So ein Theater?!

Comicadaptionen von Goethes „Faust“ im Spannungsverhältnis von Comic und Drama, Trivialität und Kanonizität sowie Geschichtlichkeit und Aktualität

Von Linda-Rabea HeydenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Linda-Rabea Heyden

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Comics und Goethes Klassiker werden selten zusammen gedacht. Dabei handelt es sich bei Faust um einen dialogischen Dramentext, der zur Inszenierung bestimmt ist – auch wenn er im 19. Jahrhundert als unaufführbar galt. Der Comic kann die direkte Rede in Sprechblasen übernehmen und wie bei einer Theaterinszenierung die Bühnenanweisungen umsetzen, demnach also als ein „Theater auf Papier“ (Grünewald) verstanden werden. Da dem Drama zwar eine erst spät einsetzende Aufführungsgeschichte, aber kein Illustrationsmangel zuteil wurde, können die Faust-Comics gleichzeitig auf eine breite Bildtradition zurückgreifen, ohne an die physikalischen Gesetze einer Bühnensituation gebunden zu sein.

Wie stark die Beantwortung der Frage, ob sich Goethes Verse für eine Comic-Sprache eignen, von der jeweiligen Comic-Inszenierung abhängt, zeigt eine Gegenüberstellung der Alben von Christian Schieckel und Falk Nordmann.

Schieckels steife Adaption mit holzschnittartigen Figuren, zentralperspektivischen Bühnendarstellungen und zitierten Nebentexten versucht gleichzeitig die Medialitäten von Theater, Dramentext und Papiertheater sichtbar zu machen, ohne den/die LeserIn am Ende für den Klassiker begeistern zu können: Die Poesie des Textes geht im langen Blocksatz der Verse unter, die gezeigte Bühnensituation vermittelt nichts von der Lebendigkeit des Theaters. Statt im Nebeneinander des Comic neue Synergien zu entwickeln, bleibt alles unverbunden hölzern.

In Nordmanns ambitionierter Adaption wiederum wandelt sich die Bildsprache von Szene zu Szene von flächigen Tuschezeichnungen und starken Schraffierungen bis hin zu reduzierten Skizzen. In den atmosphärisch unterschiedlichen Szenen sind die Verse frei gesetzt und das Lettering auf die jeweiligen Sprecher abgestimmt. Goethes Verse in Nordmanns modernem und differenziertem Setting erzeugen unerwartete Verknüpfungen – etwa die medizinische Vertragsunterzeichnung als Blutentnahme oder der Zauberspiegel als Fernseher. Gekonnt fügen sich Text und Bild in überraschenden Wort-Bild-Verbindungen organisch ineinander und erzeugen Zusammenhänge, die den/die LeserIn Goethes Verse neu und aktuell entdecken lassen.

Letztlich geht es hier um die Frage, inwieweit Goethes Faust (wie jeder Klassiker) in den Adaptionen in seiner Historizität und aktualisierenden Popularität verstanden wird.

Außerhalb Europas wird freier mit Goethes Quelltext umgegangen. Dies hängt sicherlich damit zusammen, dass die soziokulturelle Rahmung des Werkes als Teil des bildungsbürgerlichen Kanons dort weniger prägend ist. Die europäischen, und besonders deutschsprachigen, Faust-Comics hingegen übernehmen meist die Originalverse und die vom Drama vorgegebene Abfolge und verweisen zudem häufig auf die Adaptionsgeschichte des Klassikers in Bild und Theater.

Der hierzulande erfolgreichste Faust-Comic sollte nicht unerwähnt bleiben. Die Parodie erscheint zunächst ab 2009 als Serie in der FAZ. Im Folgejahr dann veröffentlicht Carlsen seinen Faust im Hardcover, mittlerweile liegt auch eine Taschenbuchausgabe vor. Beide Ausgaben zitieren mit ihrem gelben Einband die Ästhetik eines abgegriffenen Reclam-Hefts. Ihr Autor Flix ist den LeserInnen vertraut: Er veröffentlicht regelmäßig in der FAZ und im Tagesspiegel, seine Werke sind preisgekrönt und übersetzt.

Klare Linien, karikaturale Zeichnungen: Flix bleibt seinem altbewährten Stil auch im Faust treu. Der besondere Clou: Er versetzt die Handlung in das multikulturelle Berlin der Jetztzeit. Faust ist ein Jedermann; Margarethe eine Türkin der zweiten Generation; Goethes Verse sind nicht Grundlage, sondern punktuelles Zitat in einer Alltagsrede voller Plattitüden. Nur auf den ersten Blick ist Goethes Faust selbst Zielscheibe der banal anmutenden Parodie. Angegriffen wird letztlich seine museale Erstarrung zum lebensfernen Bildungsgut. Nicht die Faust-Figur kann heute, wie in manch überkommenem Lehrplan, für Goethes Werk begeistern, sondern eine moderne Variante der Gretchen-Handlung. Ebenso zeigt Flix in vielen Details eine genaue Kenntnis des Dramas und seine Adaption spricht keinesfalls nur Faust-Anfänger an. Bei allem Humor bestätigt die Adaption die Aktualität des Klassikers für heute und bietet selbst Kennern einen frischen Blick auf einen wohl bekannten Text.

Bibliographische Ergänzungen

Johann Wolfgang von Goethe: Faust – gezeichnet von Christian Schieckel. [Hardcover]. Prometh Verlag, Köln 1991, 107 Seiten, nur antiquarisch. ISBN 3928058045 [jetzt: 9783928058049]

Johann Wolfgang von Goethe, Falk Nordmann: Faust. Der Tragödie Erster Teil. Bd. 1. [Originalausgabe, Hardcover] Edition B&K 1996. o.S., nur antiquarisch. ISBN 9783930646135

Titelbild

Flix: Faust: Der Tragödie erster Teil.
[Hardcover].
Carlsen Verlag, Hamburg 2010.
95 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783551789778

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