt wie Erzählungen über Menschenfresser oder Drachen: Man hat von jemandem gehört, der davon berichtet hat, dass… Studierende sollten heutzutage selbstverständlich an empirisches Arbeiten herangeführt werden, es ist daher auch (und gerade) in Einführungen notwendig, dass dieses Methodenwissen vermittelt wird. Hierin weist die Einführung zu große Schwächen auf.

Über weite Strecken ist die Einführung durchaus gelungen, vor allem zur Vermittlung grundlegender Konzepte ist sie geeignet. Schmerzlich vermisst wird aber die auf der Hand liegende Möglichkeit, eine Anbindung an syntaktische Theorien zu leisten – die Konstruktionsgrammatik findet immer wieder Erwähnung, wird aber nicht systematisch vorgestellt und diskutiert – sowie ein Methodenkapitel. Das erste Manko, der Verzicht auf Theorie, marginalisiert m. E. die Phraseologie unnötig. Viel schwerer wiegt dagegen das zweite Manko, der Verzicht auf ein eigenes Methodenkapitel: Der Verfasser stützt sich zwar auf methodisch fundierte Arbeiten, präsentiert in der Einführung aber nur die Ergebnisse, was einen allzu eklektischen Eindruck hinterlässt. Für Studierende, die an das wissenschaftliche Arbeiten herangeführt werden sollen, bleibt unklar, wie man eine solide Analyse von Phrasemen durchführen soll. Hier wäre eine dezidierte und umfassende Methodendiskussion notwendig gewesen. Platz dafür wäre genug, das überlange und sehr spezielle Kapitel zur Phraseographie, das zu einer langatmigen Wörterbuchkritik geraten ist, hätte deutlich zu Gunsten eines Methodenkapitels gekürzt werden können. In der Folgeauflage wäre ein solches Kapitel (und idealerweise auch ein Syntaxkapitel, das mehr als nur die Valenz von Phrasemen betrachtet) ein Desiderat. In der fünften Auflage finden sich darüber hinaus einige Tipp- und Formatierungsfehler, die in der folgenden Auflage beseitigt werden sollten; u. a. schreibt sich die Autorin Elfriede Jelinek nicht Jellinek (vgl. S. 95).

Abschließend kann gesagt werden, dass trotz der Kritik bezüglich des Mangels an Anknüpfungspunkten an syntaktische Theorien sowie an einer soliden Einführung in korpusbasiertes Arbeiten im Bereich der Phraseologie der Band im Großen und Ganzen den Zweck erfüllt, einen auch für Studierende im Bachelor leicht lesbaren Einstieg bereitzustellen. Als alleiniges Lehrbuch ist die Einführung nicht zu empfehlen, zur Vermittlung der Grundlagen und, sofern darauf besonderer Wert gelegt wird, auch zur Vertiefung in das Spezialgebiet der Phraseographie, jedoch schon. Ergänzt werden muss es in jedem Fall um theoretische und methodische Ansätze, die ein sinnvolles Arbeiten in diesem Feld ermöglichen.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Harald Burger: Phraseologie. Eine Einführung am Beispiel des Deutschen.
5., neu bearbeitete Auflage.
Erich Schmidt Verlag, Berlin 2015.
241 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783503155972

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