Überall nur fremd
Barbara Honigmanns Briefroman "Alles, alles Liebe!"
Von Peter Mohr
Besprochene Bücher / Literaturhinweise"Im Sommer war ich verliebt und wollte mich als Regisseurin in der Provinz behaupten. Im Herbst sind meine Inszenierung und meine Liebe verfallen. Und nun ist Winter - Theater und Liebe kaputt", lässt Barbara Honigmann ihre Protagonistin Anna Herzfeld resümieren. Treffender und kürzer kann man den Briefroman nicht auf den Punkt bringen.
Anna Herzfeld lebt in einer Ost-Berliner Künstlerkolonie der 70er Jahre, ist jüdischer Herkunft und betätigt sich in ihrer Freizeit als Hobby-Malerin. Sie lebt stets in einer angespannten inneren Atmosphäre, ausgelöst durch ihr Judentum und ihre Suche nach künstlerischen Ausdrucksformen. Zunächst scheint sie dafür eine Chance zu bekommen. Sie geht an das kleine Theater in Prenzlau, "wo man sich nirgendwo verstecken kann." Verstecken würde sich Anna nämlich am liebsten, denn überall fühlt sie um sich herum Feindseligkeiten in der verschworenen Gemeinschaft der provinziellen Kleinstadt. Diese Mischung aus Verfolgungswahn und Einsamkeit lässt sie eine Fülle von Briefen an ihre Ost-Berliner Weggefährten schreiben: an die Schauspielerin Eva, an einige ehemalige Liebhaber und vor allem an den von ihr verehrten, aber im Freundeskreis unbeliebten Leon.
Die Protagonistin scheint sich in ihren Briefen aufzuzehren, sowohl beruflich als auch privat. Die Arbeit an ihrer Inszenierung geht nicht voran, und bei den Besuchen in Berlin scheitern die verabredeten Treffen mit Leon in schöner Regelmäßigkeit. Aus diesem Holz sind die "Rund-um-Verlierer" geschnitzt.
Barbara Honigmann (Jahrgang 1949), die seit 16 Jahren als Mitglied der großen jüdischen Gemeinde in Straßburg lebt, hat ihrer Protagonistin alle erdenklichen Niederlagen aufgebürdet. Sobald sie den vertrauten Berliner Zirkel verlassen hat, fühlt sie sich fremd und unverstanden, herausgestoßen in eine kalte feindselige Welt.
"Alles, alles Liebe" ist ein langer obsessiver Hilfeschrei, der in eine komplizierte Fragestellung mündet: Anpassen oder fremd bleiben? Sich zurückziehen wie ein Eremit oder auf Kosten der Selbstverleugnung Eintauchen in die Gesellschaft?
"Frau und Schriftstellerin in einer schwierigen Gegenwart, in der sich meine deutsche Muttersprache, meine jüdischen Eltern und das Leben in einem fremdsprachigen Land im Weg stehen." So hat die Autorin Barbara Honigmann ihre eigenen Probleme bei der Suche nach Heimat und Identität beschrieben.
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