Das Leben am Beckenrand

Katharina Hackers Roman "Der Bademeister"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hugo war einst ein glücklicher und zufriedener Mensch. Vier Jahrzehnte lang tanzten im Volksbad am Prenzlauer Berg die Badegäste nach seiner Pfeife. Kein erhebendes Gefühl, aber Hugo war immer ein genügsamer Mensch, für den es keine Welt außerhalb des Bades gab. Das soll sich bitter rächen, denn im Zuge des Mauerfalls wird das baufällige Bad im Ostteil Berlins geschlossen und Hugo verliert über Nacht nicht nur seinen Job, sondern auch (seinem eigenen Selbstverständnis zufolge) die Daseinsberechtigung in der sich rasant verändernden Gesellschaft.

Mit seinem neuen Status als Frührentner kann er sich überhaupt nicht anfreunden. Deshalb sucht er immer wieder den Ort auf, der sein Lebenszentrum war: das alte Hallenbad. Es modert vor sich hin. Mit dem Verfall des Bauwerks wächst Hugos Verzweiflung. Er schließt sich in das Hallenbad ein, führt beklemmende Selbstgespräche, ruft imaginäre Badegäste zur Ordnung, sucht hinter den Kacheln nach alten Stasi-Wanzen, findet dabei ein altes Schild "Juden unerwünscht" und verliert immer stärker den Bezug zur Realität.

Einen solch hilflosen Menschen zur Hauptfigur eines Romans zu machen, ist ein wahrhaftig kühnes Unternehmen. Doch die 33jährige Autorin Katharina Hacker, die seit einigen Jahren selbst im Osten Berlins lebt, schafft es in ihrem in Monologform gehaltenen Text, die Ängste und Erinnerungen des simpel strukturierten Hugo glaubwürdig wiederzugeben, ohne dabei den Bademeister der Lächerlichkeit auszusetzen. "Ich wollte nie Bademeister werden, ich habe es mir nicht ausgesucht, es war ein Irrtum von Anfang an", räsoniert ihr Anti-Held. Er hat es verstanden, sich mit seinem Job zu arrangieren, genauso, wie er es verstanden hat, darüber zu schweigen, dass vor seiner Zeit im Keller Gefangene gehalten wurden, deren Leichen später im Becken lagen. "Ich mußte sie hinaustragen und das Becken saubermachen. Dann haben wir wieder Wasser eingelassen, und alles war wie vorher." Nun hat der Lauf der Zeit dieser Stätte menschlicher Begegnung und körperlicher Ertüchtigung, die zwei totalitäre Systeme überstanden hat, den Garaus gemacht. Doch Hugo will sich damit nicht abfinden, flutet in einem Akt der inneren Rebellion gegen das Unaufhaltsame das Becken und zieht sich für eine Woche in das alte Hallenbad zurück - den Blick primär auf das Wasser gerichtet, auf das Element, das gleichermaßen Leben wie Tod verkörpert. Katharina Hacker evoziert dank ihrer einfachen, dennoch präzisen Sprache eine beklemmende Atmosphäre. Geschickt setzt sie Redundanzen als Stilmittel in Hugos Monologen ein. Wiederkehrende stakkatohafte Aufschreie der Verzweiflung gehen wie Nadelstiche unter die Haut. Nie ist unter Hugos Ägide ein Badegast ertrunken, was ihn unendlich stolz machte. So passt auch sein eigenes trauriges Ende in die Zeit der gewaltigen Zäsuren. Nicht nur das Hallenbad ist untergegangen.

Titelbild

Katharina Hacker: Der Bademeister. Roman.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2000.
206 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 3518411691

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch