Beratene und Beratungsresistente in vier Dynastien

Gerd Althoff stellt Formen und Aspekte der Machtkontrolle im frühen und hohen Mittelalter dar

Von Jörg FüllgrabeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Füllgrabe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Womöglich aktueller als ursprünglich gedacht führt das vorliegende Buch in die ‚Formeln und Regeln politischer Beratung im Mittelalter‘ ein, und angesichts der aktuellen Krisendichte fällt es nicht schwer, konkrete Bezüge zur Gegenwart herzustellen, auch ohne den überstrapazierten Satz „überall sei Mittelalter“ aufzugreifen. Das laut Einleitung im Mai 2015 abgeschlossene Buch des – nach eigener Aussage – ‚Seniorprofessors‘ Gerd Althoff, der an der Universität Münster tätig ist, ergänzt Althoffs ebenfalls in der Darmstädter ‚Wissenschaftlichen Buchgesellschaft‘ erschienenen ‚Macht der Rituale‘ eindrucksvoll.

Die gängigen populären Vorstellungen mittelalterlicher Herrschaft orientieren sich an der Vorstellung des imperialen römischen Dominats und blenden zumeist den nicht unwesentlichen Aspekt aus, dass der mittelalterliche Herrscher grundsätzlich eher als ein ‚Primus inter pares‘ bezeichnet werden kann, dessen Herrschaft in weiten Zügen auf dem Geflecht gegenseitiger Verpflichtungen beruhte, die wegen ihrer Reziprozität von Seiten des Herrschers zumindest ein gewisses Maß an Rücksichtnahme bei Entscheidungsprozessen erforderte.

Dieses Prinzip konsensualer Herrschaft bedingte, dass Entscheidungen einvernehmlich und nach Beratungen zu fällen seien. Ein Problem stellt die naturgemäß vorhandene Intransparenz solcher Vorgänge dar, die in den Quellen aus naheliegenden Gründen selten einen validen Niederschlag fanden. Gerd Althoff analysiert in diesem Überblick mit Schwertpunkt auf früh- und hochmittelalterliche Verhältnisse die vorhandenen Dokumente auf eben diesen Aspekt der Beratung.

Dabei werden in einer knappen Einleitung Aspekte und Rahmenbedingungen des Phänomens der ‚Beratung’ definiert beziehungsweise Rahmenbedingungen vorgestellt, bevor Detailliertes zu den vier Dynastien der Karolinger, Ottonen, Salier und Staufer zu lesen ist.

Der Abschnitt über die Karolinger beginnt mit grundlegenden Ausführungen zum ‚consensus fidelium‘ in Merowinger- und früher Karolingerzeit. Der umfangreichere Teil dieses Abschnitts befasst sich allerdings mit den Nachfolgern Karls des Großen, wobei zunächst die Verhältnisse im Zusammenhang mit Ludwig dem Frommen als Herrscher zwischen „falschen Ratgebern und selbstbewussten Bischöfen“ in den Blick genommen werden. Dass ausgerechnet der vor allem in der nationalromantischen Rezeption so schlecht beleumundete Ludwig in den Fokus gestellt wird, ist nur einer der besonderen Aspekte des vorliegenden Bandes. Intensiver wird die Beschäftigung mit den Texten Hincmars von Reims, an denen Gerd Althoff die ‚Theorie und Praxis der Bewertung in der späten Karolingerzeit’ verdeutlicht; hier wie in den folgenden Abschnitten steht die Auswertung entsprechender Quellen im Vordergrund. ‚Zusätzliche Beispiele für Beratung‘ sowie ‚Staatskirchentum und Beratung‘ sind weitere Unterabschnitte für den Block zur Karolingerzeit.

Vom grundsätzlichen Aufbau, der teils bekannte Entwicklungen der allgemeinen politischen Geschichte explizit auf den Aspekt der Ratgeberschaft hin untersucht, weicht der Verfasser auch in den folgenden, bereits erwähnten Blöcken zu den folgenden Herrscherdynastien des Mittelalters nicht ab. So werden für die ottonische Zeit ausführlich die Verhältnisse im Umkreis Otto des Großen, aber auch des letzten Ottonen, Heinrich II., dargestellt. Hier kommt Thietmar von Merseburg ausführlich zu Wort, dessen Informationen kaum zu überschätzen sein dürften.

