Kein Freund der Erde

T. C. Boyle inszeniert den Weltuntergang

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit der Erschaffung des Menschen hat der liebe Gott der Schöpfung die Krone aufgesetzt. Sechs Milliarden waren wir Ende des 20. Jahrhunderts, Familien, Großfamilien, Herden, Stämme, Völker auf rastloser Wanderschaft, ständig telefonierend und ohne Wimpernschlag die Ressourcen den Welt verbrauchend. In nicht mehr als 25 Jahren, so prophezeit es uns T. C. Boyles neuer Roman, wird der Planet Erde eine Kloake sein, die Pole abgeschmolzen, die Klimazonen verschoben, Kalifornien im Dauerregen und die Carolinas so heiß wie die Wüste Gobi.

Im Jahre 2025 schaut Tyrone "Ty" O´Shaughnessy Tierwater auf sein bewegtes Leben zurück. Der Aktivist der Öko-Bewegung muss sich eingestehen, dass der Kampf um eine lebenswerte Umwelt verloren ist. Die Menschheit ist erwartungsgemäß weiter explodiert, Los Angeles und San Diego sind zu einem Moloch, Los Andiegoles, zusammengewachsen.

Erstaunlich viele sehen voraus, was uns blüht, nicht nur T. C. Boyle, erstaunlich wenige tun etwas dagegen. Kaum einer will schon jetzt verzichten, wo doch das Alter grausam sein wird, ein Leben in Armut, Krankheit, Siechtum, ein Vegetieren ohne Strom, Wärme und andere Mitgeschöpfe - denn die meisten Spezies werden ausgestorben sein. Ty Tierwater hat noch eine Hyäne zu betreuen, eine Füchsin und drei asthmatische Löwen, letzte Zeugen des einstigen Reichtums der Fauna.

Die Bücher von T. C. Boyle sind immer aktuell zeitbezogen. Sie thematisieren die Gesundheitswelle ("Willkommen in Wellville"), die Wurzeln Amerikas ("World´s End"), die Hippiekultur ("Grün ist die Hoffnung"), die Pathologisierung der Sexualität ("Riven Rock") oder die Frage der Identität im Mix der Kulturen ("Der Samurai von Savannah"). In "América" treffen verängstigte Wirtschaftsflüchtlinge aus Mexiko auf paranoide US-Amerikaner, die vergeblich ihren Wohlstand gegen die Welt verteidigen. In den Erzählungsbänden "Fleischeslust" und "Wenn der Fluss voll Whisky wär" dürfen die Protagonisten alle negativen Auswirkungen der Zivilisation am eigenen Leibe erfahren. Und in "Ein Freund der Erde" wird uns erneut die Apokalypse verkündet.

Doch Boyles Appelle an unsere Vernunft bleiben folgenlos, denn wir sind ja schon vernünftig in dem, was wir tun: Wir wissen, dass kein besseres Leben nachkommt, wir müssen im Hier und Jetzt auf unsere Kosten kommen, ob es unseren Kindern und Kindeskindern passt oder nicht. Gäbe es da nicht die Zeloten der Öko-Bewegung, die uns mit messianischem Eifer zur Umkehr zwingen wollen, wir verschwendeten keinen Gedanken an die Zukunft der Welt. Einige von diesen Leuten arbeiten für Maclovio Pulchris, den alternden Popstar, der es sich zum Ziel gesetzt hat, jene Geschöpfe vor dem Aussterben zu bewahren, "die sonst keiner haben will." Ausgesucht hässliche Hyänen etwa, drei traurige Tiger vielleicht, in deren Fell der Mottenfraß sitzt, oder quakende Schleimbeutel mit Warzen auf der Nase. Maclovio Pulchris ist ein kleiner Gott mit begrenztem Sortiment und lässt aus den wenigen verbliebenen Arten seiner Arche neue Exemplare klonen. Auch sein Leben ist bedroht - und wir werden ihn sterben sehen.

T. C. Boyles Bücher erscheinen in rascher Folge, und alle steuern sie auf Katastrophen zu: meist ist es nur ein kleiner Kosmos, der zugrunde geht, diesmal geht es um den Untergang der ganzen Welt. Ty Tierwater, der "Freund der Erde", ist bereits in jener entsetzlichen Zukunft angekommen, die sich die Menschheit selber bereiten wird. Boyle wiederholt hier einen Kunstgriff seines Romans "World´s End", indem er zwischen den Jahrhunderten hin- und herspringt, indem er seinen Erzähler aus der Zukunft, vom Jahre 2025 aus, auf die Gegenwart und Vergangenheit zurückblicken lässt, um ihm - und uns - vor Augen zu führen, wie sinnlos alles Engagement, aller Enthusiasmus und nicht zuletzt aller Verzicht gewesen ist.

Der böse Witz, für den Boyle bekannt ist, feiert auch hier fröhliche Urständ, und die Gutmenschen, die für den Erhalt der Schöpfung kämpfen, werden gnadenlos vorgeführt. Ty, der ehemalige Pfadfinder und blindwütige Saboteur, der von den sekundären Geschlechtsmerkmalen einer Öko-Amazone zum politisch motivierten Aktivismus verführt wurde, schießt ständig über die gesetzten Ziele hinaus und setzt sich selber und die "Earth Forever"-Bewegung ins Unrecht. Der größte persönliche Verlust des notorischen Draufgängers ist seine Tochter Sierra, eine Redwoodbaum-Besetzerin. Denn Sierra kommt in regennasser Nacht ums Leben, als sie - ausgerechnet! - erst ihr Handy und dann das Gleichgewicht verliert und von ihrem Ast in den Tod stürzt - aus zwanzig Metern Höhe.

Boyles Roman ist wieder hochtourig erzählt, mit manchmal bis zum Abwinken grellen Bildern und Vergleichen. Doch dass sich beim Rezensenten allmählich ein gewisser Überdruss gegen diese Erzählmasche bemerkbar macht, muss nicht gegen die Qualität des Romans sprechen. "Ein Freund der Erde" ist wieder vorzüglich übersetzt von Werner Richter, dem Entdecker T. C. Boyles für den deutschen Sprachraum: "Der Wald - dieser Wald, unser Wald - kehrt zurück, die Schößlinge neuer Bäume erheben sich aus dem Friedhof der alten, Espen schütteln ihre Blätter mit einem Geräusch, das wie Applaus klingt".

Titelbild

T. C. Boyle: Ein Freund der Erde. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Werner Richter.
Carl Hanser Verlag, München 2001.
358 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3446199756

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