Smells Like Victory?

Trauer, Angst, Wut, Hass: Thomas Elsaesser und Michael Wedel analysieren in ihrer Studie „Körper, Tod und Technik“ die Metamorphosen des Kriegsfilms

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise


Intro: Zur Wandlung kultureller Gefühls-Codes seit den 1980er-Jahren

Vor 30 Jahren, als man Musik noch auf Audiokassetten aufnahm und Filme auf VHS-Bändern austauschte, galten US-Vietnam-Kriegsfilme in Deutschland als dubioses, anrüchiges Genre. Wenn man sich als Minderjähriger mit Freunden bei Chips und Bier zusammensetzte, um sich heimlich verschwommene, x-fach kopierte Versionen von Apocalypse Now, Platoon, Full Metal Jacket oder gar Rambo auf uralten Fernsehgeräten anzuschauen, so war dies in pazifistischen Öko-Haushalten ein Sakrileg. Es war die Zeit der Friedens- und der Anti-Atomkraftbewegung: Amerikanische Kriegsfilme mit expliziten Gewaltdarstellungen zum Spaß zu konsumieren, war aus erzieherischer Sicht geradezu mit rituellen Tieropferungen bei Teufelsanbetungen gleichzusetzen.

Teenagern hielten derartige ‚satanische Genüsse‘ vor den Eltern also in der Regel mindestens ebenso gründlich verborgen wie die Goutierung jener Sujets, die in der Verruchtheitsskala sogar noch einen Tick höher einzustufen waren: Zombie-Movies und Pornos. Weswegen sogenannte Videonächte, wie sie in den 1980er-Jahren in der westdeutschen Provinz besonders gerne in kirchlichen Jugendheimen abgehalten wurden und trotz – oder gerade wegen – des genius loci stets den Beiklang des Verbotenen und Exzessiven hatten, zu vorgerückter Stunde gerne unter dem Mantel der Verschwiegenheit zur Vorführung sogenannter jugendgefährdender Genres übergingen.

Im Rückblick auf diese Zeit fallen mögliche Wandlungen in der kulturellen Codierung von Gefühlen unter Teenagern auf. Gilt es unter Jugendlichen heute eigentlich immer noch als cool, sich groteske Kettensägenmassaker anzusehen? Während linksliberale Eltern in den 1980er-Jahren nicht zu Unrecht vor der Möglichkeit eines atomaren Weltkrieges warnten, bei dem im Kalten Krieg Deutschland eines der ersten Ziele nuklearer Attacken gewesen wäre, sehnten sich ihre Kinder insgeheim nach exzessiven filmischen Darstellungen von Gewalt: Obwohl in einem permanenten Klima akuter Weltuntergangsängste aufgewachsen, scheute es sie also nicht, sich Filme ansehen zu wollen, deren Konsum ihnen aus Sicht des Jugendschutzesgesetzes verwehrt werden sollte.

Umgekehrt verwandelt in Amerika derzeit eine ganze Generation überbehüteter Sprösslinge von sogenannten Helikopter-Eltern die Unis ganz von alleine in radikale Comfort-Zones, in denen die unangekündigte, also nicht durch sogenannte Trigger Warnings abgefederte Behandlung von Exzess-Themen wie Suizid, Vergewaltigung und Gräueln aller Art zu Stürmen der Entrüstung führt. An deren Ende steht nicht selten die Entlassung jener Dozenten, die es wagen, im Seminar künstlerische Representationen von Gewalt analysieren zu wollen und damit die Studierenden aus ihrem friedlichen Schlummer in einer wie in Watte gepackten Schmuse-Welt zu wecken.

Was zum Teufel, fragen sich deshalb derzeit viele Lehrende in den USA, ist hier eigentlich los? Handelt es sich um eine seltsame Art fundamentalistischer Regression angesichts einer Kultur, in der Politiker wie Donald Trump fortwährend lautstark Ängste schüren, die nicht einmal eine rationale Grundlage haben? Ähnlich wie man die Horror- und Kriegsfilmbegeisterung der 1980er-Jahre bei Jugendlichen als Gegenreaktion zu dem allgegenwärtigen Pazisfismus in ihren Elternhäusern deuten könnte, so frappiert die heutige Überempfindlichkeit junger Erwachsener in den USA, die inmitten einer von Waffen geradezu besessenen Kultur nichts mehr von Tod, Krieg und Verderben hören wollen. Zugegeben: Ob angesichts dessen die Polemik des Regisseurs und Schauspielers Clint Eastwood zielführend ist, es handele sich schlicht um eine Kohorte von ,Weicheiern’, bleibt dahingestellt: „That’s the kiss-ass generation we‘re in right now. We‘re really in a pussy generation. Everybody’s walking on eggshells.“

Kriegsfilme als dynamisches Body Genre

Dass jedoch auch in Bonner Republik sogar ein geheimer Zusammenhang zwischen der emotionalen Rezeption von Kriegs-, Horror-, Pornofilmen und jenen schnulzigen „Wunschfilm“-Melodramen bestand, die sich die eigene Mutter immer beim Bügeln im ZDF ansah, um dabei zum Befremden ihrer Söhne laut aufzuschluchzen, begann nach dem Ende jenes Jahrzehnts und dem Fall des ,Eisernen Vorhangs’ die professionelle Filmwissenschaft näher zu interessieren. Bis heute zählt jener Beitrag der US-Filmwissenschaftlerin Linda Williams zu den Standardinterpretationen, in dem sie 1991 Kriegs-, Horror-, Porno- und melodramatische Filme als Body Genres vergleicht. Damit beging Williams erstmals das Wagnis, als Wissenschaftlerin auch jene beiden Sujets ernst zu nehmen und unter Verweis auf Sigmund Freuds Definition sexueller Regungen nicht im pejorativen Sinne als pervers abzustempeln, die im öffentlichen Ansehen seinerzeit am tiefsten standen: den Horrorfilm, und, ganz unten, den Pornofilm.

