(K)ein Œuvre ohne Plot
In „Du sagst es“ erzählt Connie Palmen Sylvia Plaths Leben aus Ted Hughesʼ Sicht
Von Alexandra Pontzen
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseUm Du sagst es zu verstehen, ist es hilfreich, über Leben und Werk der amerikanischen Schriftstellerin Sylvia Plath (1932-1963) und vor allem über ihre Ehe mit dem Autor Ted Hughes (1930-1998) informiert zu sein. Um die Lesart der Ereignisse, die Connie Palmen Ted Hughes in den Mund legt, einordnen zu können, sollte man die feministischen Mythen, die sich um Plaths Biographie, ihre Confessional Poetry, v.a. den Band Ariel (1965, posthum) und ihren Roman Die Glasglocke (The Bell Jar, 1963 unter dem Pseudonym Victoria Lucas) ranken, zumindest kennen: die Feier einer weiblichen lyrischen Hochbegabung, deren Leiden unter dem frühen Tod des Vaters und einer ambivalenten Mutterbindung, der erste Selbstmordversuch als extremen expressiver Akt, Erfahrungen mit Psychoanalyse und Elektroschocktherapie, die im Sinne der Zweiten Frauenbewegung höchst prekäre Verbindung von Autor- und Mutterschaft sowie, vor allem, das Ideal einer so leidenschaftlichen wie künstlerisch produktiven Liebe, an dem die Frau schließlich zu Grunde geht, weil der Mann ihm nicht gewachsen ist. Um den Perspektivwechsel als Kehrtwende der Sympathielenkung weg von Plath hin zu Hughes auch psychisch nachzuvollziehen, muss der Leser und mehr noch die Leserin mit Plath als role model moderner weiblicher Autorschaft vertraut, am besten bereits sozialisiert sein. Will man dann noch den Subtext mitlesen, der Du sagst es in das Leben und Werk der niederländischen Autorin Connie Palmen einschreibt und dem Roman einen doppelten Boden gibt, sollte man entweder in den Niederlanden leben, wo die 1955 geborene und mit ihren frühen philosophisch-identitätspsychologischen Erzählwerken schnell berühmte Autorin eine Person des öffentlichen Lebens ist, oder man sollte ihre autobiographischen Romane über die Liebesbeziehungen mit dem Talkmaster und Journalisten Ischa Meijer (I.M. 1998, deutsch: I.M. Ischa Meijer – In Margine, In Memoriam, 1999) und dem Politiker Hans van Mierlo (Logboek van een onbarmhartig jaar, 2011, deutsch: Logbuch eines unbarmherzigen Jahres, 2013) gelesen haben. Beides waren intensive, z.T. symbiotische und weithin aufmerksam beäugte Beziehungen mit attraktiven, prominenten Männern mit schillernder Persönlichkeit und es waren große Lieben, die als amour fou einsetzten und mit dem Tod des Geliebten nach vier bzw. elf Jahren ihr Ende fanden. Das sind nur einige der stofflichen und emotionalen Parallelen zwischen Palmens neuem Werk und ihren früheren Romanen, die im Modus autofiktionaler Erinnerung die Genres von Liebes- und Trauerroman vereinigen; Zahlenmystik, Astrologie, Schicksals- und Zeichengläubigkeit, Seelenverwandtschaft und romantisches Seher-Dichtertum sowie die Reflexion auf genderspezifische, in der Künstlerbeziehung des ‚Großen Paares‘ konkurrierende Formen und Realisierungen von Kreativität wären weitere.