Die salische Dynastie beschreibt Gerd Althoff eindrücklich im Spannungsfeld des ‚schlecht beratenen‘ bzw. ‚beratungsresistenten‘ Heinrich IV. und seines Sohnes Heinrich V., des ‚treuen Sohnes der Kirche‘ und ‚Friedensstifter in Reich und Kirche‘. Im ‚staufischen Kapitel‘ schließlich steht zuvorderst Friedrich I. ‚Barbarossa‘  und der Konflikt zwischen dem Stauferkaiser und seinem welfischen Gegenspieler Heinrich dem Löwen im Fokus der Untersuchung, aber auch der Thronstreit nach dem Tode Heinrichs VI. wird angemessen beleuchtet. Hier, wie auch an den bereits zuvor erwähnten Beispielen, geht Althoff dezidiert auf die vorhandenen Quellen ein und legt damit sicherlich den Grundstein für weitergehende Arbeiten – in welchem Kontext auch immer –, die mehr in die Tiefe zu gehen vermögen, als es einer doch einem ‚großen Wurf‘ verpflichteten Publikation wie der vorliegenden möglich sein kann. Es steht zu vermuten, dass zumindest etliche Seminararbeiten zur mittelalterlichen Herrschaftsgeschichte ihre Anleihen bei der ‚Kontrolle der Macht‘ vornehmen werden respektive das Buch machen Einstieg in die komplexe Thematik erleichtern wird. Hierzu wird gewiss auch das knappe Fazit beitragen, in dem die Mechanismen der Beratung noch einmal verdichtet dargestellt sind. So sind dort auch die Entwicklungen im weiteren Verlauf des Mittelalters skizziert, die in diesem Band nicht weiter verfolgt werden können. Ein knapp 20 Seiten umfassendes Quellen- und Literaturverzeichnis sind ebenso positiv heraus zu heben wie auch ein detailliertes Register, das sich aber, was gemessen an der ‚Passgenauigkeit‘ des Inhaltsverzeichnisses nur bedingt ins Gewicht fällt, lediglich auf wesentliche Personen bezieht.

Es wäre sicherlich kühn zu behaupten, die abgesehen von Quellen- und Literaturverzeichnis bzw. Register ca. 330 Seiten der ‚Kontrolle der Macht‘ seien in einem Zug durchzulesen, auch wenn schwüle Sommernächte durchaus dazu verleiten mögen. Gleichwohl vermag der präzise und doch nicht sperrige sprachliche Duktus, in dem das Buch gehalten ist, zu fesseln und damit ohne im abschätzigen Sinne populärwissenschaftlich zu sein, das hochinteressante und – wie eingangs erwähnt – eher unterschätzte Phänomen der mittelalterlichen Machtkontrolle, aber auch königlicher ‚Gegenstrategien‘ eben durch herrscherliche Ratgeber näher zu bringen. Früh- und Hochmittelalter werden so bemerkenswert beleuchtet. Schade ist nur, dass dieses interessante Teilphänomen politischer Geschichte des Mittelalters nicht über die Stauferzeit hinaus thematisiert werden konnte – dann allerdings wäre der ohnehin umfangreiche Band wirklich nicht mehr für eine Lektüre am Stück geeignet – weder im Sommer noch in den längeren Winternächten.

Das Buch sei daher allen ans Herz gelegt, die sich mit mittelalterlicher Herrschaftsgeschichte und -praxis befassen oder sich dafür interessieren. Auch der insgesamt gesehen angemessene Preis dürfte für eine weite, auch private, Verbreitung von ‚Kontrolle der Macht‘ sorgen.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Gerd Althoff: Kontrolle der Macht. Beratung von König, Adel und Kirche im Mittelalter.
wbg – Wissen. Bildung. Gemeinschaft, Darmstadt 2016.
360 Seiten, 49,00 EUR.
ISBN-13: 9783534267842

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