Williams steigt mit dem – für die Freiwillige Selbstkontrolle (F.S.K.) in Deutschland sicherlich bis heute noch erschütternd klingenden – Hinweis ein, dass sie gemeinsam mit ihrem damals nur siebenjährigen Sohn am liebsten Filme anschaue, die besonders Sensationelles „an der Grenze des Respektablen“ böten. Ihr Sohn möge dabei am meisten die Filme der Nightmare On Elm Street-Serie, in der ein narbengesichtiger Freddy Krüger kreischende Teenie-Girls aufschlitzt. Zugleich beobachtet die Mutter in dem Aufsatz jedoch auch, dass ihr kleiner Sohn nicht begreifen könne, warum sie selbst am liebsten Filme ansähe, die sie zum Weinen brächten. Ihre These ist, dass diese Affekte ihrem Sprössling deshalb so schwer erträglich erschienen, weil sie ihn noch zu sehr an seine eigene kindliche Hilflosigkeit gemahnten. Zugleich seien für ihn, den die Abschlachtung von Teenagern in den Freddy-Krüger-Sequels beängstigte und zugleich so sehr faszinierte, dass er lieber darüber rede als sie sich anzusehen, Filme mit Kusszenen unerträglich obszön. Darauf reagiere er nur mit Gesten, die Erbrechen symbolisieren: „To a seven-year-old boy it is kissing precisely which is obscene.“

Körper, so erinnert Williams in ihrem Beitrag, werden in allen oben genannten Genres in spasmischen Zuckungen des Außer-Sich-Seins dargestellt, und artikulierte sprachliche Äußerungen tendieren in diesen Darstellungen dazu, in Schreckens- oder Schmerzensschreie (im Horror), Lustgestöhn (im Porno) oder das verzweifelte Weinen in Melodramen überzugehen. Das Ergebnis von Williams Überlegungen von vor 25 Jahren kann so zusammengefasst werden: Die rigiden moralischen Ablehnungen der einzelnen Genres, wie sie seit den 1970er-Jahren u.a. die feministische Filmwissenschaft artikulierte, verstellten den Blick auf einen allein schon an dem Erfolg der Sujets beim Massenpublikum ablesbaren emotionalen Effekt, der die Geschlechtergrenzen bis heute vielfach überschreitet und erst einmal genauer untersucht werden muss, um auch nur ansatzweise verstanden werden zu können.

Auch Thomas Elsaesser und Michael Wedel zitieren Williams Beitrag in dem erhellenden Buch, dass sie 2016 über die Metamorphosen des Kriegsfilms publiziert haben, mehrfach. Beide Autoren gehören zu den besten Kennern des Genres und haben für ihren Band Körper, Tod und Technik neuere Aufsätze, die sie in den letzten Jahren an verstreuten Orten publizierten, überarbeitet und zu einer gemeinsamen Monographie kompiliert. Die in ihrer Studie analysierten Werke zählen, einmal abgesehen von John Woos – im Sekundärliteratur-Ranking allerdings bereits merklich an Boden gewinnendem – Pazifik-Kriegsfilm Windtalkers und Kathryn Bigelows umstrittenem Folter-Film über Bin Ladens Liquidierung durch die Navy SEALs, Thero Dark Thirty, in der Film-, Kultur und Literaturwissenschaft seit Langem zu den absoluten Klassikern. Die Rede ist von Steven Spielbergs D-Day-Gemetzel-Darstellung Saving Private Ryan und Francis Ford Coppolas Vietnam-Kriegsfilm Apocalypse Now. Beide Filme sind zuletzt in verschiedenen, weiter ausgreifenden Untersuchungen wie etwa Elisabeth Bronfens Buch Hollywoods Kriege. Geschichte einer Heimsuchung (2013, zuerst erschienen als Specters Of War. Hollywood’s Engagement With Military Conflict, 2012) bereits ähnlich selbstverständlich interpretiert worden, wie sich Philologen in den Jahrzehnten zuvor Goethes Werther angenommen haben mögen.

Längst ist Konsens, dass man sich anhand solcher Meilensteine des Genres genauer über die „affektiven Potenziale zu verständigen“ habe, mit denen „der postklassische Hollywood-Kriegsfilm die ihm eigentümliche Wucht des Imaginären ausgebildet“ hat, wie Michael Wedel in seiner Einleitung zu Körper, Tod und Technik vorschlägt. Seit den 1990er-Jahren gehört die filmwissenschaftliche Interpretation von Kriegsfilmen zu den kulturwissenschaftlichen Königsdisziplinen der Emotionswissenschaft. Gibt es doch kaum ein anderes Genre, anhand dessen der „performativen Verflechtung von ästhetischem Affizierungskalkül und verkörperter Filmerfahrung“ (Wedel) derart erhellend nachgegangen werden kann wie durch die Analyse emotionaler Effekte von Kriegsfilmen, die in Williams zitiertem Beitrag seltsamerweise noch gar nicht berücksichtigt wurden.

Doch was passiert überhaupt, wenn Menschen Filme sehen? Die Frage nach der leiblichen Affizierung des Zuschauers hat die Philosophin Christiane Voss im Jahr 2011 bereits zu der These geführt, der Rezipient werde im Kino zu einem semantisch, räumlich und somatisch teilhabenden „surrogate body“, also einem affektiven ‚Offscreen’-Element und damit zu einer aktiven dritten Dimension der zweidimensionalen Architektur des cineastischen Mediums. Man kann den Bedeutungsrahmen solcher Überlegungen aber sogar noch viel weiter fassen: Interpretationen wie die Elsaessers und Wedels nehmen Teil an „übergeordneten kulturwissenschaftlichen Debatten zur veränderten gesellschaftlichen Funktion des Körpers“, wie es in dem Vorwort des besprochenen Bandes heißt.

Kriegsfilme sind im Kontinuum dynamischer Durchmischungen von Genres wie dem Melodram, dem Horror- und dem Actionfilm nicht nur „Stimulationsprogramme für die Erzeugung von Zuschaueremotionen“ (Knut Hickethier), sondern sie haben in ihrer Inszenierung von „technifizierter Gewalt, der sichtbaren körperlichen Versehrtheit bis hin zur Verstümmelung und des Sterbens“ (Wedel) weitreichenden Anteil an unserem gesellschaftlichen Umgang mit dem Leiden, dem Tod und der Frage, wer aus Sicht des ‚Sense of Community’ (Hermann Kappelhoff), den Kriegsfilme in ihrem Publikum emotional und somatisch herzustellen versuchen, als betrauerbar gilt und wer nicht – um nur ein Beispiel der Konsequenzen solcher filmischer Darstellungen zu nennen, mit dem sich die Gender-Spezialistin und Philosophin Judith Butler bereits eingehender beschäftigt hat.

Mittels solcher Inszenierungen, wie sie auch Elsaesser und Wedel untersuchen, werden im Publikum Zugehörigkeitsgefühle zu der kämpfenden Truppe und ihrem imaginierten nationalen Kollektiv hergestellt: Die Ängste der agierenden Soldaten und ihre Wut auf diejenigen, die sie und ihre Kameraden zu töten versuchen, können auch zu solchen des Zuschauers werden, bis hin zu begleitenden manifesten körperlichen Reaktionen wie Gänsehaut, Herzklopfen, starker Verkrampfung im Kinosessel und Tränenfluss. Mit Knut Hickethier spricht Wedel in seinem Vorwort davon, dass „Stimmungen, Erregungen, Erlebnisse“ und „Glücks-, Schock- oder Angstgefühle“, also die „Erzeugung affektiv-somatischer Erregung“ die Filmwissenschaft längst weit mehr interessiere als etwa die Verifizierung konkreter historischer Details der erzählten Geschichten. 

Der Krieg ist, in Wedels Worten, also niemals bloß ein militärhistorisches ‚Ding an sich‘, sondern ein soziales Phänomen, das viele symbolische, kulturelle und praktische Erscheinungsweisen kennt. Repräsentationen des Krieges wie die in Filmen künden dabei von wechselnden Vorstellungen, die sich ein Kollektiv zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten von ihm macht. Ergänzend kann man dazu einen der programmatischen Aufsätze Hermann Kappelhoffs zitieren, der in den letzten Jahren ebenfalls einige maßgebliche Beiträge zu diesem Forschungsfeld vorgelegt hat:

Der ‚Krieg‘ im Kriegsfilm ist stets mehr als nur ein narratives Sujet. Diesem sind immer die tatsächlichen historischen Erfahrungen als medialer Bildbestand persönlicher wie kollektiver Erinnerungen eingeschrieben. Zugleich sind mit diesem Sujet in hohem Maße phantasmatische Elemente verbunden. Die militärischen Initiationsriten, die tragische Schuld und die heroische Tat, das Opfer der Einzelnen für das Leben der Gemeinschaft, die Konfrontation mit dem Bewusstsein des eigenen Todes, der gesellschaftliche Ausnahmezustand, der alle Formen zivilen Lebens zerstört oder doch nur unter eine terroristische Ordnung zwingt: die einzelnen Narrative dieses Sujets stecken den Parcours eines mythologischen Komplexes ab. Man könnte diesen die ‚kulturelle Phantasie‘ des Krieges nennen.

 Francis Ford Coppolas „Apocalypse Now“ als herausfordernde Hörerfahrung

Elsaesser und Wedel bewegen sich in ihrem Buch auf Augenhöhe mit dem emotionswissenschaftlichen Wissenstand über diese von Kappelhoff aufgezählten Imaginationen und Illusionen des Kriegsfilms – seine Pathosformeln. Das ausführliche Kapitel zu den überaus komplexen Sound- und Bild-Collagen in Francis Ford Coppolas Apocalypse Now ist, wie fast alle Passagen in diesem Buch, zwar nicht komplett neu geschrieben, aber in der hier hergestellten Zusammenschau dennoch überaus lesenswert. Die Autoren verlieren sich nicht in abgehobenen theoretischen Spekulationen, sondern zeigen im filmhistorischen Detail sehr genau, welche vor allem klanglichen Innovationen sich Coppola und seine Sound-Supervisors bei der Inszenierung der berühmten Mindscreen-Rahmung des Films gemeinsam erarbeiteten. In der legendären Eröffnungssequenz von Apocalypse Now verbinden sich Voice-Over-Elemente mit multiplen szenischen und ikonographischen Überblendungen, dem Song The End von den Doors und dem Klang von Hubschrauber-Rotoren.

Der Kriegsfilm als Drogentrip: Die extrem psychedelische und sinnverwirrende Suggestivität dieser vertrackten Sequenz wurde, so zeigen Elsaesser und Wedel in stupender Kenntnis der Produktionsgegebenheiten, durch ein weitgehend kontingentes Teamwork verschiedenster Techniker erzeugt, das erst in der späteren Herstellung des Schnitts und des finalen Sound-Designs kanalisiert und in Cannes in einem nicht nur quadrophonischen – wie seit Beginn der 1970er-Jahre in den Konzerten der progressiven Rockband Pink Floyd, wie man kulturhistorisch ergänzen mag, – sondern sogar in einem quintophonischen Arrangement aufgeführt wurde. Hier entstand ein vollkommen neues Surround-Sound-Arrangement, das für die Zukunft der Überwältigungsästhetik des Blockbuster-Kinos wegweisend sein sollte und Coppolas Film bis heute zu einem verstörenden Erlebnis macht.

