Arbeit am Bild

Stefanie Stallschus zum „Film als Experimentalfeld der Pop Art“

Von Janneke SchoeneRSS-Newsfeed neuer Artikel von Janneke Schoene

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Triviale und Populäre zu Kunst zu machen, ist eine Prämisse der Pop Art. Die Motive stammen aus Alltagskultur, Konsumwelt und aus den Medien. Da ist es nur naheliegend, dass Pop Art-Künstler auch mit dem Medium Film experimentieren – Mitte des 20. Jahrhunderts das Massenmedium schlechthin. Erstaunlicherweise beschäftigt sich vor allem die kunsthistorische Forschung bisher nur wenig mit entsprechenden künstlerischen Beiträgen. Daran knüpft Stefanie Stallschus in ihrer Dissertation Im Zwischenraum der Bilder. Der Film als Experimentalfeld der Pop Art an. Sie geht davon aus, dass die exemplarisch ausgewählten Filme vor allem als Arbeit an einer Theorie des Bildes, als Arbeit am Bild zu verstehen sind. Um dem nachzugehen untersucht Stallschus Arbeiten von sechs Künstlern aus Amerika, Schottland, Italien und Frankreich, darunter Filme, die zwischen 1958 und 1969 entstanden sind, sowie andere bildkünstlerische Werke. Nicht zuletzt geht es dabei auch um das Verhältnis der verschiedenen Medien und Arbeiten.

Durchaus erfrischend ist, dass der ‚Godfather des Pop‘ – Andy Warhol – in der Studie nur ein Künstler unter vielen ist, zumal bereits Forschungsliteratur zu seinen Kunst-Filmen vorliegt. Neben Warhol wählt Stallschus nicht etwa weitere Pop Art-Größen wie Roy Lichtenstein für ihre Analyse, sondern Künstler, die zum einen teilweise weniger populär sind, zum anderen mitunter eher zum Nouveau Réalisme gezählt werden und somit im ‚weiteren Umfeld‘ der Pop Art verortet werden können: Eduardo Paolozzi, Bruce Conner, Gianfranco Baruchello, Mario Schifano und Martial Raysse. Wer die Publikation also aufgrund ihres Titels aufschlägt und eine Untersuchung der populärsten Pop Art-Kunst erwartet, wird entweder enttäuscht werden oder aber lernt Neues kennen.

Eine komplizierte Diskussion und Abgrenzung der Pop Art wird indes umgangen. Das ist der Analyse selbst allerdings nicht hinderlich. Stallschus verwendet den Begriff vorrangig als Bezeichnung für eine Kunst, die das eigene Verhältnis zur visuellen Kultur der modernen Konsum- und Mediengesellschaft reflektiert und zu ihrem Ausgangspunkt macht, die also mit Motiven aus Massenmedien und Werbung arbeitet. Die Beispiele, die Stallschus wählt, sind entsprechend Montagen und Collagen aus vorgefundenen, gesammelten Bildern oder sie greifen auf rhetorische Mittel der Werbung zurück. Sie dekonstruieren ursprüngliche Bedeutungen, erzeugen wiederum neue Bedeutungen und können somit etwa das Erzeugen von Bedeutung selbst sichtbar machen. Ausgehend davon betont Stallschus den subversiven und reflexiven Duktus der künstlerischen Arbeiten. Mitunter ist die kritische Haltung der Kunst weniger deutlich, schließlich greift die Pop Art sicher auch aus ästhetischen Gründen auf spezielle Motive zurück. Allerdings leuchtet ein, dass die Massenmedien auf ein unaufmerksames Strömen und Treiben der Blicke zielen, während die filmischen Beiträge der Pop Art gerade dies aufzubrechen suchen, wie Stallschus beschreibt.

