Suche nach der poetischen Wahrheit

Der Dokumentationsband zum 14. Internationalen Hermann-Hesse-Kolloquium in Calw 2013 geht dem biografischen Aspekt im Werk des Schriftstellers nach

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In den meisten Romanen und Erzählungen von Hermann Hesse verbergen sich autobiografische Hinweise. Sein Werk stellt das Spiegelbild seiner selbst dar, vielfach hat er darin seine Erlebnisse und Seelenkonflikte verarbeitet. Es wäre jedoch ein Irrtum, anzunehmen, dass der Schriftsteller eine genaue Wiedergabe der realen Ereignisse anstrebte. Es ging ihm nicht um eine naturalistische Wahrheit sondern um eine künstlerische Komprimierung der Wirklichkeit – gewissermaßen ein Erinnern mit Fantasie.

Diesem biografischen Aspekt in Hermann Hesses Werk widmete sich das 14. Internationale Hermann-Hesse-Kolloquium in Calw vom 10.bis 11. Mai 2013. Im Wehrhahn Verlag ist ein schmaler Band mit sämtlichen Vorträgen dieser Veranstaltung erschienen. Zunächst gibt der Herausgeber Michael Limberg in seinem Vorwort einen kurzen Überblick zu den 9 Referaten und den darin geäußerten Überlegungen.

In dem Eröffnungsvortrag „Das verborgene Werk“ beleuchtet der Schweizer Schriftsteller Adolf Muschg ausführlich Hesses Briefwerk unter dem autobiografischen Blickwinkel, wobei er sich auf den Briefverkehr beschränkt, in dem Hesse vorrangig als Ratgeber gefordert war. Der Germanist Tim Lörke fragt anschließend „Wie viel Dichter steckt im Text?“ und analysiert das Verhältnis von Dichterleben und Literatur am Beispiel von Hermann Hesse. Michael Limberg untersucht die poetische und naturalistische Wahrheit in Hermann Hesses Erzählung „Der Zyklon“, in der Hesse ein Naturereignis aufgriff, das sich am 1. Juli 1895, einen Tag vor seinem 18. Geburtstag in Calw ereignete. Die Sturmschäden fanden dabei ihre Entsprechung in den seelischen Kränkungen des Ich-Erzählers.

Der Literaturhistoriker Kirsten von Hagen betrachtet dagegen Hesses Erzählung „Casanovas Bekehrung“ und die Konzeption der kosmopolitischen Figur Casanovas als Parallele zur Biografie des Autors. Der Germanist Osman Durrani widmet sich „Hermann Hesses Träumen und anderen Fiktionen“, die seiner charakteristischen Wirklichkeitsablehnung entsprachen und den Rohstoff zu seinen literarischen Werken lieferten.

Sonnenuntergänge, Gärten, Felder und Hausdächer im Abendlicht – das alles hat Hesse in seiner Gedankenprosa „Was der Dichter am Abend sah“ poetisch festgehalten, mit der sich die Literaturwissenschaftlerin Henriette Herwig auseinandersetzt. In „Sprachkunst zwischen Proust und Jung“ interessiert sich der Schriftsteller Michael Kleeberg für die sinnlichen Wahrnehmungen in Hesses Erzählung „Kinderseele“, in der einen 11-jährigen das schlechte Gewissen plagt. Für den Lektor Volker Michels ist nicht nur Hesses literarisches Werk sondern auch sein umfangreicher Briefverkehr und seine Aquarelle eine Möglichkeit des persönlichen Widerstandes. Den Abschluss bilden schließlich Überlegungen des Hesse-Kenners Herbert Schnierle-Lutz zu Hesses frühen „Gerbersauer Erzählungen“, in denen er den Ausgangspunkt des autobiografisch motivierten Schreibens von Hermann Hesse sieht. Komplettiert wird der Dokumentationsband durch eine Auflistung der vorangegangenen „Internationalen Hermann-Hesse-Kolloquien“ in Calw. Sie öffneten jeweils den Blick auf ausgewählte Aspekte im Werk von Hermann Hesse.

Titelbild

Michael Limberg (Hg.): „Der poetischen Wahrheit nachgehe(n)“. Der biographische Aspekt in Hermann Hesses Werk.
Wehrhahn Verlag, Hannover 2013.
128 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783865253583

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch