Vom Kitsch in Zeiten der Popkultur

Klassifizierung und Katalogisierung eines urdeutschen Phänomens

Von Christoph Schmitt-MaaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Schmitt-Maaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Denk ich an Deutschland in der Nacht ... so denke ich an: Gartenzwerge, Spitzweg und Heimatfilme - mit einem Wort: an Kitsch. DAS deutsche Phänomen. Schließlich entlehnen sämtliche europäischen Sprachen "Kitsch" aus dem Deutschen, hielt die "Gemütlichkeit" Einzug in das englische Vokabular ebenso wie das "Lied". Deshalb scheint eine eingehende Beschäftigung mit Kitsch Pflichtübung, zumal in den Zeiten der allzu beliebigen Popkultur.

Mit deutscher Gründlichkeit räumt Hans-Dieter Gelfert, Anglistik-Professor im Ruhestand, Kitschphänomene in Zigarettenschachteln. Eifrig wird etikettiert und unterschieden zwischen niedlichem und erhabenem, sentimentalem und saurem, mondänem und erotischem Kitsch etc. Die gelegentlich einfließenden Ironie entschädigt nur wenig: nüchtern und sachlich macht sich hier ein Vertreter der Hochkultur über die ihn ekelnde Kitschkultur her. Und immer wieder tritt die Abgrenzung in den Vordergrund: Was ist Kitsch, was Kunst?

Materialreich erklärt der Philologe und vollzieht scheinbar manch überraschende Kehrtwende: so war Thomas Manns Essayistik nicht über den Kitsch erhaben und auch Adorno hat von den verbotenen Früchten genascht. Freilich, erklärt Gelfert einschränkend, nur in seinen schwächsten Momenten. Und erst die machen uns ja die Kunst so richtig bewusst.

Im Gegensatz zu manch anderen Popkultur-Apologeten verrennt sich der Autor in konservativ-humanistische Unterscheidungskonzepte. Statt Kitsch als Kitsch zu nehmen und ihn aus sich selber heraus zu erklären, belässt er es lieber bei einem Unterscheidungstypus, der letzlich die hohe Kunst vor der Kitsch-Infiltration zu retten versucht.

Interessant sind die gewählten Beispiele sicherlich: Heute vergessene Epigonen der literarischen Romantik fehlen ebenso wenig wie die schiefe Barockallegorie und der schwülstige Devotionalienkitsch. Und trotz mancher Überschneidung und Wiederholung bleibt die Argumentation recht einseitig: Was dem hochkulturellen Geschmack - gäbe es einen solchen - widerspricht, wird mit wenigen Sätzen bewusst als Kitsch degradiert. Und die "Ausrutscher" der etablierten Künstler werden als Versehen entschuldigt, bedingt durch zeitliche Umstände.

Erwähnenswert scheint mir, dass einer der wichtigsten Beiträge der letzten Jahre in der Literaturliste fehlt: Umberto Eco mit seinem Aufsatz "Die Struktur des schlechten Geschmacks". Aber das lässt sich mit der ablehnenden Haltung Gelferts gegenüber Poptheoretikern begründen. Überhaupt schimmert immer wieder seine Verweigerung einer popkulturellen Metasprache durch; stellenweise hebt er zu einem Lamento über die verloren gegangenen Tugenden anglizistischen wissenschaftlichen Schreibens an. Letztlich kennzeichnet dies Gelferts Angst vor einer Vermassung von Kultur. Ein Zugeständnis an den Kitsch als Ausdruck postmoderner Kunstidentität scheint dem Verfasser unmöglich. Was bleibt, ist eine lesbare Zusammenfassung der Diskurse seit Entstehung des Begriffs sowie eine reichlich willkürliche Kitsch-Typologie.

Titelbild

Hans-Dieter Gelfert: Was ist Kitsch?
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2000.
143 Seiten, 14,20 EUR.
ISBN-10: 3525340249

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