Märchenhafte Bilderflut
Die Dichotomie des Comics von Sergio Toppi
Von Christoph Schmitt-Maaß
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseVon einem eurozentrischen Blick kann im Comicgewerbe keine Rede sein: allgegenwärtig ist einzig die konsumerable amerikanisch-japanische Durchschnittsware, deren Haltbarkeit sich dank der billigen Aufmachung auf einen minimalen Zeitraum beschränkt. Allenfalls die französische Welt der bandes dessinées ist für den deutschsprachigen Leser noch verfügbar. Italienische Autoren dagegen haben es auf dem europäischen Markt schwer. Erst jetzt hat sich mit Eckart Schott ein deutscher Verleger gefunden, der das Risiko einer künstlerisch anspruchsvollen Produktion wagt.
Bereits vor drei Jahren ist der kleine Verlag mit seinem vielfach ausgezeichneten Engagement für Gibrats "Aufschub" aufgefallen. Nun wird auf hohem Niveau nachgelegt. Ein vorzüglicher Druck auf hochwertigem Papier ist heute, zumal in der Comicbranche, keine Selbstverständlichkeit mehr. Der Hardcovereinband und die Fadenheftung runden den positiven äußeren Eindruck ab.
Auch inhaltlich gibt es nichts zu bemängeln. Toppi zählt zu den festen Größen der Fumetti-Produktion. Eine Vielzahl von Arbeiten haben in Italien seinen Ruf gefestigt. 1975 wurde er mit dem "Yellow Kid" ausgezeichnet; der Comicsalon in Lucca widmete ihm eine Einzelausstellung. "Sharaz-de" ist ein Klassiker des heute fast 70-Jährigen. 1984 veröffentlicht, illustriert er einige Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht. Erzählt werden die Geschichten von der schönen Scheherezade, die damit ihr Leben zu retten hofft.
Ähnlich wie Hugo Pratt bewegt sich Toppis Erzählen im Rahmen eines illustrativen Exotismus. Dabei verhandelt er eine alte Dichotomie des Comcis neu in der Frage, ob der Text das Bild illustriert, oder ob die Erzählung visualisiert wird. Angesichts der Statik der Bilder, die jeder Comic-Lesegewohnheit widersprechen, bleibt diese Frage offen, erfährt aber bedenkenswerte Argumente.
Gelegentlich gerinnt der Text zur Marginalität oder verflüchtigt sich vollends. Die Bilder sind im besten Sinne des Wortes monumental, behalten aber eine vegetative Detailliertheit, die sich oft in breiter Ornamentalik auffächert. Dadurch erreicht Toppi die Verschränkung verschiedener Handlungsebenen und Erzählperspektiven und löst die lineare Lektüre auf. Die Bildbegrenzungen lösen sich auf, einzelne Panels weichen der Zeichenhaftigkeit größerer Kompositionskomplexe. Gesichter präsentieren sich als Landschaft, Landschaft präsentiert sich als Fläche, als Schraffur. Mit seinen kunstvoll durchkomponierten Zeichnungen findet Toppi das Vokabular eines entpersönlichten Mythos, der für alle Epochen und Ethnien spricht.