Kindereien

Großes Glück und großes Elend – die Familie gibt zu beidem genügend Stoff. Katja Bohnets „Messertanz“ bestätigt das

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Romane, ja gerade auch Krimis, die zu viel wollen, verderben sich ihre guten Ansätze. Das ist umso bedauerlicher, wenn die Qualitäten, die in solchen Texten stecken, deutlich genug zu erkennen sind. Und das ist bei Katja Bohnets „Messertanz“ offensichtlich der Fall.

Eine Reihe von blutrünstigen Morden wird von zwei Ermittlern untersucht, von denen jeder selbst so einige Probleme hat, die eigentlich ihre ganze Aufmerksamkeit erfordern würden. Der eine, Viktor Saizew, leidet unter merkwürdigen Aussetzern, die immer dann auftreten, wenn er sie am wenigsten gebrauchen kann. Das ist für einen Polizisten nicht hinnehmbar, weshalb ihm der übliche misanthropische Vorgesetzte gehörig auf die Pelle rückt und ihm mit Suspendierung droht.

Die andere Figur, Rosa Lopez, leidet wiederum seit Jahren unter dem spurlosen Verschwinden ihres Sohnes, was sie eigentlich auch unzurechnungsfähig macht. Jede Woche sitzt sie mehrmals auf der Vermisstenstelle und nervt den zuständigen Kollegen, der dann im Nachhinein auch alles versucht haben will.

Viktor kommt nun gerade aus jenem osteuropäischen Land, aus dem auch die Opfer kommen. Und da wir auch den Mörder recht schnell kennenlernen, stellen wir fest, dass mal wieder alles irgendwie miteinander zusammenhängt. Sogar die neue Pathologin, die ein Verhältnis mit Viktor anfängt, ist Teil des Großen Ganzen.

Und das ist eben doch sehr merkwürdig und unrealistisch. Da kommen aus dem riesigen Land an der Wolga über 2 Millionen Menschen nach Deutschland, und gerade Viktor, die beiden Opfer und der Mörder kennen sich, wie sich herausstellt? Überdies verbindet der Mörder auch noch die Pathologin, Rosa Lopez und die Opfer miteinander? Mehr als unwahrscheinlich.

Der Plot, den Katja Bohnet entwirft, lebt im Grunde genommen von der Unsicherheit, die entsteht, wenn ein Kind verschwindet. Wo ist es? Lebt es noch? Ist es tot? Nichts wissen die gebeutelten Eltern, und die Ungewissheit quält und bestimmt ihr Verhalten.

Warum dieses Szenario mit einem Plot verbinden, in der ein armes Würstchen von Vater seine Frau schlägt und seine Kinder missbraucht, und dabei säuft und säuft? Gerade angesichts des nach dem Kölner Sylvester laut gewordenen Ruf nach den ‚guten echten Männern‘, die für ihre Frauen einstehen, mag man solche ‚guten echten Männergeschichten‘ besonders gern lesen. Und warum das dann auch noch damit würzen, dass diese gute russische Familie ihren unbrauchbaren Sohn in Russland zurücklässt und auswandert? Das zurückgelassene, vereinsamte Kind, das sich dann schließlich an allen rächt?

Drei Gewaltanlässe, die dazu noch personell eng miteinander verknüpft werden: Das verlassene Kind ist das missbrauchte, das seine kriminelle Karriere daran knüpft, Kleinkinder zu entführen und sie neuen Eltern zuzuführen. Erste Ware, nicht die gebrauchte aus den Heimen.

Und dann noch die Rache, die blutig genossen wird. Nein. Drei Romane hätte man aus all dem machen können, und sie wären dennoch nicht schlecht motiviert gewesen. So wird’s ein vermeintlich dichtes, tatsächlich aber überladenes Kammerspiel vom Elend der Familie, aus der heraus alle Gewalt entspringt, die nun dann auch noch diesen Roman zu bluttriefend macht.

Dass die internationale Krimigewalteskalation in Deutschland angekommen ist, wusste man schon vorher. Aber Bohnet demonstriert ein wenig arg deutlich, dass sie sich auskennt beim Geschmack des Publikums und bei den neueren Genreausstattungen.

Denn dazu gehören auch die Macken ihrer Ermittler, die samt und sonders aus dem Dienst entfernt gehören. Es ist in letzter Zeit üblicher geworden, dass sich auch Polizisten als Rächer gerieren. Dass sie dabei aber das System, das sie ernährt, aus den Angeln hebeln, scheint ihnen schnuppe zu sein. Anscheinend ist der Beamtenstatus stark genug, auch solches Fehlverhalten noch zu schlucken.

Wenn aber beim Kampf um die Gerechtigkeit das Recht auf der Strecke bleibt, kann man als Polizist getrost einpacken. Da hilft auch kein Flackern, das einem Entschluss vorangeht, dem dann noch schnell zuvorzukommen ist. Das will man eigentlich nicht lesen, oder wenn doch, dann ist auch schon alles egal.

Aber dennoch: die Familie? In den lang vergessenen 1960er-Jahren war die Familie schon einmal der Hort des Bösen. Heute ist sie hingegen der Zwangsort des Glücks. Was beides nicht von Einsicht in den Familienalltag zeugt, der immer auch beides beinhaltet. Immerhin kann man den viel gescholtenen neuen Familien zugestehen, dass sie es zumeist alles anders und alles richtig machen wollen (auch wenn dann doch alles schiefgeht). Da braucht es andere Krimischreiber, um daraus noch Funken zu schlagen.

Titelbild

Katja Bohnet: Messertanz. Thriller.
Knaur Taschenbuch Verlag, München 2015.
302 Seiten, 9,99 EUR.
ISBN-13: 9783426516744

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