Nun sind das viele Voraussetzungen dafür, einen Roman würdigen und eine Geschichte verstehen zu können, die als Liebesgeschichte zwischen einem englischen Lyriker und einer amerikanischen Schriftstellerin ohnehin nur eine begrenzte Zielgruppe von Leser(inne)n erreichen wird. Das mag erklären, warum Palmen so dick auftragen muss, sowohl sprachlich als auch mit der vorausdeutenden, penetrant leitmotivischen Verweistechnik und raunenden Beschwörung des im klassischen Sinne tragischen, weil unabwendbaren Unheils – dem Selbstmord Sylvia Plaths, auf den die fiktive Erzählung der Ereignisse durch ‚Ted Hughes‘ wie auch der Roman als Ganzes hinausläuft. Die ständige Wiederholung und zunehmende Verdichtung der Todesmotivik mag sich aus der Retrospektive desjenigen herleiten, der die Lebenszeit eines Menschen rekonstruiert unter dem omnipräsenten Perspektiv von dessen nahendem, inzwischen eingetroffenen Tod – Joan Didion hat dieses Narrativ der Hinterbliebenen in ihrem Trauerbuch The Year of Magical Thinking (2005; deutsch: Das Jahr magischen Denkens, 2006) klug analysiert. Bei Palmen soll es nun aber nicht nur die Rekonstruktion der letzten Wochen, Tage und Stunden tragen, sondern der sieben Ehejahre, die das Paar miteinander verbracht hat. Auch das mag als Rollenprosa des zurückgelassenen und vorher durch Ehebruch ‚schuldig‘ gewordenen Mannes psychologisch plausibel sein – erzähldramaturgisch überzeugt die Suizidteleologie nicht. Und der Beigeschmack wird noch ein wenig bitterer, wenn man das Motiv in der Fortschreibung der Realität, im Postskriptum des Romans, ausgeführt findet, das mit dem Hinweis auf den Selbstmord von Nicholas Farrar Hughes, des gemeinsamen Sohnes von Plath und Hughes, im Jahr 2009 endet.
Hier berührt der Roman, wenn auch im Epitext, Privates, das der reale Ted Hughes nicht öffentlich machen wollte, dessen Mitteilung aber Movens und Existenzvoraussetzung des vorliegenden, aus der Perspektive eines fiktiven Ted Hughes erzählten Romans darstellt, dessen zentrale lebensweltliche wie poetische Motive Palmen weitgehend aus den kurz vor seinem Tod veröffentlichen Birthday Letters (1998), knapp dreißig Gedichten Ted Hughes‘ für seine verstorbene Frau, bezieht.
Der heikle Umgang mit Diskretion ist ein Spezifikum autofiktionaler Werke – für deren AutorInnen wie für deren LeserInnen. Während es Palmen für ihre eigene Geschichte gelingt, auf dem schmalen Grat zwischen Authentizität und Distance zu balancieren, indem sie formale Strenge und die Autorität der eigenen Stimme ins Gleichgewicht zu bringen vermag, scheint das in Du sagst es weniger überzeugend. Das mag daran liegen, dass es eben keine erlebte, sondern eine erlesene und anverwandelte Biographie ist, zudem eine – oder eigentlich zwei –, deren kultureller Rahmen, die USA und das England der 1950er und 1960er Jahre, Palmen fremd sind, so dass deren Kontrastierung arg klischeehaft wirkt: „Natürlich kannte sie als Amerikanerin den Krieg nicht so wie ich, der ich in einem trauernden Tal geboren und aufgewachsen bin, getränkt von den Tränen, die um die verschwundenen Männer vergossen wurden, welche der Wahnsinn des Großen Krieges wegriss, und erneut entmannt durch den Zweiten Weltkrieg. Für sie war der letzte Krieg eine von ihren deutschen Erblassern tagtäglich aufmerksam gehörte Radiosendung. Während sie von den Cafés und Terrassen plapperte, wo Hemingway, Fitzgerald und Stein mit ihren transatlantischen Lippen Abdrücke auf den Gläsern und Tassen hinterlassen hatten, vom Genie Picassos und dem Geschenk des erneuerten Blicks der Impressionisten […] und all ihr Baedeker-Wissen über mich ausschüttete […], lief ich auf den Quais einer besetzen Stadt, voller Einschusslöcher, Kollaborateure und Guerillakämpfer, beflaggt mit flatternden Hakenkreuzen, umringt von stampfenden Deutschen in Uniform.“
Auch die Bildwelten, aus denen Plath wie Hughes leben und schreiben und die Palmen aus den Werken beider sowie aus denen ihrer Vorbilder, für Hughes besonders Yeats, Blake und Graves, bezieht, bleiben papiern und scheinen aus heutiger Sicht einer anderen Welt anzugehören wie überhaupt das Narrativ einer auf Ich-Suche, Schicksals- und Sprachgläubigkeit angelegten Künstlerbiographie, deren geographische und publizistische Stationen zugleich ‚geplant‘ werden, seltsam unzeitgemäß und verschroben anmutet. Das Konzept des Großen Paares, dem in Palmens Darstellung beide anhängen, wenn sie es auch unterschiedlich interpretieren und unterfüttern – mit Freud’schen psychoanalytischen Ansätzen von Verschiebung und Verdichtung, Jung’schen Archetypen-Vorstellungen, Mythologie und literarischen Vorbildern – ist untrennbar mit den Ideen der künstlerischen Kreativität und Produktivität zum Zwecke der Selbstfindung und -entfaltung verbunden. Die Realisationen scheinen kulturkritisch zwischen altem Europa und neuer Welt kontrastiert: Will Hughes poetische Innenwelt und Rückzug, am liebsten im Landleben, strebt Plath nach Ruhm und städtischer Öffentlichkeit, nicht nur für sich, sondern auch für ihren Mann, für dessen Werk sie sich unablässig engagiert – nicht ohne darunter zu leiden, dass ihr eigenes Schreiben aus Leiden entsteht und Schmerz bereitet, während seines mit Freude und fast selbstverständlich Gestalt annimmt. Hier tut sich eine lange Tradition genderbezogener Kreativitätstheorie und literarhistorischer Diskussionen über die geringe Zahl weiblicher Genies auf, deren Nachhall in Virginia Woolfs materialistischer Interpretation weiblichen Produktionsfreiraums A Room of One‘s Own (1929) in den Zimmeraufteilungen und räumlichen Abgrenzungen des Schriftstellerpaares für die 1960er Jahre mustergültig umgesetzt wird. Gleichwohl wird deutlich: Während Hughes auch unter schlechten Bedingungen auf einem Nottisch vor der Wohnungstür schreiben kann, quält sich Plath auch im eigenen, abgeschlossenen Zimmer. Die Frage, welchen Anteil ihr Freitod an ihrem Werk hat und ob ihre Befürchtung zutrifft, „[e]ines Tages würde sie auf ein Œuvre ohne Plot zurückblicken, das von nichts anderem zusammengehalten wurde als von einem toten Vater, einem Selbstmordversuch und dem Spagat zwischen Liebe und Arbeit“, stellt sich so gleich in mehrfacher Hinsicht. Sie stellt sich auch deshalb, weil der zu ihren Lebzeiten erfolgreich publizierende und von ihr promotete Hughes nach Plaths Tod kaum noch Eigenes veröffentlicht (wenn er auch 1984 zum Poet Laureate, dem von der britischen Königin berufenen Nationaldichter wird) und sich ganz in den Dienst des postumen Ruhms seiner nach ihrem Tod berühmten Frau stellt – nicht ohne als deren Verräter geschmäht zu werden. Insofern ist Palmens Idee, Hughes, „von den Anbeterinnen ihres Totems verurteilt, gehetzt und verfolgt“ und seit Plaths Tod verstummt, eine Stimme zu geben, auch die Travestie eines feministischen Topos, dessen simplifizierende Unterscheidung von Tätern und Opfern der Liebe wie der Kunst indes nicht mitvollzogen wird.
Gleichwohl bietet diese Grundidee des Romans der Kritik auch die größte Angriffsfläche, nicht nur in moralischer Hinsicht, sondern auch handwerklich, denn der Gender-Wechsel in die Perspektive eines männlichen Autors trägt nicht wirklich dazu bei, dessen psychische Befindlichkeit dem Leser/der Leserin plausibel werden zu lassen oder gar das vermeintlich Bekannte neu, nämlich aus der Perspektive des Mannes, zu sehen: Die Einengung durch eine symbiotische Liebe, die Rücksicht auf eine psychisch labile, höchst empfindsame und in ihrer Eifersucht tyrannische Frau werden zwar geschildert, aber letztlich nicht nachvollziehbar, ebenso wenig wie der Ausbruch aus diesem Ehe- und Familienleben in die Affäre mit einer verheirateten „Königin der Nacht“, die – auch in der Palmen’schen Lesart der Ehegeschichte – Plath einen entscheidenden letzten Schlag gegeben haben muss.
Auch dass der von Palmen imaginierte Ted Hughes in Du sagst es dazu findet, „ich“ zu sagen und seiner Skepsis gegenüber Confessional Poetry gleichsam Abbitte zu leisten, wird weniger aus der Dramaturgie einer charakterlichen Entwicklung plausibel als aus dem Wettstreit einer intertextuellen Rivalität: Aus der Sicht Hughesʼ hatte Plath im Unterschied zu ihm „keine Phantasie. Für alle Bilder, Symbole und mühselig zusammengescharrten Metaphern – immer mit Hilfe des unerlässlichen Roget’s Thesaurus – hatte sie mit einer Erfahrung bezahlt. […] Jeder Schriftsteller, der so eng an seine Autobiographie gebunden ist, beschränkt sein Werk auf ein individuelles Schicksal und verbaut sich den Zugang zum Universellen und Heiligen, den Zugang nicht nur zu der Welt, in der seit Anbeginn der Zeiten alles und jeder mit allem und jedem verbunden ist, sondern auch zu der Literatur, in der unsere Vorläufer dem, was Leben für ein jedes Wesen bedeutet, erzählend Gestalt verliehen.“ Wenn man einmal von den großen Worten und dem hohen Ton absieht – die allerdings die gesamte Narration bestimmen und dem weniger leidenschaftlichen Leser/der Leserin einiges abverlangen – sind das in etwa die Vorwürfe, die man auch einer Autorin wie Connie Palmen machen könnte, und die sie hier, Ted Hughes‘ als Advocatus Diaboli in den Mund gelegt, mit dem Schicksal Sylvia Plaths und der eigenen romanhaften Verarbeitung von deren Leben repliziert. Dass auch auf der Ebene weiblicher Autorschaft eine intensive Auseinandersetzung mit Elementen identifikatorischer Spiegelung und fast aggressiver Abgrenzung stattfindet, verdeutlicht das Motiv der Mutterschaft respektive weiblicher Kinderlosigkeit: Aus der Perspektive der fiktionalisierten Sylvia Plath gehört die Autorin Connie Palmen zu einem Frauentypus, den sie nicht anerkennen kann und verbal bekämpfen muss, „weibliche Existenzen, die […] nur einen Teil ihres Potentials ausgeschöpft hatten, weil sie nicht Geliebte und Muse eines Ehemanns waren und nicht Mutter eines Kindes“.
Alle Figuren dieses Romans sind von starken Gefühlen angetrieben, von dunklen Ahnungen heimgesucht, scheuen weder große Worte noch dramatische Gesten – Plath tritt als Frau auf, die Hughes bei der „ersten Begegnung, mit den Füßen stampfend wie eine brünstige Stute, in die Wange biss, dass Blut floss“, und ihre Wirkung auf Hughes‘ Freunde, die sie „zickig, exaltiert und theatralisch“ fanden, vermittelt sich im Duktus der Erzählung, die Hanni Ehlers flüssig übersetzt hat. Zwar wundert man sich, dass Plath in Hughes‘ Rede immer die „Braut“ bleibt, nie (Ehe-)Frau wird, doch liegt das wohl an der privatmythologischen Projektion der Gedichte, von denen Palmen sich inspirieren ließ.
Ein niederländischer Rezensent hat den 2015 im Original erschienenen Roman eine „intensive emotionale Reise“ genannt: Dem ist zuzustimmen, und wie bei allen Reisen, die man nicht selbst unternimmt, sondern erzählt bekommt, ist man ganz froh, wenn sie an ihr Ende gelangt. Die Fliehkräfte, die dieses Ende beschleunigen sollen und doch immer wieder verzögern, liegen im Vorwissen des Lesers und in der Reibung zwischen Romanfiktion und außerliterarischer Wirklichkeit oder deren früheren Fiktionalisierungen.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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