Ich möchte dich haben, Jane
Jennifer Foehner Wells’ Weltraum-Geschichte „Die Frequenz“ enttäuscht in jeder Hinsicht
Von Rolf Löchel
Besprochene Bücher / Literaturhinweise„Das Universum ist ein gefährlicher Ort“ und „Sicherheit ist eine Illusion“. Zwei ebenso bekannte wie unerfreuliche Tatsachen, die nicht nur unser wirkliches Leben hier auf Erden, sondern auch das in den phantastischen Welten der Science-Fiction prägen. Zumindest dasjenige der sechs von Jennifer Foehner Wells in ihrem Roman Die Frequenz erdachten AstronautInnen. Dabei schickt die Autorin sie nicht einmal in die Weiten der Galaxis, sondern nur auf eine – allerdings monatelange – Reise in den Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter. Denn dort entdeckte die unbemannte Raumsonde Mariner 4 bereits im Jahr 1964 ein Raumschiff von der Größe einer mittleren Stadt, was vor der Öffentlichkeit selbstverständlich ebenso geheim gehalten wurde wie der Crash eines kleineren Raumschiffes in Roswell 1947. Deshalb sind diese Vorfälle auch weit weniger bekannt, als die ubiquitären Misslichkeiten des Daseins. Anno 2030 ist es dann aber endlich soweit: Eine kleine Gruppe von WissenschaftlerInnen – bestehend aus vier Männern und zwei Frauen – macht sich auf den langwierigen Weg von hier nach dort um das Raumschiff zu erkunden.
Foehner Wells’ Roman, dem die Eingangszitate entnommen sind, setzt unmittelbar vor deren Ankunft ein, bietet jedoch auch etliche Rückblicke in das bisherige Leben seiner Figuren, namentlich in dasjenige der Linguistin Jane Holloway. Aber auch der Ingenieur Alan Bergen erinnert sich immer mal wieder gern an die Zeiten vor seinem Aufbruch ins All. Etwa daran, wie er Halloway kennenlernte. Selbstverständlich ist er, wie alle menschlichen Figuren des Romans, promoviert. Ansonsten wurde er von der Autorin geradezu als Abziehbild eines Machos konzipiert. So hat er einen sehr ‚männlichen‘, also objektivizierenden Blick auf Frauen und deren Äußeres. Dieser Blick lässt ihn bei seiner ersten Begegnung mit Holloway „eine gut gepolsterte Blondine“ mit einer „perfekten Frisur“ sehen, wobei er insgeheim findet, es sei „wirklich zu blöd, dass sie nicht mehr Bein zeigte“. Zweifellos gibt es solche Männer. Und es steht zu befürchten, dass sich dies auch bis zum Jahr 2030 nicht nennenswert bessern wird. Das in der Figur personifizierte Männerklischee ist denn auch so falsch nicht, wird aber doch etwas zu dick aufgetragen. Doch nicht nur er, sondern auch die anderen Figuren leiden an klischeehaften Geschlechterrollen. So ist die zweite Frau an Bord selbstverständlich Ärztin, während die Männer Piloten, Techniker und Militärs sind. Hierzu passt auch, dass die beiden aussichtsreichsten Studentinnen Holloways sehr zu deren Bedauern ihre Karrieren aufgeben, weil sie Kinder bekommen wollten.
Halloway ihrerseits ist die eigentliche Protagonistin und Identifikationsfigur. Ihre schier unfassbaren fachlichen Fähigkeiten verdankt die Linguistin nicht etwa ihrem Intellekt, sondern vielmehr „irgendeinem Umstand bei der Geburt“: „Irgendein seltsames mutiertes Gen, irgendein Dreh in ihrer Gehirnchemie hatte ihr die Fähigkeit verliehen, neue Sprachen so leicht zu lernen, wie sie atmete.“ Wer also auf ein Spiel mit linguistischen Thesen und Fragestellungen oder besondere linguistische Finessen hofft, wird sich enttäuscht sehen. Zwar ist sie tatsächlich diejenige, die mit dem Fremdwesen, das sie überraschenderweise an Bord des Alienschiffes finden, kommunizieren kann. Aber dies geschieht nicht verbal, auch nicht mittels Mimik oder Gesten, sondern rein mental, als „bizarrer“, „geradezu surrealer Austausch“, bei dem beide Bewusstseine „auf einer einzigen Ebene, einer Frequenz verschmelzen“. Ihre Fähigkeit, mit dem Alien zu kommunizieren, lässt Jane wenig nachvollziehbar vermuten, dass „Sprachen mit proto-indoeuropäischen Wurzeln“ auf eine „uralte Sprache“ zurückgehen, die „in unseren Genen aufbewahrt“ ist, wenngleich „die Idee der Monogenesis einer proto-menschlichen Sprache“ von der Linguistik „verworfen“ worden sei. Näheres erfährt man nicht. Etwas ausführlicher werden hingegen ihre evolutionsbiologischen Ideen auseinandergesetzt. Mag sie sich, aus welchen Gründen auch immer, mit dem Alien verständigen können, befremdlich wirkt, dass sie von ihm oder ihr gesiezt wird, sie das Alien hingegen von Beginn an duzt. Das lässt nicht eben auf eine ausgeprägte kommunikative Kompetenz ihrerseits schließen. Erörtert oder begründet wird das hierarchische Kommunikationsverhalten nicht. Da diese Unterscheidung der Anredeform im Englischen schwerlich möglich ist, dürfte all dies nicht der Autorin anzulasten, sondern auf eine Entscheidung des Übersetzers Alfons Winkelmann zurückzuführen sein, der in seiner oft steifen Übertragung englische Redewendungen auch schon mal wortwörtlich übersetzt.
Doch zurück zur Heldin des Geschehens: Sie ist 35 Jahre alt, geschieden und kinderlos. Ansonsten weint sie gelegentlich, fühlt sich dann und wann „klein und verwundbar“ und wirkt öfter „verletzlich“. Es kommt, wie es kommen muss, Bergen verliebt sich in die ihm zu Beginn nicht sonderlich sympathische Frau und erweist sich als ziemlich verklemmter Brautwerber. Irgendwann einmal stehen sie einander nackt in einer Dusche gegenüber. Dabei gewährt die Autorin den Lesenden einen Blick in das ziemlich penälerhafte Innenleben des erotisierten Bergen. „Wenn sie bloß wüsste, wie verführerisch sie aussieht“, sinniert er etwa, als er sie einseift, denn sie hatte während der langen Raumfahrt „den größten Teil ihrer Rubensfigur eingebüßt aber der Rest war immer noch an den richtigen Stellen“. Sein Penis errigiert und er stöhnt im Stillen „O mein Gott, das ist Folter!“ Später wird seine Verführungskunst in dem hervorgestoßenen Bekenntnis „Ich möchte dich haben, Jane“ zum Höhepunkt gelangen.
Foehner Wells lässt ihre in den Tiefen des Asteroidengürtels natürlich recht blasse Sonne also auf wenig Neues in den Geschlechterbeziehungen scheinen. Dass es in einer lebensbedrohlichen Situation einmal nicht die weiblichen Besatzungsmitglieder sind, die gerettet werden müssen, ändert daran wenig, lässt Bergen aber gegenüber Holloway klagen, „so sollte das eigentlich nicht funktionieren, wissen Sie“, vielmehr sollte sie die zu rettende „Dame in Nöten“ sein. Ihre verärgerte Antwort, dass sich die Zeiten ändern und „Geschlecht keine Rolle spielt“, erweist sich allerdings als trügerisch.
Die Autorin erzählt das Geschehen abwechselnd aus den Perspektiven Holloways und Bergens. Dabei legt sie immer wieder ein ausgesprochenes Faible für Details an den Tag. Mag sie die Lesenden für eine Space Opera auch nicht allzu tief in die unendlichen Weiten des Weltraums entführen, so gewährt sie ihnen doch einige bedeutungsvolle Einblicke in Raum und Zeit des Handlungsuniversums. Dennoch, Überraschungen bieten weder die Entwicklung des altbekannten Plots um die Gefahren, die der Menschheit durch ‚böse‘ Aliens dräuen, denen wiederum andere Paroli zu bieten versuchen, noch die Charaktere und ihre zwischenmenschlichen Beziehungen zueinander.
Erzählt ist all dies in einem wenig ansprechenden Sprache, deren Bilder und Metaphern gelegentlich haarsträubend ausfallen: „Ranken beschwichtigender Gedanken überschwemmten sie und ihr Bewusstsein.“ Unfreiwillig (?) komisch wiederum wirkt die Versicherung, die „Salze, Mineraloxide und Tonerden“ einer „Lipidemulsion“ der Aliens, mit denen Verbrennungen der RaumfahrerInnen gelindert werden, stammten von „naturreinen Welten“ und seien „natürlich und nachhaltig gefördert“ worden. Dass die Entfernung der Erde zum Mars „irgendetwas zwischen 55 und 100 Kilometer“ betrage, ist zwar nur ein kleiner, aber für eine Raumfahrt-Geschichte natürlich ärgerlicher Fehler. Da wurden jeweils nicht weniger als sechs Nullen vergessen.
Summa summarum dürfte es selbst eingefleischten Fans von Weltraumgeschichten, auch dann, wenn ihnen Geschlechterklischees und konservative Geschlechterbeziehungen völlig schnuppe sind, nicht ganz leicht fallen, diesem in so ziemlich allen Belangen reichlich konventionellen Weltraumabenteuer etwas abzugewinnen. Selbst der Cliffhanger am Ende wird sie kaum dazu verführen können, auch noch die von der Autorin offenbar geplante Fortsetzung zu erstehen.
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