Haider - zu Ende gedacht
Schlingensiefs Containeraktion "Ausländer raus" wurde dokumentiert
Von Torsten Gellner
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseAm Anfang könnte dieses Zitat gestanden haben: "Und daher haben wir ja aus einer falsch verstandenen Humanität einen Import von Kriminalität nach Österreich bewirkt anstatt eine vernünftige Asylantenpolitik." (Jörg Haider)
Wie die "vernünftige Asylantenpolitik" im Sinne des strammen Kärntners aussehen könnte, darüber hat sich Christoph Schlingensief im letzten Jahr Gedanken gemacht und im allgemeinen "Big Brother"-Wahn seine Containeraktion "Bitte liebt Österreich" durchgeführt. Unter dem Motto: "Eine Woche, 24 Stunden non-stop: Abschieben!" zogen zwölf als Asylanten verkleidete Schauspieler in einen Container, auf dem ein großes "Ausländer raus"-Schild prangte - mitten auf dem Wiener Opernplatz! Jeden Tag wurde wie im richtigen Leben nominiert und abgeschoben, die Zuschauer durften per Telefon "ihren Asylanten" wählen; der Gewinner konnte nach einer Woche fröhlich eine Aufenthaltsgenehmigung und ein paar Telefonnummern heiratswilliger Damen entgegennehmen.
Es gab prominente Unterstützung für dieses Theaterprojekt durch Elfriede Jelinek, Daniel Cohn-Bendit, Gregor Gysi und durch den Leiter der Wiener Festwochen Luc Bondy, der den deutschen Regisseur von der Berliner Volksbühne nach Österreich geholt hat. Man traf sich zum Frühsport mit den Asylanten, man führte ein Kasperltheater auf, man feierte die tägliche Abschiebung miteinander - und alles konnte über eine hoffnungslos überlastete Webpage mitverfolgt werden. Peter Sloterdijk hat es trotz Grippe geschafft, zu einer Nachbesprechung im Café Amacord zu erscheinen und erteilte der Aktion mit Sätzen wie "Gesellschaften sind große Plastiken, die aus affirmativem Material geformt werden", seinen gelehrten Segen. Alle schienen zufrieden, bis auf die, die nicht im Container sein durften - oder trotz Einladung nicht kommen wollten. Die österreichische Presse, vor allem die "Neue Kronen Zeitung", entwickelte eine unglaubliche schöpferische Energie, Schlingensief nicht mehr beim Namen nennen zu müssen, sondern als "Anarcho-Hanswurst" oder "eingekaufte[n] Kunst-Bubi" präsentieren zu können.
Wie bei allen Aktionen des Künstlers verschwammen auch bei seinem "Wien-Putsch" die Grenzen von Inszenierung und Realität, von Absicht und Wirkung. In Deutschland, so Schlingensief, hätte man das "Ausländer raus"-Transparent nach spätestens zwei Stunden abgerissen, in Österreich wurde es zunächst bejubelt, und dann dauerte es ganze fünf Tage, bis es von Demonstranten demoliert wurde. Für Schlingensief war der anfängliche Jubel wohl ein klares Indiz für einen wiedererstarkten Austrofaschismus, aber vielleicht hatten die Zuschauer einfach nur "mitgespielt", so genau weiß man das bei derartigen Unternehmungen ja nie. Oder um mit Sloterdijk zu sprechen: "Wir sind durchgeimpft", will sagen: "Die Epoche, in der eine Avantgarde mit Überraschungen oder mit Direktangriffen auf ein unvorbereitetes Nervensystem arbeiten konnte, ist vorbei." Wenn also ein Schlingensief als Vertreter der Avantgarde, der mittlerweile für jeden gut sichtbar "Achtung Kunst!" auf der Stirn stehen hat, in Erscheinung tritt, so geschieht das nicht mehr vor einem voraussetzungslosen, sondern erwartungsvollen Publikum, das die Mechanismen der Provokation längst durchschaut hat und entsprechend reagiert.
Weshalb "Bitte liebt Österreich" ein so großer Erfolg geworden ist, liegt vor allem an der mehrfachen Aktualität des Projekts. Während in Deutschland und anderswo in Europa das niederländische Eliminationsspiel "Big Brother" hysterische Erfolge feierte, befand sich Österreich selbst im gläsernen Container der EU-Ächtung. Allein die Tatsache, dass man vor dem Hintergrund medial und politisch fragwürdiger Entwicklungen die Inszenierung für real halten konnte, machte die Sache so schön heikel. Dass Schlingensief von der FPÖ scharf angegriffen und auch juristisch angegangen wurde, ist eigentlich unverständlich, denn er hat doch lediglich den Haider-Jörg in all seiner braunen Konsequenz ideologisch zu Ende gedacht!
Die gesamten Geschehnisse rund um den Wiener Opernplatz kann man nun nachlesen. Eine im Suhrkamp Verlag unter dem Titel "Schlingensiefs Ausländer raus" erschienene Dokumentation rekonstruiert anhand von Fotos, Zeitungsartikeln, Briefen, Interviews, mit Theoretisierungsversuchen von Jelinek, Seeßlen, Sloterdijk und anderen das Spektakel der Wiener Festwochen. Zwei von den seltsam ziellosen Alexander Kluge-Gesprächen mit Christoph Schlingensief sind auch abgedruckt, allerdings leicht verstümmelt - Kluges legendäres "jaja" wurde einfach wegredigiert. Es ist ein lesenswertes und überaus amüsantes Protokoll dieses umstrittenen, aber notwendigen Projekts entstanden, das übrigens auch optisch recht originell daherkommt, mit "Telexstreifen" und Miniaturdaumenkino, sinnigerweise am rechten Rand.
Torsten Gellner