Unglückliche Liebe zum Unerreichbaren

Renata Salecl über "(Per)Versionen von Liebe und Haß"

Von Thomas AnzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Anz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ich liebe dich, aber weil ich unergründbarerweise etwas liebe, was über dich hinausgeht [...], verstümmele ich dich." So lautet ein berühmter Satz von Jacques Lacan. Renata Salecl, eine Art weibliches Pendant zu dem slowenischen Psychoanalytiker und Kulturkritiker Slavoj Zizek (vgl. literaturkritik.de Nr. 7, 1999), zitiert ihn und macht ihn zum Ausgangspunkt ihrer Analysen unterschiedlichster Formen von Liebe und Hass. Ihre Beispiele entnimmt sie vor allem Romanen, Filmen und politischen Diskussionen. Die bemerkenswerte Vielfalt ihrer Perspektiven und die Weite ihres psycho- und kulturanalytischen Horizonts spiegelt sich in ihren Lebensdaten: 1962 in Slowenien geboren, Studium der Philosophie und Soziologie, Gastprofessorin in New York, Michigan und Berlin, Mitglied des Berliner Wissenschaftskollegs, wo sie das vorliegende Buch beendete, danach in Ljubljana am Institut für Kriminologie der juristischen Fakultät tätig.

Von Lacan hat sie viel gelernt, nur schreibt sie sehr viel klarer als dieser: "Der psychoanalytische Begriff des Begehrens ist eng mit der Nicht-Befriedigung, also dem Phänomen verbunden, daß wir Dinge aufgrund ihrer Unerreichbarkeit begehren. Um dieses Begehren aufrechtzuerhalten, muß das Subjekt dessen Befriedigung verhindern." Ein fataler Mechanismus ist hier beschrieben. Begehrt wird etwas, was sich entzieht, und dafür, dass es sich entzieht, wird es auch gehasst. Dieser Hass ist destruktiv. "Paradoxerweise zerstört der Einzelne oft das, was er am meisten liebt."

Das gilt nicht nur für den privaten Bereich. Ein Kapitel des Buches zeigt, wie sich Ceau?escus Haltung gegenüber Rumänien in einem Satz resümieren lässt: 'Ich liebe mein Land, deshalb zerstöre ich es.' Ein anderes sucht nach einer Erklärung dafür, "daß heute in New York in ein und demselben Viertel Jugendliche mit den unterschiedlichsten Piercings neben Künstlern, die die Verstümmelung des eigenen Körpers zur Kunstform erheben, und afrikanischen Immigranten leben, die weiterhin die Klitoridektomie (weibliche Beschneidung) vornehmen." Was Salecl, Autorin eines 1994 erschienenen Buches über "Psychoanalyse und Feminismus nach dem Fall der Mauer", über die öffentlichen Akte weiblicher Beschneidung in der Dritten und ihre Fortführung als geheimes Ritual im Zentrum der Ersten Welt ausführt, weitet sich zu einem Vergleich unterschiedlicher Arten der Identitätsfindung in prämodernen, modernen und postmodernen Gesellschaften aus.

Salecl gibt eine gelungene Einführung in Lacans Version der Psychoanalyse anhand anschaulicher Beispiele. Und in der Analyse dieser Beispiele ist es zugleich eine differenzierte, vielfach scharfsinnige, zuweilen gewitzte Interpretation exemplarischer Bestandteile unserer Kultur. Das letzte Kapitel setzt an bei der Betrachtung zu jenen in den USA überaus erfolgreichen Büchern, die Frauen mit Anleitungen ("Rules") versorgen, wie Männer durch Unnahbarkeit zu verführen seien. Die Instruktionen nehmen sich merkwürdig altmodisch aus, sind jedoch, wie Salecl konstatiert, "keine simple Rückkehr zu einer alten Tradition." Sexuelle Verbote von ehedem sind heute verschwunden, doch noch immer tragen Hindernisse und symbolische Verbote stark zur Attraktivität des Liebesobjektes bei. Der Einzelne spielt heute mit Identitäten und widersetzt sich jeder Autorität, die sein Leben zu bestimmen beansprucht, doch sucht er zugleich "verzweifelt nach neuen Anleitungen, um etwas 'Ordnung' in das freie Spiel mit den Identitäten zu bringen." Die latent konservativen Tendenzen, die dem Werk Lacans eigen sind, deuten sich auch in Salecls Ausführungen an.

Die Autorin kehrt am Ende dahin zurück, wo es begonnen hat: an den Punkt, an dem aus Liebe Hass spricht. Er scheint nach Salecls Ausführungen geradezu unvermeidlich zu sein. Nur in einem dunklen Paradox deutet sich Anderes an, im Verweis auf ein illusionsloses Wissen darüber, "daß es keine Liebe gibt, ohne daß deren Unmöglichkeit inbegriffen wäre."

Titelbild

Renata Salecl: (Per)Versionen von Liebe und Haß.
Verlag Volk & Welt, Berlin 2000.
336 Seiten, 22,50 EUR.
ISBN-10: 3353011749

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