Wie beide Autoren den Film in diesem gemeinsam verfassten Kapitel sprachlich vergegenwärtigen, ringt dem Leser Respekt ab. Ähnlich wie in der oftmals sträflich unterschätzen Kunst, Texte in literaturwissenschaftlichen Interpretationen verdichtend zusammenzufassen oder bei der Herausforderung einer nachvollziehbaren Ekphrasis in kunstgeschichtlichen Darstellungen vermögen es Elsaesser und Wedel, anschauliche Schilderungen jener Filmszenen zu liefern, die sie interpretieren. Zugleich hat ihre Deutung im Blick auf Coppolas lange als unverfilmbar geltende literarische Vorlage, Joseph Conrads Afrika-Kolonialismus-Novelle Heart Of Darkness, die sie unter Verweis auf deren Interpretation durch Edward Said deuten, komparatistische Qualitäten. Während Conrad sich auf die Fahnen schrieb, seine Leser durch die Macht des geschriebenen Wortes sehen zu machen, habe Coppola die Idee des affektiven Gesamtkunstwerks in Apocalypse Now auf den neuesten technischen Stand gebracht, urteilen die Autoren, indem sie dem Regisseur das paradoxe Zitat in den Mund legen: „Durch die Kraft des Kinospektakels lehre ich Euch, mit den Ohren zu sehen und mit den Augen zu hören.“

In der Interpretation geht es um Coppolas produktive Verkehrung der filmischen Hierarchien von Bild und Ton. Elsaesser und Wedel demonstrieren etwa anhand der vielfach als kriegsverherrlichend kritisierten Sequenz, in der Coppola eine Helikopter-Division wie eine Kavallerie in den Western John Fords dabei zeigt, wie sie zu den Klängen von Richard Wagners Wallkürenritt ein vietnamesisches Dorf auslöscht, um den amerikanischen Soldaten einen tropischen Traumstrand zum Surfen freizuräumen, wie vieldeutig diese umstrittene Szene doch letztlich bleibt. Dies gelingt ihr nach Beobachtungen der Interpreten u.a. deshalb, weil sie durch ein extrem komplexes Sound-Management getragen und verfremdet wird. „Charly don’t surf!“, brüllt der kommandierende Colonal Kilgore, der einen Western-Stetson trägt, und freut sich nach der vollendeten Zerstörung der vormodernen Küstensiedlung aus Strohhütten, die von Coppola auch visuell äußerst komplex inszeniert wird, über den Geruch von Napalm am Morgen: „It smells like victory!“

Die Inkommensurabilität des US-amerikanischen Stellvertreterkrieges gegen den Kommunismus in Vietnam als obszönes Tourismus-Surrogat mit dem dazu parallel geschnittenen, friedlichen vietnamesischen Bauern- und Fischerleben, das in der schockierenden Szene einfach vernichtet wird, werde von Coppola keinesfalls aufgelöst, schreiben die Interpreten. Vielmehr werde die Einsichtsfähigkeit des Publikums in dieser vexierbildhaften Sequenz ‚getestet‘: Die körperliche Erfahrungsdimension des Tons werde von Coppola in den Vordergrund gerückt, um das Kino auf eine Ebene mit einem Krieg zu heben, „dessen Imperialismus gegenüber anderen Wirklichkeiten es imitiert und zugleich ironisch aufdeckt“.

„Saving Private Ryan“ als chiffrierte Erzählung über die Beendigung der Shoah

Steven Spielbergs zwanzig Jahre später gedrehter Film Saving Private Ryan wird von Elsaesser ähnlich akribisch interpretiert wie der Klassiker Coppolas. Mehr noch als Apocalypse Now hat dieser Meilenstein, vor allem aufgrund seiner Splatter-Movie-artigen Inszenierung des Massensterbens am D-Day-Frontabschnitt Omaha Beach in den ersten 30 Minuten des Films, die Interpretation des neueren Kriegsfilms als Body Genre befeuert. Spielbergs Film setzte der Refiguration des Chaos militärischer Schlachten neue Maßstäbe und wurde seither vielfach imitiert oder auch konterkariert, so etwa von Terrence Malick in seinem Guadalcanal-Eroberungs-Epos The Thin Red Line oder auch von Clint Eastwood in seinen beiden Pazifikkriegsfilmen Flags of Our Fathers und Letters from Iwo Jima.

Mehr als alle diese Folgefilme jedoch ,traumatisiert’ Saving Private Ryan den Zuschauer, indem er ihn visuell und akustisch auf besonders drastische Weise in die oben beschriebene, leibliche Kinosessel-Erfahrung des Krieges hineinzwingt. Die Rezipienten werden zu Zeugen eines re-inszenierten historischen Ereignisses von weltweiter Bedeutung gemacht, dessen Erlebnis so heftig sein kann, dass es fortan zum Teil ihres persönlichen affektiven Gedächtnisses und somit in ihr eigenes Lebensnarrativ mit eingeschrieben wird, wie Elsaesser bemerkt. Was sich aus Sicht der zeitgenössischen Filmkritik „authentisch anfühlte, war der Eindruck von Chaos und Unordnung, die Abwesenheit eines Establishing Shots und eine visuelle Hierarchie, die ein unmittelbares Gefühl der örtlichen Gegebenheiten vermittelte“. Saving Private Ryan habe das, was früher Realismus genannt wurde, in die „Richtung des halluzinatorischen, des Grotesken, des Abstoßenden und des Ekelerregenden“ gerückt und die damit verknüpften Emotionen mit symbolischen Ritualen des Gedenkens und des „Generationentransfers“ verknüpft, indem in der Rahmenhandlung des Films die Erinnerung an das Trauma der Schlacht demonstrativ vom überlebenden Großvater James Ryan an seine Enkel weitergegeben wird. 

Für die US-Veteranen, denen Spielberg seinen Film seinerzeit noch vor der Premiere vorführen ließ, um ihre Reaktionen in der Prelaunch-Kampagne zur Ankündigung des Blockbuster-Ereignisses mit einsetzen zu können, mögen autobiographische Emotionen hinzugekommen sein. Sie speisten sich aus der persönlichen Erinnerung an das Trauma der D-Day-Invasion und wurden von den ,authentischen’ Darstellungen des Films derart überlagert, dass die Zeitzeugen äußerten, ,genau so’ sei es gewesen – ein Effekt autobiographischer emotionaler Erinnerungskonstruktion, der seither immer wieder von Kino-Produktionsfirmen genutzt wurde, um der Ästhetik von Kriegsfilmen eine besondere moralische Legitimation zu verleihen.

Doch wieso, so wurde vielfach gefragt, rühmt Spielbergs Film eine Rettungsmission, bei der zahlreiche Soldaten sterben müssen, um den einzigen verbleibenden Sohn einer amerikanischen Familie zurück nach Hause zu bringen, die bereits alle anderen ihrer Nachkommen im Zweiten Weltkrieg verloren hat? Eine kritische Lesart, die Elsaesser als Verfasser des betreffenden Kapitels erwähnt, lautet, dass Spielberg die amerikanischen Kriege Ende der 1990er-Jahre zu humanitären Einsätzen umdeute, in denen es angeblich nicht mehr um Mord und Totschlag, sondern um die Wiederherstellung des Friedens gehe. Demnach könnte die Thematisierung der frappierenden Sinnlosigkeit der militärischen Operation in Saving Private Ryan dazu dienen, den Grund amerikanischer Kriege im Ansehen der Öffentlichkeit zu verschieben. Und zwar dahingehend, sich auf das Bild des Opfers und der Familie zu konzentrieren, um kriegerische Missionen der USA fortan zu solchen stilisieren zu können, die lediglich „schützen, retten und erlösen“ sollen, anstatt den Feind zu „besiegen, unschädlich zu machen und zu zerstören“. Letzteres sei demnach eine Zielsetzung, die in dieser Konstruktion der Wirklichkeit heutiger Kriege nur noch „Terrorzellen und Sonderkommandos“ vorbehalten bleibe.

Das Problem dieser von Elsaesser referierten Kritik liegt allerdings in der Tatsache, dass der historische Krieg der Alliierten gegen die Nationalsozialisten, die ganz Europa 1944 vor allem deshalb besetzt hielten, weil sie die Vernichtung des europäischen Judentums erfolgreich zu Ende zu bringen wollten, letztlich tatsächlich genau das genannte Ergebnis hatte, unzählige Menschen zu retten. Das war das nicht eben perfekte, aber immerhin doch für viele Überlebende positive Ende dieses deshalb durchaus sinnvollen Krieges – und zwar aus unserer heutigen Rückschau ganz unabhängig davon, ob die Erlösung der letzten überlebenden Juden ursprünglich das primäre Ziel der D-Day-Invasion gewesen sein mag oder nicht. Kurz: Hätten die Alliierten die verlustreiche Invasion vom 6. Juni 1944 in der Normandie unterlassen, so wären Bergen-Belsen, Buchenwald, Auschwitz und all die anderen Konzentrations- und Vernichtungslager der Nationalsozialisten in Europa womöglich erst sehr viel später – oder sogar nie – befreit worden. Schließlich wurde auch das Vorrücken der Roten Armee im Osten Europas durch den Zweifrontenkrieg, der den Nationalsozialisten durch die Landung in der Normandie aufgezwungen wurde, begünstigt.

Sprich: Mit großen Verlusten an Menschenleben dazu beigetragen zu haben, der Ermordung des europäischen Judentums durch die Nazis ein endgültiges Ende zu setzen, ist und bleibt einer der größten Verdienste der US-amerikanischen Nation seit ihrem Bestehen – und genau davon handelt, einerseits unter der Hand, weil nirgends offen thematisiert, andererseits aber durch sein ungemein großes emotionales Affizierungspotenzial mittels der Inszenierung der Soldatenperspektive auf diese seinerzeit noch ziemlich aussichtslos erscheinende Mission doch auch sehr effektiv, Saving Private Ryan.

Auch Elsaesser entdeckt deshalb in Spielbergs paradoxem Plot der aufopferungsvollen Bergung eines einzelnen US-Soldaten nach der Invasion der von den Nationalsozialisten besetzten Normandie einen Subtext, der unweigerlich auf die notwendige Befreiung der Juden aus den Konzentrationslagern und ihre Rettung vor dem 1944 weiterhin auf Hochtouren weiterlaufenden Holocaust verweist – selbst wenn dieser, wie gesagt, bei Spielberg überhaupt keine explizite Rolle spielt. Diese Interpretation ist nicht zuletzt deshalb bemerkenswert, weil es in dieser Zeitschrift vor Jahren bereits einmal eine kurze Leserbriefkontroverse über die gleiche Interpretation des Rezensenten gab, die der darin kritisierte Filmwissenschaftler Klaus Kreimeier seinerzeit noch als „überaus waghalsige, weil durch den Film nicht belegte“ These bezeichnete. Das Nachdenken über diese filmkritische Debatte ging seinerzeit in eine (übrigens auch von Elsaesser und Wedel in ihrem Buch erwähnte) Habilitation ein, die der Autor der vorliegenden Besprechung 2013 im Wallstein Verlag veröffentlichte und die neben einem ausführlichen Kapitel über Apocalypse Now auch eines über Saving Private Ryan enthält, in der man die besagte Argumentation mit zahlreichen Illustrationen nachlesen kann.

Befremdlicherweise meint Thomas Elsaesser nun allerdings, Saving Private Ryan erinnere mit seinem Shoah-Subtext an ein kapitales Versäumnis, nämlich dasjenige Amerikas, die „Juden Europas nicht gerettet zu haben“. Das Trauma, die Juden ihrem Schicksal überlassen zu haben, bestimmt Elsaessers Ansicht nach „Spielbergs ethische Haltung, was seine religiöse wie auch patriotische Identität als amerikanischer Jude betrifft“. Der Regisseur nutze das Kino in diesem Sinne als „Instrument der Wiedergutmachung“.

Ist diese in der Forschung relativ neue Sicht der Dinge angesichts der historischen Fakten nachvollziehbar? Gewiss: Elsaesser mag Recht damit haben, dass die ursprünglichen militärischen Ziele der Amerikaner kaum damit zu tun hatten, den Holocaust zu beenden. Und mit Sicherheit stimmt auch, dass Spielberg ein Narrativ dafür gefunden hat, sowohl das massive amerikanische D-Day-Opfer an Menschenleben als auch die Befreiung der Juden mittels einer performativen Fehlleistung (die Elsaesser als „Parapraxis“ definiert) unter der Hand gleichzeitig filmisch darzustellen: „Die Parapraxis erlaubt es, zwei oder mehr gegensätzliche Gefühlszustände, Wünsche, moralische Haltungen oder Absichten innerhalb ein und desselben Satzes oder Sprechakts, oder in unserem Fall: innerhalb einer fiktionalen Erzählung auszudrücken, zu artikulieren und zu manifestieren.“ Doch ist der Film damit tatsächlich eine „Reaktion auf ein Scheitern der Geschichte“? Vermag die These zu überzeugen, dass Saving Private Ryan von einer ‚sinnlosen‘ Operation zur Rettung James Ryan berichtet, um die davon verdeckte Geschichte einer Rettungsaktion der Juden vor dem Holocaust mit zu erzählen, „die nicht unternommen wurde“?

Elsaesser meint ja: „Der fehlende unwiederbringliche Bezug auf das doppelte tragische Schicksal der Juden – von den Deutschen in den Tod geschickt, von den Alliierten im Stich gelassen – kann nur als Trauma repräsentiert werden“. Saving Private Ryan erscheint damit als cineastische Form der Re-Traumatisierung, die der Film seinen Zuschauern zumutet und deren Verstörungskraft er nirgends ganz auflöst. Nicht zuletzt ist Spielbergs Werk aus US-Sicht zusätzlich mit dem Trauma des verlorenen Vietnamkrieges verknüpft, dessen schmerzliche Erinnerung in Saving Private Ryan stets mit anwesend bleibe und von der Erinnerung an einen gerechtfertigten Krieg, den gegen die Nazis, nur teilweise überschrieben werden könne: „Das bedeutet, dass auch die Elterngeneration mit einbezogen ist (gibt es in den USA doch für jede Generation einen Krieg). Die Affektivität (Verwirrung, Verlust, Orientierungslosigkeit, Niederlage) des letzten Krieges, Vietnam, hallt im vorangegangenen wieder: Amerikas letztem gerechten, ehrenvollen und siegreichen Krieg“. Kurzum: „Das Gefühl, das bleibt, ist nicht triumphierend (mission accomplished), sondern von Trauer durchsetzt, genauso wie am Ende viele Fragezeichen stehenbleiben: Dinge und Vorfälle, die nicht ganz zusamenpassen, nicht ganz kohärent sind oder einen vollständigen Abschluss verhindern.“

Das dies die emotionale Rezeption des Filmes mit beeinflusst, soll hier gar nicht grundsätzlich in Abrede gestellt werden. Man muss angesichts dieser dann doch sehr deutschen Sicht der Dinge jedoch wohl auch noch einmal daran erinnern, dass es, wie erwähnt, historisch keinesfalls stimmt, dass die Alliierten die Juden nicht gerettet hätten. Dies geschah zwar sehr spät, nur bruchteilhaft und womöglich unbeabsichtigt, aber es hat eben am Ende dennoch stattgefunden. Die tendenzielle Gleichsetzung, die in der zitierten Formulierung Elsaessers mitschwingt und von gewissen Lesern so aufgefasst werden könnte, als seien die Amerikaner letztlich ebenso mitschuldig an dem doppelten Verhängnis der europäischen Juden gewesen, die zuerst von den Deutschen umgebracht und dann von den USA auch noch im Stich gelassen worden seien, erscheint dabei problematisch.

Nicht zuletzt übersieht Elsaesser, dass Spielberg mit der Erzählung von der Opferung vieler Soldaten für die Rettung eines einzelnen Amerikaners etwas darstellt, das in Israel im Kampf gegen den antisemitischen Terror seit Jahrzehnten Alltag ist – zum Beispiel bei Überlegungungen darüber, ob man sage und schreibe 1.000 größtenteils wohl nicht ganz ohne Grund gefangen genommene Palästinenser wieder freilassen soll, die von der triumphierenden Hamas begeistert in ihrem Territorium in Empfang genommen werden, nur um im Austausch dafür einen einzelnen entführten israelischen Soldaten wieder freizubekommen. Selbst die englischsprachige Deutsche Welle kommentierte diesen erstaunlichen Deal im Jahr 2011 dahingehend, dass sich die Hamas nunmehr als Sieger fühlen könne und gelernt habe, dass die Entführung von Israelis für sie wahre Wunder wirken könne. War dieser verblüffend an den Plot von Saving Private Ryan erinnernde Austausch daher ganz einfach ,absurd’? 

Auch wenn man solche Entscheidungen in Deutschland und dem Rest der Welt nur schwer nachvollziehen kann: Angesichts der Erfahrung der Shoah zählt für das moderne Judentum jeder einzelne Mensch, und der notgedrungene Kampf um die Rettung solcher Leben ist ständig mit dem furchtbaren Dilemma verbunden, dafür womöglich viele andere Menschenleben aufs Spiel setzen zu müssen. Wie die Alliierten durch die Nazis in Saving Private Ryan sieht sich auch der israelische Staat heute wieder vor dieses unauflösbare Paradox gestellt – immer wieder neu, jeden Tag.

Selbstverständlich geht es in Saving Private Ryan, wie in allen Kriegsfilmen, vor allem auch um einen ‚Sense of Community‘ der gegenwärtigen Gesellschaft von Zuschauern, und für den amerikanischen Regisseur Steven Spielberg ist diese Zusammengehörigkeit aus den von Elsaesser genannten Gründen gewiss nicht ohne ihre vielfältigen Beziehungen zum Schicksal des Staates Israel denkbar: Spielberg hat sich in den letzten Jahren nicht nur als Hollywood-Regisseur, sondern auch für die Oral-History-Vermittlung der jüdischen Erfahrung der Shoah engagiert, indem er nach der Produktion seines Films Schindler‘s List im Jahr 1994 die Survivors of the Shoah Visual History Foundation gründete, deren digitalisiertes Archiv über die University of Southern California online abrufbar ist. Spielberg initierte damit die Entstehung der weltweit größten Interviewsammlung zum Holocaust, um einen aufklärerischen Ansatz zu verfolgen: Nach einer Darstellung auf einer Website der FU Berlin, die mit Spielbergs Shoah Foundation kooperiert, geht die Projektidee davon aus, dass „das Erzählen von Geschichten ein grundlegendes und effektives Mittel ist, um Erinnerung weiterzugeben und für Toleranz zu sensibilisieren. Ziel ist es, die Erinnerung der Überlebenden zu bewahren und der Nachwelt zugänglich zu machen“.

Die These, dass Spielberg von diesem Hintergrund aus auch seinen späteren Film Saving Private Ryan inszenierte, liegt nahe. Die Shoah Foundation widmet sich zudem nicht nur dem Holocaust, sondern auch früheren oder späteren Genoziden wie dem in der Türkei an den Armeniern, oder auch dem Völkermord, der 1994 in Ruanda stattgefunden hat. Wie sehr Spielberg über die Dilemmata der Aufrechterhaltung der Werte westlicher Demokratien nicht nur in Nordamerika, sondern in der ganzen Welt und insbesondere insbesondere auch aus jüdischer Sicht nachgedacht hat, zeigt nicht nur sein Holocaust-Film Schindler’s List, in dem es bekanntlich um den Wert der Rettung wenigstens einiger Juden vor der Vernichtung geht, sondern auch sein Anti-Terror-Film über die grauenhafte Geiselnahme und Ermordung israelischer Sportler durch palästinensische Terroristen bei der Olympiade von München im Jahr 1972, Munich.

Mit anderen Worten: Die symbolisch zu verstehende, aussichtslos erscheinende Rettungsmission, die in Saving Private Ryan dargestellt wird, ist aus Spielbergs Sicht, der sich explizit als Unterstützer Israels versteht, eben womöglich ganz und gar nicht so ‚sinnlos‘ wie Elsaesser meinen mag. Es handelt sich vielmehr um eine allegorische Geschichte über eine erschreckende Alternativlosigkeit, der sich Israel nach dem Holocaust nach wie vor alltäglich zu stellen hat und der sich Spielberg als amerikanischer Jude ebenso schmerzlich bewusst ist. Der Pazifismus ist ein wichtiger ethischer Grundsatz, kann aber – und genau das ist auch das hier angedeutete allgemeine Dilemma westlicher Demokratien unserer Zeit – nicht ohne die Einsicht vertreten werden, dass es dennoch historische Situationen gegeben hat und wohl auch weiter geben wird, in denen ein militärischer Einsatz zur Rettung von Menschenleben gerechtfertigt war oder wo die Unterlassung einer solchen Intervention, wie etwa in Ruanda, zum furchtbaren ,Gelingen’ eines Genozids geführt hat.

Sehen wir den Tatsachen ins Auge: Inbesondere der Staat Israel würde ohne seine militärische Macht heute längst nicht mehr existieren. Auf der anderen Seite zeigt ein Film wie Munich aber auch, dass der Krieg gegen den Terror selbst mit überlegener militärischer Stärke und gesetzesübertretender geheimdienstlicher Gewalt niemals definitiv zu beenden ist. Das genau ist die Tragik einer Situation, in der Wehrlosigkeit keine Option sein kann. Aus emotionaler Sicht überlagert sich hier eine schleichende, derzeit auch in Deutschland zusehends um sich greifende Angst in der Bevölkerung mit gewiss nicht unproblematischen Betonungen wütender Wehrhaftigkeit und Aggressivität, die eine ganze Gesellschaft auf verhängnisvolle Weise politisch, sozial und moralisch verändern kann und auch zu Gewaltakten zu führen vermag, die nicht nur nach außen, sondern auf das Eigene, also nach innen gerichtet sind.

‚Parapraxis‘ als Weg in die produktive Uneindeutigkeit: US-Kriegsfilme nach 9/11

Solche wissenschaftlichen Kontroversen zeigen, wie wichtig die Untersuchung des Kriegsfilmgenres ist und bleibt – nicht zuletzt zu Zeiten des islamistischen Terrors, den man in Israel seit langem kennt und der nun auch Deutschland und Europa heimzusuchen begonnen hat. Das Kino buchstabiert den emotionalen und kognitiven gesellschaftlichen Umgang mit solchen Bedrohungen immer wieder neu aus. Insofern sind auch Thomas Elsaessers abschließende Überlegungen über Kathryn Bigelows umstrittenen Folterfilm Zero Dark Thirty erhellend, der von der historischen Liquidierung Bin Ladens und von dem Problem handelt, wie der Aufenthaltsort des Organisators des Anschlags auf das World Trade Center vom 11. September 2001 herausgefunden werden konnte, um den führenden Terroristen unschädlich zu machen.

Doch ist Bigelows Film, der ähnlich wie Saving Private Ryan mit ausführlichen aggressiven Gewaltdarstellungen einsetzt, die den Zuschauer dazu zwingen, Zeuge von Folterhandlungen zu werden, wirklich als Propaganda für die sogenannte erweiterte Verhörtechnik in George Bushs War On Terror einzustufen, wie es in der kritischen Debatte über den Film hieß?

Laut Elsaesser eher ‚jein‘: Aus seiner Sicht handelt es sich bei Zero Dark Thirty abermals um eine neue Form der Parapraxis im Hollywood-Kino, die einerseits eine lineare Erfolgsstory der Ermittlungsarbeit des CIA und der NSA erzählt, also das Genre des Procedurals mit dem des Kriegsfilms verwebt, – die aber andererseits durch ihre strukturell bedingte Ambiguität und die enigmatisch-postheroische Protagonistin Maya die Dementierbarkeit dieser Mastererzählung ebenso einschließt. Die Parapraxis führe hier „im vollen Doppelsinn von Fehl-Leistung“ zu einem erfolgreichen Scheitern: „Aufgrund seines Umgangs mit einem außerdordentlich kontroversen Thema (Amerikas Selbstverständnis als transparente Demokratie auf der einen, die Wahrnehmung seiner geheimen, autoritären Illegalität, seiner Heuchelei und Doppelmoral auf der anderen Seite)“ – lasse sich Zero Dark Thirty als „das Paradebeispiel eines Films betrachten, dessen Ambiguität zugleich eine Poetik der Parapraxis“ entwickele.

Hier bilden sich aus Elsaessers Sicht neue filmische Formen der Uneindeutigkeit heraus, mit denen sich Hollywood unter der Hand mehr und mehr selbst zu dekonstruieren scheint. Die emotionale Ambivalenz und die Verunsicherung des Publikums, die dieses Kino neuerdings mehr denn je forciert, werden in Zukunft womöglich noch weiter zunehmen. Die Gründe dafür sind jedoch nicht primär in Hollywood zu suchen, sondern in den nicht enden wollenden und immer komplexeren weltweiten (Bürger-)Kriegshandlungen unserer Zeit, die mittlerweile sogar schon mitten in Europa angekommen sind. Bücher wie das hier besprochene können immerhin mit dazu beitragen, die medialen Reaktionen auf diese verhängnisvolle Situation weiter aufzuklären und besser zu verstehen.

Literatur

Elisabeth Bronfen: Specters of War: Hollywood’s Engagement With Military Conflict. New Brunswick, US: Rutgers University Press 2012.

Elisabeth Bronfen: Hollywoods Kriege. Geschichte einer Heimsuchung. Aus dem Amerikanischen von Regina Brückner. Frankfurt am Main: S. Fischer 2013.

Judith Butler: Krieg und Affekt. Zürich / Berlin 2009.

Judith Butler: Raster des Krieges. Warum wir nicht jedes Leid beklagen. Frankfurt am Main 2010.

Hermann Kappelhoff:  „Sense of Community“: Die filmische Komposition eines moralischen Gefühls. In: Søren R. Fauth / Kasper Green Krejberg / Jan Süselbeck (Hrsg.): Repräsentationen des Krieges. Emotionalisierungsstrategien in der Literatur und in den audiovisuellen Medien vom 18. bis zum 21. Jahrhundert. Göttingen: Wallstein Verlag 2012, S. 43­-57.

Hermann Kappelhoff: Der Krieg im Spiegel des Genrekinos. John Fords They Were Expendable. In: Hermann Kappelhoff / David Gaertner / Cili Pogodda (Hrsg.): Mobilisierung der Sinne. Der Hollywood-Kriegsfilm zwischen Genrekino und Historie. Berlin: Verlag Vorwerk 8 2013, S. 184-227.

Jan Süselbeck: Im Angesicht der Grausamkeit. Emotionale Effekte literarischer und audiovisueller Kriegsdarstellungen vom 19. bis zum 21. Jahrhundert. Göttingen: Wallstein Verlag 2013.

Chistiane Voss: Film Experience and the Formation of Illusion: The Spectator as “Surrogate Body” for the Cinema. In: Cinema Journal, 50/4 (2011), S. 136-150.

Linda Williams: Film Bodies. Gender, Genre, and Excess. In: German Quaterly 44:4 (Summer 1991), S. 2-13.

Titelbild

Thomas Elsaesser / Michael Wedel: Körper, Tod und Technik. Metamorphosen des Kriegsfilms.
Konstanz University Press, Paderborn 2016.
152 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783862530281

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch