Die im Schatten sieht man nicht

Marc Fischers Debütroman "Eine Art Idol"

Von Jan ChristophersenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Christophersen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer sich jemals gefragt haben sollte, was das eigentlich für Menschen sind, die jede Nacht Deutschlands Straßen und Kneipen bevölkern, findet vielleicht bei Marc Fischer eine passende Antwort. Während der durchschnittliche Bundesbürger nämlich friedlich in seinen Kissen schlummert, versammelt sich hier eine Gesellschaft von Nachtschwärmern, die gemeinsam Pläne ausbrüten, von denen sich die Tagmenschen in ihren Träumen keinen Begriff machen. Diese Dealer und Studenten, diese Künstler, Journalisten und Anwälte, die sich eher zufällig zu begegnen scheinen auf Partys und Filmpremieren, sind in Wirklichkeit gerade damit beschäftigt, ein Schattenreich zu etablieren, das sich unauffällig über die ganze Republik erstreckt, und den Umsturz vorzubereiten. Das klingt zwar unwahrscheinlich, möglich aber ist es immerhin. Alles ist ja möglich. Warum nicht auch, dass jemand sein Leben als Samurai führt, ein Leben im Dienst seines Fürsten, des "Daimyos"? Vorstellbar ist auch dies, sogar reizvoll.

Als "tragischer Held" versteht sich der Erzähler in Marc Fischers Roman "Eine Art Idol", ganz der Tradition der Samurai darin folgend, die er seit seiner Jugend bewundert und verehrt. Die "Würde des Scheiterns", die diese alten Kämpfer ihren Niederlagen abgewönnen, ist es, die er für sich selbst anstrebt. Nachdem er seinen Job als Journalist und seine große Liebe verloren hat, reist er ins Land seiner Idole, nach Japan, um nach einiger Zeit zurückzukommen mit der Erwartung eines Heimkehrers: "Ein Mensch, der wegfährt, hofft immer, dass sich in seinem Heimatort etwas zu seinen Gunsten verändert hat, doch es kommt nur selten vor, dass die Heimat auf den Reisenden wartet und ihn mit Willkommensgeschenken feiert." Er findet nicht mehr zurück in das Leben zu Hause, führt, als Ausdruck dafür, fortan eine Nachtexistenz, so dass er schläft, wenn alle anderen wachen, die Nacht zu seinem Tag macht. "Die Uhr lief für mich entgegengesetzt", erzählt er, dieser tragische Held, "also lief von nun an auch mein Leben entgegengesetzt."

Damit beginnt sein Abstieg ins Schattenreich. Über Johanna, seine neue große Liebe, die er eines Nachts kennen lernt, wird er eingeführt in die "Organisation", die ihn bereits seit längerer Zeit ins Auge gefasst hat und ihm durch mysteriöse Geldsendungen seinen kräftezehrenden Lebensstil ermöglicht. Er ist auserkoren, für die Organisation das Sprachrohr zu sein, er soll sie "formulieren". Den Auftrag dazu erhält er von Max Höller höchstpersönlich, dem Anführer der Organisation, die, wie er staunend erfährt, unbemerkt von Staat und Polizei schon vierzigtausend Mitglieder in der gesamten Bundesrepublik versammelt hat und im Untergrund tätig ist. Ihr Ziel: den Umsturz und eine Alternative zum Bestehenden zu versuchen. Wird es gelingen?

Marc Fischer erzählt diese unglaubliche Geschichte, die sich leicht weglesen lässt, in einem lockeren, schmissigen Ton und mit der notwendigen Unernsthaftigkeit, die diese obskure Verschwörungstheorie überhaupt erzählbar macht. Es ist ja alles nur ein Witz, man lebt schließlich nicht von ungefähr in einer Spaßgesellschaft, die mit derartigen Ideen zwar gerne mal spielt, aber doch nur solange es im Rahmen des Spiels bleibt. Schlechte Zeiten also für Samurais, denn wo kein Ernst zu finden ist, ist an ein würdevolles Scheitern im Auftrag des Daimyo nicht zu denken. Die sich selbst verordnete Tragik des Helden liegt also in der Unmöglichkeit eines tragischen Lebens, so seltsam das klingen mag.

Um dies angemessen darzustellen, ist eine bestimmte Ironie unverzichtbar, nur schützt sie nicht in jedem Fall vor kritischen Nachfragen. Seine eigene Erzählweise immer wieder als etwas unglaubwürdig zu präsentieren, indem man beispielsweise die zuvor lang ausgebreitete Biographie einer Figur als bloß "literarisch" abtut, weil darin alles vorkomme, was der Schreiber "jemals gelesen oder gesehen" habe, führt nicht weit. Es trifft eben gleichfalls auf dieses Buch zu, in welchem über weite Strecken genauso verfahren wird, so dass es von Anspielungen auf Filme, Zitaten und großen Namen der Weltgeschichte nur so wimmelt. Ist alles nur ein Spiel, selbst das Erzählen, bleibt am Ende neben dem Gefühl, gut unterhalten worden zu sein, auch der Eindruck unterhaltsamer Beliebigkeit. Aber das kann es wohl letztlich nicht sein, bei allem Jux nicht.

Titelbild

Marc Fischer: Eine Art Idol. Roman.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001.
314 Seiten, 11,70 EUR.
ISBN-10: 3462029924

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