Kontrastreiche Passion des Theaters

Zwei neue Theaterstücke von Botho Strauß

Von Kristina FriesRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kristina Fries

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Botho Strauß fordert, wie man es von ihm bereits gewöhnt ist, in seinen neusten Bühnenstücken, "Die Ähnlichen" und der "Kuß des Vergessens", die beide 1998 erschienen sind und uraufgeführt wurden, seine Leser, Zuhörer und nicht zuletzt seine Schauspieler in besonderem Maße heraus; er provoziert, problematisiert, abstrahiert und resigniert.

In seinem Werk "Die Ähnlichen" ist tatsächlich alles ähnlich und doch wieder von Szene zu Szene, ja sogar von Wortwechsel zu Wortwechsel so verschieden. Es herrschen unklare Beziehungen, die Akteure sind zeitweise nicht nur in der konkreten Dialogsituation austauschbar, konturlos, nicht definierbar, sie stellen gleich mehrere Personen in den unterschiedlichen Szenen dar und spielen nicht zuletzt Rollen in der Rolle.

Das Stück in vier Akten, in denen 29 verschiedene Personen von nur 16 Schauspielern dargestellt werden, "handelt" von diversen, konfliktschwangeren Beziehungen. Im ersten Akt tragen drei Frauen, drei so genannte "Parapersonen", einen Konflikt aus, der vom teuflischen Rüdiger noch geschürt wird. Es bleibt offen, wessen Sohn Rüdiger ist, doch alle drei sind auf irgendeine Weise sexuell mit ihm verbunden.

Man denkt hier an die drei Damen in der "Zauberflöte", die, in ihren Charakteren ebenfalls austauschbar, um Tamino werben, um ihn letztlich - "im Auftrag des Teufels" - ins Reich der Dunkelheit zu zerren. Strauß verschärft diese Idee, konnotiert sie sexuell und lässt seine Figuren immer wieder in die Konturlosigkeit zurückfallen, sobald ihre vermeintliche Individualität zum Vorschein kommt. Die Gemeinsamkeit, die schicksalhafte Verbindung, die Ähnlichkeit wird ihnen zum Verhängnis.

Das von Strauß bewusst gesetzte Dunkel am Ende des Aktes steht für ihr Verschwinden im Nichts, ihre Gefangenschaft in den eigenen, ungeliebten Körpern, die die Seele unweigerlich einkerkern und ihr nicht den nötigen Umriss, das gewünschte Profil verleihen.

Im zweiten Akt tragen Christoph und Christian, zwei "ungewollte" Brüder, als Stellvertreter für Ost und West ihren deutsch-deutschen Konflikt unter emotionalen, politischen und wirtschaftlichen Aspekten aus. Strauß bleibt allerdings bei einer klischeehaften Zuordnung der Charakterzüge, Meinungen und Erfahrungen der Kontrahenten.

Die individuellen Konturen verschwinden allerdings schon in der folgenden Szene; die Brüder sind im Schoße einer Prostituierten auf unerklärliche Weise zusammengeschweißt und offenbaren die Zermürbung und den Verfall ihrer gegenseitigen Beziehung sowie ihrer jeweiligen Ehen. Ihre emotionalen Befindlichkeiten sind unklar und bar jeglicher Beziehungskompetenz.

Der dritte Akt thematisiert dann die Passion des Theaters, wobei Ricarda, die Prostituierte, als angehende Schauspielerin die letzte Inspiration des Regisseurs Berg sein soll, der sich schließlich umbringt. Hier wird über die Rolle an sich reflektiert, den Reiz des Theaters. Mit den 'Ähnlichen', den ,Menschenähnlichen', also den Schauspielern, will das Theater das Publikum erreichen.

Der vierte Akt problematisiert anhand mehrerer Zweier-Beziehungen die Entfremdung, das gegenseitige Unverständnis, die Körperlichkeit und die Gemeinsamkeit als solche. Das Stück endet mit den "drei Damen" des Anfangs, die sich nur noch ähnlicher geworden sind, sich in ihrer Klage über die Leere und das Vergessen ergänzen, Gesagtes mit wenigen Abweichungen wiederholen und sich schließlich gegenseitig die Schuld zuweisen. Woran, bleibt unklar.

Es stellt sich die Frage nach dem Grund dieser Undefinierbarkeit, dieser Unfassbarkeit. Botho Strauß thematisiert sicher die am Ende des Jahrtausends potenzierte Sprachkrise, den Verlust jeglicher Maßstäbe in moralischer und emotionaler Hinsicht und verdeutlicht, dass die Welt weder fassbar noch erklärbar ist und vom Prinzip des Chaos beherrscht wird. Es geht ihm um die Existenz, um die damit verbundene ach so ersehnte Passion, die nur noch im Theater, in der Kunst oder der Künstlichkeit erreichbar, vielleicht lediglich darstellbar ist. Strauß ist in diesem Mikrokosmos gefangen, seine Figuren sind keine Charaktere, sondern Schauspieler, die sich ja gerade durch den Rollenwechsel auszeichnen. Im Übrigen haben diese real einen immens großen Interpretationsspielraum. Geht es in seinem Theaterstück gerade nicht um das Schauspiel, also um die "Bühne auf der Bühne", so spielen die Personen Rollen gegenüber ihren Mitakteuren, die sie von Szene zu Szene variieren, die der Autor bewusst offen lässt. Die vermeintliche Klarheit der Charaktere im zweiten Akt geht im Strudel der Beziehungen unter. Doch warum lässt Strauß diese Ähnlichen sich nicht entwickeln, was bezweckt diese resignative Determination, die während des Epilogs im Zeichen des Vergessens und der Leere noch kulminiert?

Der "Kuß des Vergessens" konzentriert sich im Gegensatz zu den "Ähnlichen" auf ein Liebespaar, dessen Beziehung ebenfalls von chaotischer Ambivalenz gezeichnet ist. Hier stehen Fatalismus, Attraktion und Abstoßung als konstitutive Elemente im Raum. Umrahmt wird diese Beziehung, die schließlich am Tod des Liebhabers zerbricht, von dem Eindruck eines Films auf elf entpersonalisierte Menschen. Diese schwärmen, prophezeien, ermutigen - und doch befinden sie sich in ihrem "Vivarium", nämlich auf der Bühne des Theaters, und können das Erlebte, das doch das neue Jahrtausend einleiten soll, nur rezipieren. Sie sind Schauspieler und damit zur Unterwerfung unter das Gegebene verdammt, und sei auch noch so viel Raum für Interpretation gegeben. Sollte die letzte Szene, in der sich das Liebespaar unvermutet wiedertrifft und gemeinsam unter dem Schutz eines Schirmes davonläuft, tatsächlich ein Lichtblick sein? Entrinnen sie dem "Vivarium"? Nein, sie verharren im leeren Raum, denn ihr Kuss ist der des Vergessens.

Botho Strauß behandelt das Chaos in all seinen Facetten, ruft Assoziationen hervor, jedoch nichts weiter. Seine Resignation entbehrt der Produktivität und dreht sich im Kreis, im schillernden Zirkel des Theaters.

Titelbild

Botho Strauß: Die Ähnlichen. Der Kuß des Vergessens.
dtv Verlag, München 2000.
176 Seiten, 8,40 EUR.
ISBN-10: 3423128348

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