Neben einer Beschreibung und Analyse ordnet sie die filmischen Beispiele historisch ein und benennt etwa Umstände von Produktion und Aufführung. Somit geht es quantitativ oft weniger um die Filme selbst. Dies ist allerdings in einer These Stallschus’ begründet. Sie geht davon aus, dass es zum Verständnis der Filme beitrage, das übrige Werk der Künstler zu kennen, um etwa inhaltliche Zusammenhänge erkennen zu können. Diese These mag zunächst gewagt klingen, da die einzelnen Arbeiten somit weniger als geschlossene Werke dargestellt werden. Vor allem in Bezug auf Warhol aber macht Stallschus deutlich, dass die Arbeiten einer sozialen Situation untergeordnet sind, in Warhols Fall seinem öffentlichen Auftreten, seinem Auftreten in den Medien und in der Factory. Ergänzend zu den Beschreibungen der Filme im Analyseteil der Arbeit umfasst der Anhang außerdem Sequenzprotokolle, in denen die Filme stichwortartig näher beschrieben werden.

Dadurch dass auch der Kontext der Filme und ihre Beziehung zu anderen künstlerischen Arbeiten untersucht wird, kann Stallschus wenigstens ansatzweise darauf schließen (lassen), wie die künstlerischen Filme ausgestellt, die ‚Bilder‘ angemessen gezeigt werden können. Das Anliegen der Analyse ist also auch praktischer Natur, zumindest wird dieser Aspekt mit bedacht. Dass Stallschus einen intermedialen Blickwinkel einnimmt, ist insofern ertragreich.

Der Bezug auf andere Arbeiten der Künstler, auf Gemälde und Collagen, die als eindeutigere Versuche erscheinen, den Bildraum und das Bildmedium zu erweitern, dient Stallschus zudem dazu, ihre These zu belegen, dass es den analysierten Filmen immer auch um eine Arbeit am Bild geht. Gelegentlich stellt sich bei der Lektüre die Frage, ob dies tatsächlich immer zwingend der Fall ist oder ob es nicht doch um das Medium Film – oder um etwas anderes – geht. Allerdings macht etwa die Analyse von Warhols Screen Tests eine Auseinandersetzung mit ‚dem Bild‘ anschaulich: Der Film dokumentiert, wie verschiedene Personen im Moment der Aufnahme porträtiert werden. Im Gegensatz zu fotografischen Porträts streckt Warhol so den Moment des Porträtierens und bringt durch die Wiederholung beziehungsweise das Andauern der einzelnen Bilder ihre Merkmale zutage.

Ihrer These entsprechend betitelt Stallschus die filmische Praxis im Resümee der Arbeit als angewandte Bildtheorie. Sie erweitert so die von der Forschungsliteratur bereits formulierte These, die filmische Praxis sei als Theorie des Films lesbar. Dies leuchtet ein, wenn Stallschus betont, dass die Pop Art – wie es die Forschung bereits in Bezug auf den pictorial turn beschrieben hat – das Bild als komplexes Wechselspiel von Visualität, Institution und Diskurs begreift. Dass die Kunst aber immer auch Theorie ist, könnte als Überinterpretation kritisiert werden. Zwar argumentiert Stallschus durchaus überzeugend, wie filmische und bildkünstlerische, autoreflexive Arbeiten zusammenhängen – und dass der Film insofern ebenfalls ein Bildmedium ist. Um eine entsprechende Argumentation weiter zu untermauern, ließe sich jedoch ein breiterer theoretischer Hintergrund anführen, beispielsweise zur Medientheorie, zur Filmtheorie, zum Film in der Kunst oder zur Bildwissenschaft. Wer sich aber vor allem für die Analysen verschiedener künstlerischer Beiträge und eine breite historische Einordnung interessiert, kommt sicher nicht zu kurz.

Titelbild

Stefanie Stallschus: Im Zwischenraum der Bilder. Der Film als Experimentalfeld der Pop Art.
Wilhelm Fink Verlag, München 2016.
264 Seiten, 34,90 EUR.
ISBN-13: 9783770555390

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