Adoleszente Liebe und tödliche Krankheit

A. J. Betts’ „Die Unwahrscheinlichkeit von Liebe“ erinnert nur auf den ersten Blick an John Greens „The Fault in Our Stars“

Von Iris SchäferRSS-Newsfeed neuer Artikel von Iris Schäfer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine Erzählung über die Liebe zweier jugendlicher Protagonisten, die an Krebs und Leukämie leiden, erinnert zwangsläufig an John Greens Erfolgsroman „The Fault in Our Stars“. Doch zeigt der nähere Blick, dass sich A. J. Betts’ Roman, durch den sie aufgrund ihrer Arbeit mit schwerkranken Kindern und Jugendlichen in einem australischen Krankenhaus inspiriert wurde, von anderen Texten der Sick Lit abhebt. „Die Unwahrscheinlichkeit von Liebe“ kreist nicht um eine sentimentale Liebesgeschichte, die dadurch an Dramatik gewinnt, dass die verliebten Jugendlichen an einer potenziell tödlichen Krankheit leiden. Das Leben und Leiden im Angesicht der Krankheit dominiert, mit all seinen Eigenheiten. So wird etwa die Bedeutung sozialer Netzwerke für das gesellschaftliche Leben chronisch erkrankter Jugendlicher veranschaulicht, ebenso wie die psychischen Folgen von Organspenden aufgezeigt werden.

Von anderen Romanen der Sick Lit hebt sich der Text auch dadurch ab, dass hier ein männlicher Protagonist als Ich-Erzähler fungiert (wenn auch im steten Wechsel mit der Protagonistin Mia). Bereits seit den von Paula Kamen als „Teen Sick Lit“ bezeichneten erfolgreichen Krebs-Jugendromanen der 1980er-Jahre dominieren weibliche Erzählerinnen. Selbst in Greens Roman ist es eine weibliche Figur, die den Leser durch die Handlung führt. In Betts’ Text ist es jedoch ein männlicher Protagonist, der die krankheitsbedingten Veränderungen an seinem Körper und seiner Persönlichkeit beschreibt. Seit der Krebsdiagnose erscheint ihm seine Welt in jene der Gesunden und der Erkrankten gespalten. Demnach wird die Geschichte eines Außenseiters geschildert, dessen krankheitsbedingte Isolation durch das Bild des Isolierzimmers betont wird, in welchem die Handlung einsetzt.

Aufgrund einer Knochenmarktransplantation wird Zac isoliert, kann sich jedoch über das Internet mit Freunden austauschen. Die höchstproblematische Kommunikation über beziehungsweise im Angesicht einer potenziell tödlichen Krankheit bildet das zentrale Element des Romans. Dass das Internet und insbesondere soziale Netzwerkseiten wie Facebook keine verlässlichen Quellen oder adäquater Ersatz für eine reale Kommunikation sind, kommt etwa darin zum Ausdruck, dass Zacs Zimmernachbarin Mia ihre Krankheit auf ihrer Facebooksite nicht erwähnt, und angibt, im Urlaub zu sein. Doch gelingt es ihr nicht dauerhaft, die Krankheit zum Schweigen zu bringen. Denn diese verschafft sich durch körperliche Signale unweigerlich Gehör. Aufgrund einer Chemotherapie verliert sie zunächst ihre Haare und bald darauf wird ein Unterschenkel amputiert.

Während auf diese Weise deutlich wird, dass die Krankheit auf dem Körper Spuren hinterlässt und somit eine recht deutliche respektive laute (Körper-)Sprache spricht, gestaltet sich die Kommunikation zwischen den erkrankten Figuren als überaus zaghaft und leise. Sie ist durch Ungewissheit und Unsicherheiten geprägt. Zac und Mia nähern sich über Klopfzeichen an der Krankenhauswand an, die ihre Zimmer trennt; später folgen E-Mails und Zettel, schließlich Briefe und persönliche Begegnungen. Diese vorsichtige Annäherung verdeutlicht die Schwierigkeit, im Angesicht der Krankheit miteinander in Kontakt zu treten, aufeinander zuzugehen, sich im eigentlichen und übertragenen Sinne auszutauschen.

Doch weist die Krankheit der Figuren nicht nur negative Facetten auf. Sie gibt auch Gelegenheit zur intensiven Selbstreflexion und birgt die Selbsterkenntnis als potenziellen Krankheitsgewinn. Diese philosophische Komponente literarischer Krankheitsdarstellungen wird etwa in Zacs Reflektionen über die deutsche Knochenmarkspenderin deutlich, die Einfluss auf seine Persönlichkeit nehmen könnte und mit der er sich auf ganz besondere Weise verbunden fühlt. Während im Bereich der Allgemeinliteratur die Verbindung zwischen Organspender und -Empfänger beispielsweise in David Wagners „Leben“ (2014) durch einen Erzähler zum Ausdruck gebracht wird, der unter Bezugnahme auf Marcel Maus und Jacques Derrida über die Bedeutung dieser besonderen Gabe reflektiert, finden sich ähnliche Motive nur selten im Bereich der Jugendliteratur. So macht Betts in ihrem Roman ein bisher kaum berücksichtigtes Motiv literarischer Krankheitsnarrative für die Jugendliteratur fruchtbar.

Neben dem bereits aus anderen Texten der Sick Lit bekannten Muster einer Liebesgeschichte zwischen schwerkranken Teenagern, die sich durch unterwartete Wendungen, wie Rückfälle auszeichnet, bietet „Die Unwahrscheinlichkeit von Liebe“ durch die Betonung der mitunter problematischen kommunikativen Strukturen literarischer Krankheitsnarrative ein durchaus bemerkenswertes Unikum im Bereich der aktuellen Sick Lit.

Titelbild

A. J. Betts: Die Unwahrscheinlichkeit von Liebe.
Übersetzt aus dem Englischen von Katharina Diestelmeier und Anja Malich.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2014.
336 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783596856619

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch