Werde, der du bist

Klaus Manns vergebliche Hoffnungen auf die Psychoanalyse

Von Alexandra HildebrandtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexandra Hildebrandt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Klaus Mann, der ewige Sohn, der vom väterlichen Ruhm profitiert und zugleich unter ihm gelitten hat, präsentierte sich der Öffentlichkeit zuweilen weltoffen, eloquent und charmant. Seine Natur war allerdings eher das Gegenteil: "ein alter Individualist und Vagabund, nicht ohne exzentrisch-anarchistische Tendenzen". Mancherlei Aufschlußreiches über die unstete, melancholische und von tiefen Zweifeln geplagte Seite seiner Persönlichkeit, die schon früh dem Tode "anheimgegeben" war, fördern zwei Veröffentlichungen zutage. Uwe Naumanns Bildband "Ruhe gibt es nicht, bis zum Schluß" bringt einen Großteil bislang unveröffentlichter Fotos und Dokumente, darunter Faksimiles von noch gesperrten Tagebüchern Klaus Manns. Erfreulich informativ ist auch die erste umfassende Klaus-Mann-Biographie von Nicole Schaenzler, die mit detektivischer Akribie den problematischen Lebensweg des intellektuellen Abenteurers und Globetrotters nachzeichnet, der "innig - aber erfolglos - darum bemüht [war], den Anschluß an irgendeine Gemeinschaft zu finden, sich irgendeiner Ordnung einzufügen".

Was den frühreifen "Selbstbeobachter" gründlich beschäftigte und schließlich zerstörte, war die Sucht nach "künstlichen Paradiesen". Im Januar 1935 registrierte er in Amsterdam: "An den Schenkeln die Spuren der Einstiche, wie Biss-Spuren nach einer Liebesnacht." Am 21. Mai 1949 erfüllte sich in seinem Selbstmord schließlich die "süchtigste" Sehnsucht, weil sie die Aufhebung quälender Nöte brachte. Leben, hatte er in seinem Lebensbericht "Der Wendepunkt" geschrieben, sei nur der Anfang des Todes, existiere nur um des Todes willen. Die besondere Rolle, die in seinem Oeuvre beide Begriffe (er war davon überzeugt, daß sie sich am Ende in "libidinöser Universalfunktion begatten und durchdringen") spielen, weist auf die Psychologie Sigmund Freuds hin. Mit dessen Werken war Klaus Mann gründlich vertraut, wie auch der Freudsche Terminologie-Apparat im "Wendepunkt" zeigt: Libido, Unbewußtes, Sublimierung(sgrad) und Trieb(befriedigung). Wenn der Eindruck entsteht, Klaus Mann sei zunächst vom Wahrheitsgehalt der Psychoanalyse überzeugt gewesen, so räumt er später doch ein, daß der "einseitig-geniale Freud ebensoviel und ebenso Ungenügendes" über Ursprung und Charakter der "permanent-akuten Krise" auszusagen wußte "wie der einseitig-geniale Marx". Mit anderen Worten: "Die rebellische Libido ist nicht weniger explosiv als der revolutionäre Klassenkampf; die traumesdunkle Mahnung, der kryptische Protest aus den Tiefen des persönlichen Unterbewußtseins, vermischt sich mit dem Grollen aus anderer Unterwelt - der gesellschaftlichen."

Nicole Schaenzler zeigt, wie wenig Klaus Mann die analytische Behandlung geholfen hat: Im April 1938 suchte er in der Zürcher Privatklinik "Eos" seiner exzessiven Drogensucht Herr zu werden. Hier zeigte er sich für den psychoanalytischen Ansatz seines Psychiaters Ludwig Binswanger, der ihn während seiner dritten Entziehungskur behandelte, nicht zugänglich. Fast verächtlich zählte er die Erklärungsansätze auf, mit denen der Arzt ihn während der täglichen Sitzungen konfrontierte: "Heimweh zur Erde, zur MUTTER?, Tod? Lust? [...] Unzufriedenheit mit dem Sexuellen? (Kastrations-Komplex?)"; und einige Tage später: "Selbstmord-Komplex und Droge. Tod und Mutter-Trieb", um dann schließlich resigniert festzustellen: "Es hilft mir auch nicht weiter." Die Autorin verweist darauf, daß der Arzt den "Vater-Komplex" auf seiner Suche nach den psychologischen Motiven offenbar unbeachtet gelassen hat. Nach weniger als zwei Wochen verließ Klaus Mann die Klinik wieder; er hatte die Therapie abgebrochen. Dr. Binswanger sei zwar ein "braver Mann", doch seien die Gespräche für ihn "ergebnislos" geblieben. Zwei Tage später erfolgte der erneute Rückfall.

André Gide schien ihm als Ratgeber akzeptabler, weil dieser gerade nicht vorbildlich wirken wollte. Die Pose des Magisters blieb ihm zeitlebens fern. Sein Rat, den er, in den "Nouvelles Nourritures", seinem fiktiven Freund und Jünger zuruft, ist eines der Motti, denen sich Klaus Manns Leben verschrieben hat: "Vertraue niemandem, außer der Stimme des eigenen Gewissens! Sei aufrichtig, vor allem gegen dich selbst! Erforsche dein eigenes Wesen! Geh deinen eigenen Weg! Werde, der du bist!"

Titelbild

Uwe Naumann (Hg.): "Ruhe gibt es nicht, bis zum Schluß". Klaus Mann (1906-1949). Bilder und Dokumente.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1999.
352 Seiten, 50,10 EUR.
ISBN-10: 3498046780

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Titelbild

Nicole Schaenzler: Klaus Mann. Eine Biographie.
Campus Verlag, Frankfurt/New York 1999.
464 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 3593360683

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