Niemand mehr übrig zum Hassen

Marc Höpfner legt seinen Debütroman zu einem brisanten Thema vor

Von Doris BetzlRSS-Newsfeed neuer Artikel von Doris Betzl

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zwei Jahre ist es inzwischen her: zwei jugendliche Außenseiter schießen auf einem Schulhof nahe Denver um sich. Zwölf Mitschüler und einen Lehrer reißen sie in den Tod, bevor sie sich selbst das Leben nehmen. Der Amoklauf findet jugendliche Nachahmer, weltweit. Die jungen Täter solcher Hassverbrechen sind gefundenes Fressen für Boulevardblätter und ein neues Feld für Sozialpsychologen.

Einem Roman, zudem einem Erstlingswerk, dessen Ausgangspunkt ein solcher Amoklauf ist, könnte man voreilig Effekthascherei vorwerfen. Marc Höpfner, 1964 geboren, nahm in letzter Zeit in seinen süffisanten Detailbeobachtungen "Wie find ich das" im "Leben"-Magazin der "Zeit" die Konsumgüter des gesellschaftlichen Lebens unter die Lupe. Den harten Stoff seines Debütromans hat er souverän verarbeitet: eine Tragödie, eine Liebesgeschichte, Thriller, Wildwest-Showdown und eine außerwissenschaftliche Studie über das Sozialverhalten Jugendlicher fügen sich zu einem fesselnden Ganzen.

Der Roman beginnt bereits spektakulär: Alex, der Held und Erzähler der Geschichte überlebt eine Massenkarambolage in einem Autobahntunnel. Es ist das zweite Mal, dass er eine Situation unmittelbarer Lebensgefahr übersteht. Die erste Situation ist der Grund, warum Alex in seinen Heimatort zurückkehrt. Vier Jahre nach dem Amoklauf an seiner Schule möchte er seine Mitschuld an der Katastrophe sühnen: das Gewehr, mit dem acht Schüler erschossen wurden, hatte er geklaut. Alex begegnet seiner alten Liebe Do wieder und nimmt die Spur seines Klassenkameraden Pauly auf. Pauly ist jetzt Dealer und war ebenfalls mitverantwortlich für das Massaker auf dem heimatlichen Schulhof: er hatte den Außenseiter Ox zu der Tat angestachelt. Verurteilt wurde jedoch nur der Amokschütze.

"Natur ist das, was geschieht, wenn dein Fernseher ausgeht und das Haus mit der CD-Sammlung in sich zusammenfällt" - schlagwortartig resümieren die Helden der Geschichte ihre Art der Wahrnehmung. Die Generation der Videospieler und Fernsehsüchtigen ist es, die hier unter die Lupe genommen wird. Das Medium ist allgegenwärtig, nicht nur in der Welt der Jugendlichen: filmische Vorbilder von James Dean bis "High Noon" färben die Szenerie, und in einem Showdown zwischen Gut und Böse findet die Geschichte ihren finalen Höhepunkt.

Bis dahin wird im Rückblick die Geschichte von Ox gezeichnet, wie sie der Mitschüler Alex erlebt hat: der hünenhafte Außenseiter der Klasse, Computerspiel-Crack und schweigsames Mobbing-Opfer, dessen Wandel zum Täter sich etappenweise vollzieht. In einer schaurig-fesselnden Szene einer Skilager-Fete reagiert Ox auf seine Weise auf die stetigen Hänseleien eines Klassenkameraden - um ein Haar erstickt er ihn:" 'Tan-zen', sagte er und packte Tom, um seiner Aufforderung Nachdruck zu verleihen, am Handgelenk. Tom machte eine schnelle Bewegung mit dem Arm, aber sie verendete in einem schwachen Zappeln seines Ellenbogens und ziellosen Greifbewegungen seiner Finger. Ox hatte Toms Arm mit der Unnachgiebigkeit eines Schraubstockes in seiner Hand fixiert. Something in my heart told me I must have you..., schmalzte es spottend durch den Raum, während inzwischen alle Anwesenden das Geschehen an unserem Tisch aufmerksam verfolgten. Toms Kopf bog sich hilfesuchend zur Seite. [...] Alfred hatte Tom jetzt fest an sich gepreßt, er bewegte sich kaum, pendelte von links nach rechts, die Augen glasig, die Muskeln seiner Arme in äußerster Anstrengung gespannt. Noch eine zitternde Bewegung der Finger, ein reflexhaftes Ins-Leere-Greifen, dann fielen Toms Hände schlaff zu beiden Seiten seines Körpers hinunter. Sein Kopf kippte mit geschlossenen Augen in den Nacken, und die Beine knickten ein, so daß die Fersen sich hoben und Toms Fußspitzen sich baumelnd über dem Boden bewegten."

Wie Quälereien unter Jugendlichen unvermutet zu maßlos wirkenden Kurzschlusshandlungen führen können - diese Entwicklung wird aus der Perspektive des Klassenkameraden überaus sensibel nachempfunden. Die Frage nach Zurechnungsfähigkeit oder Hemmschwellen bleibt unbeantwortet: Ox und Pauly handeln im Drogenrausch. Sein Tatmotiv beschreibt Ox vage und dennoch überdeutlich: " 'Empfinden Sie sich oder anderen Menschen gegenüber Hass?' 'Was für eine blöde Frage. Es ging nicht um mich oder irgend jemanden. Ich wollte, daß alles aufhört, alles. Die Straße, die Leute, die Häuser, alles. Alles.'" Ox setzt später in der Gefängniszelle seinem eigenen Leben ebenso unbarmherzig ein Ende.

Wenngleich in der Folge der Wandel vom schuldgeplagten Ex-Mitschüler Alex zum vergammelten selbst ernannten Headhunter allzu unvermittelt geschieht - der Roman besticht, auch aufgrund seiner Vielseitigkeit im Aufbau: blitzlichtartige Sequenzen wechseln mit Monologen des Helden, Rückblicke mit szenischen Kapiteln. In einem Stück liest man das Buch, und mit einem Gefühl des Schauders legt man es schließlich aus der Hand.

Titelbild

Marc Höpfner: Pumpgun. Roman.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a. M. 2001.
246 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 3627000811

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