Grenzgänge des diskursethischen Universalismus

Axel Honneth und das "Andere der Gerechtigkeit"

Von Johan Frederik HartleRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johan Frederik Hartle

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Idee des universalistischen Diskurses hat ihre eigenen Diskursbarrieren erzeugt. Die Diskursethik von Jürgen Habermas stößt auf pathetische Gegenreaktionen, die schon durch die Geste der Verweigerung die anspruchsvolle These allseitiger Integration zu falsifizieren hofften. Zugleich hat die "Theorie des kommunikativen Handelns" in ihrer inzwischen zwanzigjährigen Geschichte systematische Schwächen erkennen lassen, der auch ihre Befürworter nicht unberührt gegenüberstehen.

Zu den namhaftesten Schülern von Jürgen Habermas zählt der Frankfurter Sozialphilosoph Axel Honneth. Sein besonderes Engagement liegt in dem Bemühen, die Gesprächsbarrieren zwischen unterschiedlichen philosophischen Traditionen abzubauen und sich dabei mit analytischer Exaktheit und Empathie gerade den Vorwürfen zu widmen, die der Diskursethik entgegengebracht werden. "Das Andere der Gerechtigkeit" vereinigt 13 Aufsätze, in denen die Anschlussfähigkeit der Diskursethik auf die Probe gestellt wird. Die Aufsätze sind Eingriffe in die philosophische Diskussion, lehrreiche und exakte Beiträge zum gegenwärtigen Stand der Philosophie. Programmatisches Vertrauen in Rationalität und Fortschreiten des wissenschaftlichen Diskurses korrespondiert dabei mit höflich-diskursiven Korrekturvorschlägen.

Besondere Aufmerksamkeit schenkt Honneth zwei Grenzbegriffen des rationalistischen Universalismus: Solidarität und Fürsorge. Gerade die solidarische Einbettung in soziale Gemeinschaften, die spezifische Anerkennung kultureller Kontexte beschreibt Honneth als Voraussetzung individueller Selbstentfaltung, während sie zugleich auf lediglich partikularen Voraussetzungen fußt. Und auch Fürsorge bezeichnet einen moralischen Eigensinn, der zugleich eine Begrenzung des formalistischen Universalismus fordert. Geht es in affektiven Bindungen wie Liebe und Freundschaft radikal um den Einzelnen, so negieren sie dabei das Postulat allseitiger Gleichheit. Der Autor nähert sich damit sowohl einer "Politik der Freundschaft" im Sinne Jacques Derridas als auch den Spannungen im Begriff der Familie wieder an. Honneths Vermittlungsvorschlag hat eine dialektische Struktur und scheint an die ältere Kritische Theorie insbesondere Adornos angelehnt zu sein: die Spannung zwischen Allgemeinem und Besonderem wird in einer produktiven Schwebe gehalten. Nicht nur an diesem Beispiel erweisen sich Honneths Aufsätze als sinnvolle Ergänzungen eines rationalistischen Paradigmas.

Für die Reformulierung Kritischer Gesellschaftstheorie kann der Aufsatz über soziale Klassenherrschaft fruchtbar gemacht werden. Hier bekommt neben dem Verständigungsparadigma ein politisch relevanteres seinen Sinn: das Paradigma des sozialen Kampfes. Gegenüber der notorischen "Unterbestimmtheit" von Macht und Herrschaft bei Habermas führt Honneth hegemonietheoretische Ansätze ins Feld. Insbesondere in diesem Aufsatz thematisiert er die Bedeutung der symbolischen Reproduktion sozialer Herrschaft. In Andeutungen verbleiben leider sowohl der Begriff des "Unrechtsbewusstseins", das in die Lage versetzen soll, diskursive Ausschließungen zu korrigieren, als auch der Begriff einer "Gegenkultur", die unterdrücktem Wissen zur Artikulation verhelfen könnte.

Über weite Strecken nährt Honneth durch universalistische Grenzgänge die Hoffnung auf einen gewaltfreien Universalismus. Die Ambivalenz seiner universalistischen Philosophie beginnt jedoch spätestens mit der politischen Benennung der legitimen universalistischen Akteure. In Verteidigung einer "Politik der Menschenrechte" spricht Honneth vom gewachsenen globalen "Interventionsbedarf" der "rechtsstaatlichen Demokratien" angesichts der "Hilferufe" unterentwickelter Demokratien. Honneth will seine politischen Statements nicht auf das Ja-Nein-Kalkül von Kriegseinsätzen reduziert wissen. Im "Zeitalter rot-grüner Angriffskriege" fällt es jedoch schwer, seine Moralisierung des weltpolitischen Diskurses ganz unabhängig von dessen Militarisierung zu sehen. So weist die sublimierte Rede eines geläuterten Universalismus zuletzt mit ihrer politischen Sprecherposition auch ihren streitbaren Hintergrund aus. Die damit verbundenen philosophischen und politischen Dissense wird auch Axel Honneth in absehbarer Zeit nicht beilegen können.

Titelbild

Axel Honneth: Das Andere der Gerechtigkeit. Aufsätze zur praktischen Philosophie.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2000.
340 Seiten, 13,20 EUR.
ISBN-10: 3518290916

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