Historische China-Exkursion

Mit Don Winslows „China Girl“ erscheint der zweite Band der Neal Carey-Reihe

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass Suhrkamp sein wirtschaftliches Überleben in den vergangenen Krisenzeiten zumindest in Teilen seinem Krimi-Engagement – das noch nicht so lange währt – und hier insbesondere dem Glücksgriff Don Winslow verdankt, wird man ohne Blick in die Geschäftsbücher des Verlags nicht belegen können. Dennoch ist Winslows Einfluss auf den Erfolg des Verlags bekannt.

Begonnen hatte Suhrkamp seine Winslow-Publikationen noch mit den eher leichtgewichtigen Surfer-Krimis, mit denen der Autor das Easy-Living der Westküste aufzunehmen versuchte. Dass Suhrkamp dann Winslows Tage der Toten verlegte, gehört wohl zu den Glücksgriffen, die ein erfolgreicher Verlag nun einmal braucht.

Mittlerweile ist Winslow wieder abgewandert, anscheinend hat Suhrkamp jedoch die Backlist erworben, sodass nach und nach auch die frühen Werke des amerikanischen Krimi- und Thriller-Autors neu herausgebracht werden können. Darunter befindet sich unter anderem die Neal Carey-Reihe, deren zweiter Band, China Girl, eben erschienen ist.

Nun wird man darüber räsonieren können, ob der Winslow der 1990er-Jahre mit dem von Die Tage der Toten vergleichbar ist, mit einem Buch also, das 2005 zum ersten Mal erschienen ist. Aber das ist müßig. Winslow zeigt bereits in der Neal Carey-Reihe all jene Eigenschaften, die sein wohl bestes Buch auszeichnen. Unabhängig davon sind seine Krimis und Thriller handwerklich sauber konstruiert, mit einem tragfähigen Plot ausgestattet und professionell erzählt. Außerdem scheint Winslow den Hintergrund seiner Romane stets gründlich zu recherchieren.

Das kennzeichnet auch China Girl. 1992 zuerst erschienen, spielt der Thriller auf der Folie der amerikanisch-chinesischen Beziehungen und mit dem China vor der Modernisierung. Eine junge chinesische Agentin weiß einen amerikanischen Wissenschaftler, der für die Agrarindustrie arbeitet, von sich einzunehmen. Sie kann ihn davon überzeugen, nach China zu gehen, wo er sich um die Versorgung dieses 1,3 Milliarden-Volkes verdient machen kann. Er hat ein Verfahren entwickelt, den Stickstoffgehalt des Bodens zu erhöhen, um so gerade in der Provinz Sechuan, der Reiskammer Chinas, eine dritte Reisernte zu ermöglichen.

Neal Carey, der für eine ominöse Firma arbeitet, wird beauftragt, diesen Wissenschaftler zurückzuholen, verliebt sich aber in die chinesische Agentin, was dann eine Lawine von unsteuerbaren Geschehnissen in Gang setzt.

Eingebettet wird diese Story in die chinesische Geschichte seit der Kulturrevolution und im Vorfeld der Modernisierung Chinas, was sich Winslow einige dutzend Seiten kosten lässt. Historisch gesehen war das deshalb sinnvoll, weil im Westen Anfang der 1990er-Jahre das Wissen um die chinesische Geschichte eigentlich noch rudimentär und die Unsicherheit über diese immer stärker werdende Macht, die gerade dabei war, sich der selbst angelegten sozialistischen Fesseln zu entledigen, sehr groß war. Was daraus geworden ist, wissen wir heute, 25 Jahre später. Für die Weltwirtschaft ist China inzwischen unabdingbar. Und in politischer Hinsicht ist das Land lange etabliert. Es sind keine politischen Hindernisse, die das weitere Wachstum Chinas behindern, sondern seine selbstgemachten Probleme wie der nachhinkende Umweltschutz und die beschnittenen politischen Rechte seiner Bürger. Als Exempel eines sozialistischen kontrollierten Kapitalismus taugt das Land wohl nicht, wenn es auch demonstriert, dass es Auswege aus dem Desaster des maoistischen Experiments gibt, jenseits des ökonomischen Liberalismus oder des russischen autokratischen Modells.

Aber Winslows Roman agiert strikt aus der zeitgenössischen Perspektive irgendwann Ende der 1970er-Jahre heraus: Für die Handlung sind die Ziele der Reformer um Deng Xiao Ping bestimmend, die unter anderem die Produktivität der Landwirtschaft erhöhen wollen, um innen- und außenpolitisch als Hegemonialmacht auftreten zu können. Das müssen die Hardliner an der Macht verhindern, aber auch den Interessen der USA widerspricht, die China wirtschaftlich und politisch lieber klein halten wollen. Was nicht gelingen würde, wenn China seine Versorgungsengpässe überwinden würde.

Da passt ein merkwürdiger Detektiv, der sich für die englische Literatur des 18. Jahrhunderts interessiert, sich in eine chinesische Spionin verliebt und definitiv nicht locker lassen will, überhaupt nicht. Woraus sich eine etwa 440 Seiten lange Hetzjagd entwickelt, die in der Ersteigung des Emei Shan, dem Augenbrauenberg Buddhas, gipfelt. Das man sich auf dessen Gipfel selbst erkennen soll, passt sehr schön zu der Tortur, die der Protagonist erleiden muss. Damit hat es sich allerdings auch, denn der Roman leidet darunter, dass der Ermittler nicht ermittelt, sondern rennt, Das, worum es im Eigentlichen geht, kann nicht in die Handlung eingebettet erzählt werden, sondern wird den Figuren in den Mund gelegt: als Bericht, Bekenntnis oder – hier nur marginal – Geständnis. Dass Wilson das besser kann, hat er in anderen Romanen gezeigt. Dass es sein Laster ist, sein Wissen großzügig weiterzugeben, allerdings auch.

Titelbild

Don Winslow: China girl. Neal Careys zweiter Fall.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2015.
441 Seiten, 9,99 EUR.
ISBN-13: 9783518465813

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch