Die Literarizität des Comics im Zeitalter der Beliebigkeit
Tardis Begegnung mit der Gegenwart
Von Christoph Schmitt-Maaß
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseÄhnlich wie der Film, so "leiht" sich auch der Comic seine Geschichten bei der als seriös geltenden Literatur. Dass es dabei im glücklichsten Falle zu einer Verschränkung von Zeichner und Szenaristen kommen kann, bewies in der Vergangenheit Jacques Tardi. Seine Léo-Malet-Adaptionen verschreiben sich einer comicspezifischen Konsequenz des Erzählens, die gleichberechtigt an die Seite des geschriebenen Wortes tritt und die Literarizität des Comics neu aushandelt.
In der Vergangenheit diente Tardi die Epoche als Ambiente, vor dem er Stimmungen inszenierte. Seine meisterhaften Graustufungen verliehen dem Paris der 30er und 50er Jahre ein unverwechselbares Gesicht; in gedeckten Farben fand er ein treffendes Illustrationsmoment für die groteske Welt der sterbenden Belle Époque (Adèle Blanc-Sec). Sein breiter Strich verrät amerikanische Einflüsse, etwa von Robert Crumb, die er gekonnt mit Plastizität zu verbinden versteht. Dabei verschließt sich seine detailreiche Welt einem Pseudorealismus, um in einer neuen Naivität die karikaturesken Momente des Vorkriegscomics wieder aufleben zu lassen.
Nun aber wendet sich Tardi der Gegenwart zu. Sein aktuellstes Werk geht auf ein Szenario von Daniel Pennac, dem französischen Bestseller-Autor, zurück. Die mediale Kodierung von Alltags-Realität rückt in den Mittelpunkt des Erzählens. Ein Arbeitsloser hat sich in einen Tierkäfig im Jardin des Plantes gesperrt und demonstriert durch herumstehende Hundefutterdosen seine Armut. Er wird Gegenstand des medialen Interesses, bis er eines Tages erhängt aufgefunden wird. Lili, die Tierärztin des Zoos, versucht, den Motiven für dieses Verhalten auf die Spur zu kommen und entdeckt dabei Indizien, die auf Mord hindeuten.
Die Verschränkung der Massen und der Medien drückt sich bei Tardi auch über ein komplexes Personengeflecht aus. Detailversessen illustriert er die Realität des Pariser Alltags; er präsentiert die Befindlichkeiten der Hauptstadt des 21. Jahrhunderts als eine zutiefst uneinheitliche, sich in der Auflösung befindliche. Da hält der Flic Justin über sechs Seiten Kontakt zu seiner Freundin Lili einzig über das Handy - und auch die allgegenwärtige Big-Brother-Verwertungsmaschinerie ist aktiv.
Dazu passend hat sich Tardi auf eine plakative Farblichkeit besonnen. Die im Comic zentrale Stellung der Gemälde eines Straßenmalers wird durch deren Illustration von Loustal verdeutlicht. Auch zitiert sich Tardi selbst, sowohl was Interieur als auch Charaktere anbelangt. Die grelle Farblichkeit betont die Kunst der Panelanordnung, die sich, postmoderne-gerecht, in Mikrostrukturen flüchtet.
Pennac mildert den gewohnten Zynismus etwas und bringt neuen Wortwitz in die regengraue Welt des Jacques Tardi. Dass dabei trotzdem eine beißende Kritik am Globalisierungs-Enthusiasmus und am Neoliberalismus möglich ist, zeichnet Tardis Einfühlungsvermögen aus. Das große Thema der medialen Verwertungsmaschinerie im Zeitalter des Hochkapitalismus, die soziale Realität marktwirtschaftlicher Massenentlassungen, findet seinen adäquaten Ausdruck in einer nur auf den ersten Blick plakativen Bildlichkeit. Damit reden Tardi/Pennac jenen das Wort, die nach wie vor nicht an den literarischen Anspruch des Comics glauben wollen.